Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Trash mit Tiefgang
Eine Pflanze wird zum Blutsauger und die Sehnsucht nach Erfolg kostet einen hohen Preis. Am Theater Ulm läuft das Musical „Der kleine Horrorladen“.
Ulm Die Letzten werden die Ersten sein: Der biblische Satz bezieht sich aufs Jenseits. In Howard Ashmans schrägem Musical „Der kleine Horrorladen“, uraufgeführt 1982, ist der Aufstieg des ausgebeuteten Waisenhausjungen Seymour zum botanischen Weltstar mit Blut getränkt. Das Theater Ulm zeigt im Großen Haus jetzt Sarah Kohrs Inszenierung des Musicals – in der Happy-end-variante. Wahrscheinlich war das Große Haus seit Beginn der Pandemie nicht so voll besetzt wie bei der Premiere des „Kleinen Horrorladen“.
Musicals füllen Theaterhäuser. Was tun, wenn ein Stoff so bekannt ist wie „Der kleine Horrorladen“, der auch am Theater Ulm zuletzt 2009 lief? Sarah Kohrs Inszenierung setzt auf viel Schwung und auf Gags. Da hält auch das arabische „Habibi“– in der Jugendsprache beliebt – Einzug in den Horrorladen, und die Hits des Musicals – gespielt von einer Horrorladenband – sind sowieso Gassenhauer.
Besonders aber lebt der Abend von der Choreografie Gaetan Chaillys, dessen tänzerische und ironische Handschrift das Musical trägt. Und es lebt von einem stimmigen und mit viel Spielfreude agierenden Trio: Der junge Henning Mittwollen, neu am Theater Ulm, spielt und singt die Rolle der
Hauptfigur Seymour mit der richtigen Mischung aus Witz und Sensibilität. Musical-sängerin Maren Kern an seiner Seite überzeugt als Audrey nicht nur in der Rolle der jungen Frau aus der Gosse, die sich nicht für mehr wert hält, als die Wünsche des sadistischen Zahnarztes Orin Scrivello (Stephan Clemens mit Dieter-bohlen-touch) zu erfüllen, sondern auch mit viel Power. Audreys pinkfarbene Träume
(Ausstattung: Petra Mollérus¸ Videos von Karlheinz Fohlert) stehen in krassem Gegensatz zu ihrer Realität. Die erfahrene Musicaldarstellerin Anne Simmering gibt „Audrey II“, der fleischfressenden Pflanze besonderer Art, Leben. Eine grüne Schicksalsgöttinnengirlgroup peppt das Geschehen in Mushniks staubigem Blumenladen im verwahrlosten New Yorker Ghetto mit dem sprechenden Namen
Skid Row – denn „skid“bedeutet „Talfahrt“oder „Abrutschen“– auf, und ganz unten (meist ohne ihre Schuld) sind die Figuren des Musicals.
Der Drang nach oben ist groß, die Sehnsucht danach, gesehen und geliebt zu werden und Erfolg zu haben. Es ist kein Zufall, dass die anfangs niedliche, aber bereits hinterhältige Pflanze, die Seymour „Audrey II“nennt, gerade in Seymours
Händen landet, der sie pflegt und mit seinem Blut aufpäppelt. Denn der Vertrag, den er dadurch quasi mit dem Erfolg unterzeichnet, ist mit Blut unterschrieben und wird weiteres Blut kosten. Es gibt nichts umsonst in der Skid Row, die Pflanze schenkt Aufstieg, und die Pflanze nimmt Leben. Der Blutsauger Audrey II ist frei von Skrupeln, ist das Böse schlechthin. Einmal in die Welt gesetzt, breitet er sich aus, ist ein fruchtbarer Parasit, treibt Schösslinge und wird zur grünen Hölle, die die Weltherrschaft anstrebt ohne jedes Mitleid für ihre Opfer.
Audrey und Seymour brettern auf einem rosafarbenen Roller in ihre rosarote Zukunft, das Publikum applaudiert begeistert. Aber da bleibt die Schlussszene: Seymour hat seine Seele gerettet, hat die Welt vermeintlich vor der allumschlingenden Pflanze gerettet, indem er ihr Werk zerstört und den Angeboten pfiffiger Geschäftemacher widersteht. Aber da ist schon der nächste, der sich Ableger macht und den ganz großen Erfolg wittert. Einer widersteht der Versuchung. Ein anderer ergreift die Chance und zieht die Früchte des Bösen groß.
So trashig-bunt das alles ist, so steckt doch eine Menge Tiefgang im Geschehen.
Sängerin Irene Cara gestorben
New York 40 Jahre ist dieser Hit alt, aber noch immer vergeht kein Tag ohne diese Stimme im Radio: Wer „What a Feeling“hört, hat eine Tänzerin auf einem Stuhl vor Augen, die auf einer Bühne einen Eimer Wasser auf sich platschen lässt und dann ihr nasses Haar durch die Gegend wirft. Die Szene stammt aus dem Film „Flashdance“, ein Überraschungshit über eine von Jennifer Beals gespielte Schweißerin, die von einer Tanzkarriere träumt. Der überbordende Gesang des Titeltracks aber kommt von der Us-amerikanerin Irene Cara, die im wahren Leben ähnlich hart um ihren Erfolg kämpfen musste. Nun ist sie im Alter von 63 Jahren aus noch unbestätigten Gründen gestorben.
Cara kam 1959 zur Welt und trat schon als Mädchen im Fernsehen auf. 1980 verhalfen ihr schließlich die Hauptrolle im Theater-drama „Fame“und dessen oscarprämierter Titelsong zum großen Durchbruch. Für den von ihr zusammen mit dem Italo-disco-produzenten Giorgio Moroder und Keith Forsey geschriebenen Hit „What a Feeling“gewann Cara neben einem Oscar auch einen Golden Globe und einen Grammy Award. (dpa)