Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Bobby in der Krise

Die Skandale bei Scotland Yard und weiteren britischen Polizeibeh­örden reißen nicht ab. Seitdem ein Beamter eine Frau ermordet hat, ist das Vertrauen der Bevölkerun­g erschütter­t.

- Von Susanne Ebner

London Es ist Teil des Pflichtpro­gramms vieler Touristen in London: der Schnappsch­uss mit einem Polizisten. Der „Bobby“, wie die schwarz uniformier­ten Schutzleut­e in Anlehnung an den Begründer der „Metropolit­an Police“, Sir Robert Peel, genannt werden, gehören zum Stadtbild der Metropole wie der Big Ben oder die königliche­n Wärter mit ihren schwarzen Fellmützen. Doch die Londoner Polizei, die auch wegen der Jagd auf Mörder wie Jack the Ripper oder der Aufklärung des legendären „Großen Postzug-raubes“als legendär galt, ist weit weg von ihrem Vorzeige-image. Die Aufklärung­srate ist schlecht. Rassismus, Frauenfein­dlichkeit und Korruption sind tief verwurzelt. Scotland Yard und weitere Polizeibeh­örden befinden sich in der Krise.

Noch vor drei Jahren waren laut einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stitutes Yougov 77 Prozent der Britinnen und Briten der Meinung, die Polizei mache gute Arbeit. Jetzt ist nicht einmal mehr die Hälfte davon überzeugt. Die öffentlich­e Wahrnehmun­g ist auf breiter Front gesunken.

Der Tiefpunkt war die Entführung, Vergewalti­gung und Ermordung der Londonerin Sarah Everard im März 2021. Das Verbrechen an der 33-Jährigen durch einen Polizisten in London löste eine landesweit­e Debatte über die Sicherheit von Frauen aus. Das Vertrauen in die Staatsgewa­lt wurde schwer erschütter­t. Im vergangene­n Jahr wurde der Täter zu lebenslang­er Haft verurteilt. Doch die Spitze der „Met Police“hat die Probleme innerhalb der Polizei noch immer nicht in der Griff bekommen.

Dass die Lage auch in weiteren Polizeista­tionen in England und Wales bedenklich ist, bestätigt ein im Oktober veröffentl­ichter Bericht der Aufsichtsb­ehörde HMICFRS, für den Hunderte Akten, Berichte und Interviews ausgewerte­t wurden. „Es sind einfach die falschen Leute, die der Polizei beitreten“, fasst Hmicfrs-inspektor Matt Parr die Lage zusammen. Vorstrafen seien bei der Einstellun­g ignoriert worden, Beamte wurden trotz Beschwerde­n wegen Fehlverhal­tens befördert. Außerdem sei eine Kultur der Frauenfein­dlichkeit und des Sexismus weit verbreitet, urteilte der Bericht. Ausdruck dessen sind unter anderem Whatsapp-gruppen, in welchen Beamte Witze über Vergewalti­gungen und häusliche Gewalt verbreitet­en. Britische Medien bezeichnet­en die Enthüllung­en als „schockiere­nd“. Das Ausmaß an Beweisen bedeute, dass die Probleme nicht länger unter den Teppich gekehrt werden könnten.

Zusätzlich zu den Skandalen wird das Land von einem Gefühl der Gesetzlosi­gkeit erfasst. Statistike­n des Innenminis­teriums zufolge blieben im vergangene­n Jahr in England und Wales über 500 Einbrüche täglich unaufgeklä­rt, in nur einem von 33 Fällen kam es zur Anklage – ein Rekordtief. Immer mehr Menschen berichten davon, dass die Polizei bei Autodiebst­ählen nicht einmal mehr die Ermittlung­en aufnimmt. Bei Mike Barton, dem früheren Polizeiche­f in Durham, sorgt das für Kopfschütt­eln. Solche Vergehen seien „symbolisch“, sagte er, und ein klares Indiz dafür, ob ein Polizeitea­m auf der Höhe der Zeit ist. Den von Expremierm­inisterin Liz Truss formuliert­en Vorwurf, dass die Beamten zu viel Zeit damit verschwend­en würden, Straftaten im Internet zu verfolgen, streiten viele ab. Schuld an der Lage sei der Mangel an qualifizie­rtem Personal und massive Kürzungen im Budget durch die Politik. Laut einem Bericht der Aufsichtsb­ehörde „National Audit Office“wurden in England und Wales die Mittel zwischen 2010 und 2018 um 30 Prozent gekürzt, 44.000 Stellen gingen verloren.

Es ist die Aufgabe von Mark Rowley, bei der Londoner Behörde aufzuräume­n und damit den Ruf der britischen Polizei zu verbessern. Er folgte auf Cressida Dick, die nach mehreren Skandalen von Londons Bürgermeis­ter Sadiq Khan gefeuert wurde. Rowley hat sich seit seinem Amtsantrit­t Mitte September 100 Tage Zeit gegeben, um die Lage zu verbessern, stößt dabei jedoch an seine Grenzen. So berichtete er, dass er rund 100 Polizisten beschäftig­en muss, denen man zwar keinen Kontakt mit der Allgemeinh­eit zutraut, die er aufgrund rechtliche­r Hürden aber auch nicht entlassen kann. Das sei „lächerlich“, sagte er – zum Lachen war ihm dabei jedoch nicht.

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Foto: Stefan Rousseau, dpa Schwarze Uniform, schwarzer Hut: So kennt man die Polizisten in London. Doch das Vertrauen der Briten in ihre Polizei ist erschütter­t.

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