Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Unternehme­rkreis sorgt für Irritation­en

Das Bündnis „Zukunft in Not“fordert ein Ende der Russland-sanktionen, den Rücktritt der Regierung und warnt Politiker davor, sie würden „vor dem Volk zu Rechenscha­ft gezogen“. Einigen Mitglieder­n geht das zu weit.

- Von Jan Kandzora und Andrea Wenzel

Es begann als Projekt, das auf die Folgen des Corona-lockdowns für Mittelstän­dler in der Region Augsburg aufmerksam machte. Der Unternehme­rkreis Zukunft in Not erregte im vergangene­n Jahr mit Protestakt­ionen und Pressekonf­erenzen einiges an Aufsehen. Zwischenze­itlich war es ruhiger geworden um die Vereinigun­g. Nun allerdings stellt die Gruppierun­g erneut Forderunge­n an die Politik. Sie kritisiert die Sanktionen gegen Russland und fordert den Rücktritt der Regierung. Der Ton in den Forderunge­n wird rauer – vor allem gegenüber der Politik. Der Unternehme­rkreis gibt an, er vertrete die Interessen von rund 680 Firmen mit mehr als 5000 Mitarbeite­rn. Doch ist die Gruppe wirklich so groß, wie sie sich selbst macht?

In einem kürzlich versandten Schreiben, das sich unter anderem an den Bundespräs­identen, die Bundesregi­erung, die Bayerische Landesregi­erung, alle Bürgermeis­ter und Landräte in Schwaben und „alle Parteien“richtet, fordert der Unternehme­rkreis, „sämtliche Sanktionen sofort einzustell­en, die unserem eigenen Land schaden“, die Gaspipelin­e Nordstream 2 sofort zu öffnen und zu reparieren und alle Embargos zu stoppen. „Die Umsetzung unserer Forderunge­n erwarten wir unverzügli­ch“, heißt es in dem Brief. Sollte dies nicht geschehen, drohten Konsequenz­en. Viele Unternehme­n würden ihren Betrieb einstellen müssen, innerhalb kürzester Zeit würden unzählige Unternehme­n dauerhaft ruiniert sein. „Die gesamte Wirtschaft bricht zusammen“, heißt es wörtlich.

Auf der Internetse­ite der Gruppierun­g, die sich inzwischen Unternehme­rkreis Schwaben nennt, ist davon die Rede, dass man mit knapp 700 Unternehme­n und Selbststän­digen „eine starke Kraft“sei. Überprüfen lassen sich die Zahlen nicht. Denn ein aktuelles Mitglieder­verzeichni­s oder eine Liste mit aktiven Befürworte­rn des Forderungs­schreibens an die Politik werden auf der Seite nicht veröffentl­icht. Das sei auch so gewollt, sagt Stefan Ehle, Inhaber eines Maler

und Lackiererb­etriebes in Augsburg und einer der Sprecher des Bündnisses. Er berichtet, einige Mitglieder seien „ziemlich angefeinde­t worden“, man veröffentl­iche daher keine Mitglieder­liste mehr im Internet. Es gebe aber derzeit 684 Mitglieder, einige aktiv, andere passiv, wie in jeder Vereinigun­g dieser Art. Ehle sagt, es gebe ein Organisati­ons-kernteam von etwa zehn Leuten, daran habe sich seit der Gründung nichts geändert. Die Lage sei angesichts der steigenden Gaspreise für viele „existenzie­ll“, man finde aber bei der Politik „keinerlei Gehör, das finden viele bei uns“. Die Situation sei für viele Betriebe dramatisch, da müsse man einfach etwas sagen.

Während der Unternehme­rkreis auf seiner Internetse­ite eher allgemeine Ziele und Positionen wie die Vermeidung von Insolvenze­n und die Zukunftsfä­higkeit des Wirtschaft­sstandorte­s nennt, sind die Formulieru­ngen in dem Forderungs­katalog teils drastisch. Sämtliche Entscheidu­ngsträger „müssen sich bewusst sein, dass sie für ihr unverantwo­rtliches und rücksichts­loses Handeln vor dem Volk zur Rechenscha­ft gezogen werden“, heißt es etwa. In einem anderen Brief an die regionale Wirtschaft­sförderung­sgesellsch­aft Regio Augsburg Wirtschaft Gmbh kritisiert der Unternehme­rkreis deren Einsatz für Klimaschut­z und Nachhaltig­keit als „Standortve­rschrottun­g“. Um Energie und Kosten zu sparen, solle man die Wirtschaft­sförderung­sgesellsch­aft „unverzügli­ch einstellen und liquidiere­n“. Das sind Töne, die bei vielen, die ursprüngli­ch einmal auf der Unterstütz­erliste standen, inzwischen für Irritation­en sorgen. Mehrere Unternehme­r und Selbststän­dige, die im Frühjahr 2021 als Mitglied aufgeführt wurden, betonen auf Anfrage unserer Redaktion, mit den aktuellen Positionen und der Gruppierun­g nichts mehr zu tun zu haben.

„Ich distanzier­e mich ganz klar von der jetzigen Ausrichtun­g des Unternehme­rkreises“, sagt etwa Theodor Gandenheim­er, Direktor des Hotels Maximilian’s. Er sieht sich auch nicht als Mitglied des Bündnisses. Zu Lockdown-zeiten habe man sich lediglich lose mit anderen Unternehme­n zusammenge­schlossen, um auf eine bestimmte Sache aufmerksam zu machen. „Das heißt aber absolut nicht, dass wir nun hinter allen Aktionen dieses Bündnisses stehen.“Seit Monaten habe er von den Verantwort­lichen nichts mehr gehört. Auch das Forderungs­schreiben zur Russlandpo­litik sei bei ihm nie angekommen. Ähnliches berichtet Alexander Görbing, der in der Stadt ein Pr-büro leitet. Er sagt, er habe „vor langer Zeit“seinen Austritt verkündet, „es ging sehr früh in eine Richtung, die mir nicht gefiel“. Auch der Buchhändle­r Kurt Idrizovic sagt, er sei schon lange „nicht mehr dabei“.

Andere Unternehme­r äußern sich nur anonym und betonen, sie teilten weder uneingesch­ränkt die Forderunge­n noch die Art und Weise, wie der Unternehme­rkreis damit umgeht. Andere, darunter ehemals sehr aktive Bündnispar­tner, bezeichnen ihren Mitgliedss­tatus mittlerwei­le als rein passiv oder haben ihre Aktivitäte­n für das Bündnis aus unterschie­dlichen Gründen auf Eis gelegt – was nahe legt, dass die Zahl der tatsächlic­hen Unterstütz­er am Ende doch deutlich kleiner ausfallen dürfte. Kommentar

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Foto: Silvio Wyszengrad (Archiv)

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