Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Die Rezession verliert ihren Schrecken“

Inflation und Energiekri­se belasten Verbrauche­r und Unternehme­n. Dennoch schlägt sich die deutsche Wirtschaft ordentlich: Die Menschen haben wieder Lust auf Einkaufen und Ausgehen. Wie Ökonomen die Aussichten sehen.

- (Friederike Marx, dpa)

Wiesbaden Die deutsche Wirtschaft geht mit einem stärkeren Wachstumsp­olster als erwartet in die nächsten Monate. Trotz Gegenwinds stieg das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) im dritten Quartal um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Zunächst war das Statistisc­he Bundesamt von plus 0,3 Prozent ausgegange­n. Volkswirte rechnen zwar mit einem frostigen Winterhalb­jahr, aber angesichts milliarden­schwerer staatliche­r Entlastung­spakete und gefüllter Gasspeiche­r doch einen vergleichs­weise milden Konjunktur­rückgang. „Die Rezession verliert ihren Schrecken“, sagte Dekabankch­efvolkswir­t Ulrich Kater.

Europas größte Volkswirts­chaft wuchs trotz des Ukraine-krieges, hoher Inflation, anhaltende­r Corona-pandemie und Lieferengp­ässen das dritte Quartal in Folge, wie das Statistisc­he Bundesamt weiter mitteilte. Zu Jahresbegi­nn war preis-, saison- und kalenderbe­reinigt ein Plus von 0,8 Prozent verzeichne­t worden, im zweiten Quartal von 0,1 Prozent. Verglichen mit dem Vorjahresz­eitraum wurde im Sommer erstmals das Niveau von der Corona-krise übertroffe­n. Getragen wurde das Sommer-wachstum, das über dem Schnitt des Euroraumes lag, vor allem vom Privatkons­um. Trotz hoher Inflation und Energiekri­se hätten Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r auch die Aufhebung fast aller Coronabesc­hränkungen genutzt, um mehr zu reisen und auszugehen.

Zugleich investiert­en Unternehme­n deutlich mehr in Ausrüstung­en wie Maschinen und Fahrzeuge. Die Bauinvesti­tionen waren hingegen erneut rückläufig. Hohe Baupreise und gestiegene Hypotheken­zinsen dämpfen das Geschäft. Der Handel mit dem Ausland nahm trotz der angespannt­en internatio­nalen Lage zu. Die Importe von Waren und Dienstleis­tungen stiegen allerdings stärker als die Ausfuhren „Made in Germany“.

Positiv werten Volkswirte, dass die Konsumstim­mung der Verbrauche­r nicht weiter abrutschte. „Die langanhalt­ende Furcht der Verbrauche­r bezüglich explodiere­nder Energiepre­ise hat sich aktuell etwas abgeschwäc­ht“, erläuterte Gfk-konsumexpe­rte Rolf Bürkl. Solange Zweifel an einer problemlos­en Energiever­sorgung bestünden und die Inflation hoch bleibe, werde sich das Konsumklim­a aber nicht nachhaltig erholen.

Die Stimmung in der Wirtschaft verbessert­e sich laut Ifo-institut zuletzt dagegen deutlich. „Die Rezession, wenn sie kommt, wird glimpflich­er ausfallen als viele erwartet haben“, sagte Ifo-präsident Clemens Fuest. Commerzban­kchefvolks­wirt Jörg Krämer rechnet für die erste Hälfte 2023 zwar weiterhin mit einem Schrumpfen der Wirtschaft­sleistung. Zuletzt habe es aber Zeichen einer Entspannun­g gegeben, „die in Deutschlan­d und auch im Euroraum gegen einen Kollaps der Wirtschaft wie in der Finanzkris­e 2008/9 oder wie nach dem Ausbruch von Corona sprechen“. In der Corona-krise 2020 war das Bruttoinla­ndsprodukt im Gesamtjahr um mehr als vier Prozent eingebroch­en.

Sorge bereitet vor allem die hartnäckig hohe Inflation, die im Oktober auf 10,4 Prozent stieg.

Hohe Teuerungsr­aten belasten Unternehme­n und schmälern die Kaufkraft: Die Menschen können sich für einen Euro weniger leisten. Das kann den Privatkons­um als wichtige Konjunktur­stütze dämpfen.

Zugleich dürfte die Abschwächu­ng der Weltkonjun­ktur den Export unter Druck setzen. Laut Prognose der Industries­taaten-organisati­on OECD wird das weltweite Wachstum durch Russlands Angriffskr­ieg ausgebrems­t. Es dürfte demnach 2023 nur noch bei 2,2 Prozent liegen – deutlich weniger als vor dem Krieg erwartet. „Höhere Inflation und geringeres Wachstum sind der saftige Preis, den die Weltwirtsc­haft für Russlands Krieg gegen die Ukraine zahlt“, hieß es in der Studie.

Die Bundesregi­erung rechnet für das Gesamtjahr 2022 mit einem Anstieg des BIP um 1,4 Prozent. Für das neue Jahr wird ein Rückgang um 0,4 Prozent vorhergesa­gt.

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Foto: Jens Kalaene, dpa Vor allem wegen des Konsums hat sich die deutsche Wirtschaft zuletzt gut behauptet.

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