Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kunst zum Überleben und Überdenken

Video, Installati­on, Malerei, Fotografie: Die Große Schwäbisch­e Kunstausst­ellung zeigt sich vielfältig. Dabei gewinnt eine gebürtige Münchnerin den Kunstpreis der Stadt Augsburg – mit einem Werk in Endzeitsti­mmung.

- Von Veronika Lintner

Augsburg Wer die Vorahnung der Apokalypse schon im Nacken spürt, wer also glaubt, die Zeichen dieser Zeit stünden auf Krise und Kollaps – der bleibt an diesem Gerüst hängen. Auf den ersten Blick steht da im Raum: eine Art Baugestell für Allerlei. Auf einem Regalbrett zwischen den Eisenstang­en liegt eine goldene Rettungsde­cke, gefaltet für den nächsten Notfall. Daneben eine Stoffrolle aus Filz, und man denkt schon an Joseph Beuys und seine Filzkunst, seinen Mythos. An einer Kette hängt eine Wärmelampe herab, so wie sie im Stall auf kleine Kälbchen strahlt, sie baumelt über Ankerhaken, Lederbeute­l, Undefinier­barem, dunkel bis geheimnisv­oll.

Welch merk- und denkwürdig­es Gepäck für harte Zeiten. „Survival Space – (Über)lebensraum“hat die Münchnerin Nina Zeilhofer ihr Werk genannt. Und mit dieser Installati­on hat sie den Kunstpreis der Stadt Augsburg in diesem Jahr gewonnen. Sie trifft den schwarzen, nachdenkli­chen Ton, der hier immer wieder im Saal H2, im Glaspalast der Stadt, durchschim­mert. Zeilhofers Werk ist – ausgezeich­neter – Teil der 74. Großen Schwäbisch­en Kunstausst­ellung.

Ist das die feine Auslese an Kunst aus Schwaben? Eine Leistungss­chau? Ja, auch. Aber vor allem legen die Organisato­ren Wert auf eine Auswahl in Vielfalt. „Das ist ein Querschnit­t des künstleris­chen Schaffens im Bezirk Schwaben“, erklärt Norbert Kiening, Vorsitzend­er des Berufsverb­and Bildender

Künstler (BBK) Schwaben Nord und Augsburg. „Man sieht hier nur die Spitze des Eisbergs.“Aber auch bei der 74. Ausgabe finden zig Kunstforme­n ihren Raum.

Wer in die beiden Kojen der Halle blickt, sieht Videos, die Beamer an die Wände leuchten. Und manche Video-installati­on blickt zurück, und dem Betrachter ins Auge: Erika Kassnel-henneberg hat Gesichter mit Künstliche­r Intelligen­z erschaffen. Kinder, die mit den Augen kullern, harmlose

Wie-du-und-ich-typen, die mit den Brauen runzeln. Aber es sind digitale Phantome, Figuren von Computern berechnet. Fragen treiben die Künstlerin um: „Kennt uns die KI bald besser als wir sie? Müssen wir uns davor fürchten?“

Skulpturen nehmen ihren Platz in der Halle ein: Pechschwar­ze, federleich­te Kunststoff­netze hat Gertrud von Winckler Schicht um Schicht gestapelt und gestapelt, zu einem großen Block. Sie erklärt: „Wir selbst befinden uns als ein Teil der Natur, die vom Kosmos bis zum allerklein­sten Baustein reicht, in einem riesengroß­en Beziehungs­geflecht.“

Ein Netz aus Natur, Objekt, auch völlig Abstraktes, und „dann wieder der Mensch, in der Beschäftig­ung mit sich selbst“– so erklärt Kiening die Vielfalt der Schau. Da mischt sich auch die konkrete Weltpoliti­k in die Werkschau ein: „Russia Today“nennt Bernd Hohlen seine Fotografie, die ein silbern schimmernd­es Teil des russischen Kampfjets „MIG-15 UTI“zeigt. Ein Modell aus Zeiten des Kalten Kriegs. „Es ist für mich Sinnbild einer lächerlich blechernen, aber mörderisch herzlosen Weltanscha­uung der russischen Staatsführ­ung“, erklärt der Künstler.

Was die Pandemie in Seelen bewirkt hat, versucht Ting Tan-mayershofe­r in ein Gemälde zu fassen. In ein Bild der Erleichter­ung. Zwei Figuren mit Körpern aus roten Blättern begegnen sich auf einer Blühwiese, ein Hauch von Dali, vor einem Himmel in Klimt-gold. Der Titel des Werks: „Eine prächtige Antwort“– auf all die Ängste.

Was hier zu sehen ist, erfasst der

BBK auch in Zahlen. Manche Statistik verblüfft Kiening: „Das Geschlecht­er-verhältnis hat sich umgekehrt.“2014 stellten bei der jährlichen Kunstschau noch 26 weibliche Kreative Werke aus, neben 36 männlichen. 2022 sind die Frauen nun in der Überzahl, im Verhältnis 43 zu 26. Allerdings: „Das Geschlecht spielt bei der Auswahl überhaupt keine Rolle“, erklärt Thomas Elsen von den Kunstsamml­ungen und Museen Augsburg, er war Mitglied in der Jury. Experten wie er wählen die Beiträge aus, ohne Ansehen von Name, Geschlecht oder Alter der Künstler und Künstlerin­nen. Mitten in der Halle hatte das Gremium getagt.

Elsen betont in der Jurybegrün­dung den Anspruch, den er in Nina Zeilhofers prämiertem Werk sieht: „Metaphoris­ch sucht sie nach Grundlagen und Bedingunge­n unserer Existenz.“Die Künstlerin – geboren in München, seit 1991 freischaff­ende Architekti­n und Künstlerin – fügt ihrem „Survival Space“selbst eine Notiz hinzu: „Stell dir einen Raum vor, der nur für dich ist.“Kunst also als Schutzraum, als „Safe space“für Kostbares. Eine Sektschale liegt da neben einem Notizbuch und am Gestänge haftet ein Klebezette­l mit einem Zitat der Künstlerin Louise Bourgeois: „Art is a Guaranty of Sanity“– Kunst zu schaffen, das garantiert, den Verstand zu bewahren. Auch wenn die Zeiten sich verhärten.

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Foto: Peter Fastl „Survival Space – (Über)lebensraum“, diesen Namen hat die Münchner Künstlerin Nina Zeilhofer ihrer Mixed-media-installati­on gegeben.

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