Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
High durch Milch?
Werden Kühe mit Nutzhanf gefüttert, gehen berauschende Substanzen auf die Milch über. Auch auf die Tiere selbst hat das in Deutschland nicht zugelassene Futter eine sichtbar benebelnde Wirkung.
Bei der Fütterung von Nutzhanf an Kühe können unter bestimmten Umständen berauschende Substanzen auf die Milch übergehen. Das zeigen Experimente, in denen die Tiere – anders als in der landwirtschaftlichen Praxis – größere Mengen dieser Pflanze gefressen haben. In den Versuchen lagen die in der Milch gemessenen Werte teils über denen, die als unbedenklich für den menschlichen Verzehr gelten, berichten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BFR) in Berlin im Fachmagazin
Dass Verbraucher in Deutschland vom Milchtrinken high werden, ist trotz dieser Ergebnisse nicht zu erwarten. Nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes (DBV) seien momentan nur Futtermittel aus der Saat der Pflanze zugelassen, die keine berauschenden Inhaltsstoffe enthält. Bei den an den Experimenten teilnehmenden Kühen hatte das Hanf-futter indes eine sichtbar benebelnde Wirkung: Sie schienen müde, gähnten häufig und schwankten zum Teil. Zudem fraßen sie weniger und gaben weniger Milch.
Nutzhanf, auch Industriehanf genannt, hat anders als der als Rauschmittel oder für medizinische Zwecke angebaute Hanf einen geringeren Gehalt des psychoaktiven Tetrahydrocannabinols (THC). Landwirte in der EU dürfen Industriehanf anbauen, wenn er einen festgelegten THCWERT nicht übersteigt. Momentan sind 0,2 Prozent erlaubt. Die berauschende Wirkung geht vor allem auf das sogenannte delta9-thc zurück. Daneben sind zahlreiche weitere Substanzen aus der Gruppe der Cannabinoide im Hanf zu finden. Unter Fachleuten wird diskutiert, ob sich nicht nur die Saat, sondern auch andere Pflanzenbestandteile oder auch die Gesamtpflanze als Futtermittel eignen.
Die Forschenden um Bettina Wagner prüften nun mit ihrer Studie, inwieweit dies mit gesundheitlichen Risiken für den Verbraucher einhergehen könnte. Bislang gebe es nur wenige Untersuchungen etwa zu der Frage, ob die berauschenden Inhaltsstoffe auf die Milch übergehen. Die Forscher analysierten Blutplasma, Fäkalien und Milch der Tiere auf Cannabinoide, maßen Herzrate und Atmung und beobachteten ihr Verhalten. Die Ergebnisse: Die zunächst verabreichte Hanf-silage mit geringem Cannabinoid-anteil beeinträchtigte die Kühe und ihre Gesundheit nicht. Bei höheren Cannabinoid-gehalten waren die Wirkungen auf die Tiere allerdings deutlich sicht- und messbar: Sie gähnten vermehrt, ihr Speichelfluss und die Bildung von Nasensekreten nahm zu, die Augen röteten sich. Einige Tiere, die hoch dosiertes Futter erhielten, gingen unsicher, taumelten zum Teil oder verharrten ungewöhnlich lange in ungewöhnlicher Haltung. Herz- und Atemrate sanken erheblich, ebenso nahmen vom zweiten Tag an Futteraufnahme und Milchproduktion deutlich ab. Innerhalb von zwei Tagen nach dem Absetzen des Cannabis-futters verschwanden alle Auffälligkeiten wieder.
Beim Menschen liege der niedrigste delta9-thc-wert, der eine Beeinträchtigung nach sich ziehen könne, bei 0,036 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht, schreiben die Wissenschaftler. Die Kühe hätten im Schnitt mit dem Futter bis zu 86 Mal mehr THC aufgenommen, was die gesundheitlichen Effekte vermutlich erkläre. Wie weitere Untersuchungen zeigten, fanden sich delta9-thc und einige andere Cannabinoide auch in der Milch. Am Ende der Fütterungsphase lagen die gemessenen Werte deutlich über den im Blutplasma gemessenen, was auf eine Anreicherung hinweisen könne. Einige Cannabinoide waren auch noch nach der achttägigen Entwöhnungsphase in der Milch messbar.
Was heißt das nun für einen möglichen Verzehr solcher Milch? Um das herauszufinden, errechneten die Forscher mithilfe einer Software, wie viel THC ein Mensch – basierend auf den gemessenen Werten – über Milch- und Milchprodukte aufnehmen würde. Tatsächlich überstieg der ermittelte Wert bei Tieren, die die höchsten Hanfmengen gefressen hatten, den delta9-thc-referenzwert, der für Menschen als unbedenklich gilt, um das bis zu 120-Fache. Selbst Milch, die in der Gewöhnungsphase des Experimentes gewonnen wurde, wäre für Kleinkinder mit einem überdurchschnittlichen Verzehr von Milch und Milchprodukten nicht unbedenklich – der delta9-thc-wert überstieg den Grenzwert um das 1,5-Fache. „Unsere Studie zeigt, dass die Verfütterung von Industriehanf-silage an Milchkühe, selbst in kleinen Mengen, mit gesundheitlichen Folgen verbunden ist“, bilanzieren die Forschenden.
Nutzhanf wird nach Angaben des Bauernverbandes derzeit in Deutschland auf knapp 7000 Hektar angebaut, mit zunehmender Tendenz. Der Anbau sei mit einem hohen Aufwand verbunden, vor allem bürokratischem. Insgesamt ist es aus Sicht des DBV eher unwahrscheinlich, dass es vermehrt zur Fütterung von Nutzhanf an Wiederkäuer kommen wird. Industriell genutzt werden in erster Linie die Fasern der Pflanze, um etwa Textilien oder Dämmstoffe daraus zu gewinnen. (dpa)