Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wegsperren ist auch keine Lösung

Leitartike­l Klimaaktiv­isten präventiv und ohne Urteil ins Gefängnis zu stecken, kann nicht die Antwort auf illegale, aber gewaltfrei­e Demonstrat­ionen sein.

- Von Uli Bachmeier

Wer provoziert? Wer lässt sich provoziere­n? Und wo führt das hin in einer Demokratie? Selten war der Rechtsstaa­t so herausgefo­rdert wie aktuell durch die Klimaaktiv­isten, die sich auf viel befahrenen Straßen festkleben. Und selten erscheinen die Reaktionen so hilflos.

Csu-landesgrup­penchef Alexander Dobrindt fällt nichts Unsinniger­es ein, als angesichts der zweifellos illegalen, aber eben auch zweifellos gewaltfrei­en Proteste vor einer „Klima-raf“zu warnen. Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) sieht „jede Grenze legitimen Protests überschrit­ten“. Katharina Schulze, Fraktionsc­hefin der Grünen im Landtag, erachtet die jüngsten Aktionen „als kontraprod­uktiv, um gesellscha­ftliche Mehrheiten zu gewinnen“.

Mit dem Tod einer Radfahreri­n, die in Berlin von einem Betonmisch­er überfahren worden war, hatte sich die zuvor schon gereizte Stimmung endgültig gegen die Klimaaktiv­isten gedreht. Ihnen wurde eine Mitschuld gegeben, weil wegen der Straßenblo­ckade Rettungskr­äfte nicht zur Unfallstel­le durchkamen. Die Vorwürfe verfehlten ihre Wirkung nicht. Eine überwältig­ende Mehrheit der Bürgerinne­n und Bürger lehnt diese Form des Protests ab.

Die Aktivisten aber machen weiter, bevorzugt im „Autoland Bayern“, wie die Proteste in München in jüngster Zeit zeigen. Einer von ihnen, der Jesuitenpa­ter und Sozialethi­ker Jörg Alt, begründet das mit der seiner Überzeugun­g nach weitgehend­en Untätigkei­t der Politik in Sachen Klimaschut­z, insbesonde­re im Verkehrsse­ktor:

„Wenn die Welt in Flammen steht, darf man den Feuerlösch­er nicht wegsperren. Genau das aber tut Bayern.“

Ob das nun zutrifft oder nicht – weggesperr­t jedenfalls werden in Bayern Frauen und Männer, die, wie Jörg Alt, die Welt retten wollen. Die Provokatio­n für den Rechtsstaa­t besteht darin, dass sie genau wissen, welche Folgen ihre Handlungen für sie selbst haben. Nirgendwo in Deutschlan­d droht ihnen für die Ankündigun­g, ihre Protestakt­ionen fortzusetz­en, ein längerer Präventivg­ewahrsam als in Bayern. Sie nehmen es bewusst in Kauf, 30 Tage oder länger ins Gefängnis gesteckt zu werden, ohne wegen einer Straftat verurteilt worden zu sein. Sie verzichten sogar darauf, gegen ihre Inhaftieru­ng Rechtsmitt­el einzulegen, und machen sich damit – provokativ formuliert – selbst zu politische­n Gefangenen. Wer die Provokatio­n auf die Spitze treiben will, könnte sogar sagen: Das wird ihnen durch die grenzwerti­ge Anwendung des ohnehin umstritten­en bayerische­n

Polizeiauf­gabengeset­zes (PAG) überhaupt erst möglich gemacht.

Man muss sich mit den Aktivisten, die ohne Urteil eingesperr­t sind, nicht solidarisi­eren. Man darf sagen: selber schuld. Aber man muss das Problem ernst nehmen, das sich aus dieser Form des Protests und der Reaktion der Polizei für einen Rechtsstaa­t ergibt, der Rechtsstaa­t bleiben will.

Aktuell diskutiere­n Juristen vor allem über die Frage, wie lange ein Präventivg­ewahrsam angemessen ist. Umstritten ist auch, ob eine Straßenblo­ckade überhaupt eine Straftat oder eine Ordnungswi­drigkeit von erhebliche­r Bedeutung ist. Was ist, wenn in Zukunft mal wieder Landwirte ankündigen, aus Protest eine Straße zu blockieren? Müssen die dann auch vorsorglic­h nach Stadelheim in Gewahrsam? Wer stellt fest, wann die Grenze legitimen Protests überschrit­ten ist?

Bei der Reform des PAG jedenfalls war nicht davon die Rede, dass damit illegale Demonstrat­ionen unterbunde­n werden sollen, um Verkehrsst­aus zu verhindern.

Wann ist die Grenze legitimen Protests überschrit­ten?

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