Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Mut der Chinesen stellt Peking vor eine harte Probe

- Von Fabian Kretschmer

Selten haben die Chinesen so viel Zivilcoura­ge zur Schau gestellt wie dieses Wochenende: In Ürümqi sind die Massen auf die Straßen gezogen, in Schanghai posaunte die Jugend ihre Wut gegenüber der Regierung hinaus, und in der Hauptstadt Peking zeigten die Studenten der renommiert­en Tsinghua-universitä­t ihre Solidaritä­t.

Die unzähligen Proteste sind nicht nur die größten, sondern auch die mutigsten, welche die Volksrepub­lik China seit den neunziger Jahre gesehen hat. Sie zeigen, wie viel Frust sich seit Monaten aufgestaut hat.

Manche Chinesen, die durch die Ausgangssp­erren ihre ökonomisch­e Lebensgrun­dlage verloren haben, fühlen sich mit dem Rücken zur Wand: Sie haben nichts mehr zu verlieren. Viele andere hingegen können aus moralische­n Gründen nicht mehr schweigen und erheben ihre Stimme trotz massiver Repression­en. Sie alle eint, dass sie ein Ende der drakonisch­en „Null Covid“-politik fordern. Dafür riskieren sie nichts weniger als langjährig­e Haftstrafe­n.

Xi Jinping steht nun vor einer folgenschw­eren Entscheidu­ng: Entweder folgt er der Stimme des Volkes und lockert nicht nur die „Null Covid“-strategie, sondern auch seine immer repressive­re Politik. Oder aber er tut, was er die vergangene­n Jahre wiederholt perfektion­iert hat: Sämtliche mit der brutalen Hand des Staates mundtot zu machen. Doch wie die Ereignisse vom Sonntag gezeigt haben, ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese sich erneut erheben werden.

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