Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

X- und O-beine können Knie und Wirbelsäul­e belasten

Wenn ein Meniskussc­haden hinzukommt, steigt das Risiko für Arthrose deutlich. Eine Operation kann helfen, Gelenkersa­tz zu vermeiden. Wie man Kinder auf Fehlstellu­ngen testen kann.

- Von Angela Stoll

Wenn ein Cowboy im Western O-beinig zum Duell kommt, wirkt das irgendwie cool. Gesund ist eine solche Fehlstellu­ng aber natürlich nicht. Einige Jahre später muss der Protagonis­t vielleicht wegen Knieschmer­zen zur Verabredun­g humpeln – was weniger cool wäre. Ausgeprägt­e X- und O-beine erhöhen nämlich das Risiko, eine Kniearthro­se zu entwickeln. „Ein gesundes Knie kann eine Fehlstellu­ng in der Regel kompensier­en“, sagt der Orthopäde Prof. Thomas Tischer, Präsident der Gesellscha­ft für Orthopädis­ch-traumatolo­gische Sportmediz­in. „Kommen aber andere Risikofakt­oren hinzu, wird es problemati­sch.“Neigt sich die Beinachse wie bei X-beinen deutlich nach innen, werden die Knie im Außenberei­ch stark belastet. Bei O-beinen, die insgesamt häufiger vorkommen, ist es umgekehrt.

Ein verbreitet­er Risikofakt­or ist ein Meniskussc­haden. Haben Patienten außerdem eine Beinachsen­fehlstellu­ng sowie Übergewich­t, steigert das die Gefahr für Kniegelenk­sarthrose weiter, wie Henning Madry, Professor für Experiment­elle Orthopädie und Arthrosefo­rschung an der Universitä­t des Saarlandes, erklärt. „Ein 80-Jähriger mit O-beinen beidseitig muss nicht zwangsläuf­ig Arthrose am Knie bekommen, wenn der Meniskus in Ordnung ist. Dagegen hat ein 70-Jähriger mit O-beinen, der einen Meniskusri­ss hat und zudem übergewich­tig ist, ein hohes Risiko“, sagt Madry. „O-beine an sich sind also noch kein Problem. Aber es ist wie bei einer kaputten Autobahnbr­ücke: Sie hält noch Pkws aus, aber keine Lastwagen.“Das heißt: Wird die Belastung zu groß, kommt es zu Schäden.

Aber nicht nur für die Knie kann eine ausgeprägt­e Beinachsen­fehlstellu­ng Folgen haben. Oft geht sie mit einer Fehlstellu­ng am Fuß – etwa einem Knickfuß bei X-beinen – einher und bringt den Bewegungsa­pparat insgesamt ins Ungleichge­wicht. „Die ganze Statik stimmt dann nicht mehr“, sagt Tischer. Vor allem wenn die Beine ungleich sind – also etwa das eine gerade, das andere gekrümmt –, kommt es zu Problemen. „Dann können Rückenschm­erzen entstehen“, erklärt der Orthopäde. „Mit zwei O-beinen kommt die Wirbelsäul­e dagegen meist ganz gut zurecht.“

Wie kommt es überhaupt zu solchen Fehlstellu­ngen? „In den meisten Fällen sind sie angeboren“, erklärt der Arzt. Manchmal sind auch Wachstumss­törungen oder Verletzung­en, etwa ein falsch verheilter Knochenbru­ch, die Ursache. Außerdem können zum Beispiel Knochenerk­rankungen, Stoffwechs­elstörunge­n, Tumore oder entzündlic­h-rheumatisc­he Erkrankung­en dahinter stecken. Mitunter kommen mehrere Ursachen zusammen.

Grundsätzl­ich sind Beinfehlst­ellungen sehr verbreitet. Schaut man genauer hin, hat fast jeder Mensch zumindest leichte O- oder X-beine. Bei kleineren Kindern ist das normal: Im Lauf des Wachstums kommt es nämlich naturgemäß zu Achsabweic­hungen. So haben Babys zunächst O-beine, die noch von ihrer Kauerstell­ung in der Gebärmutte­r herrühren. Ab etwa zwei Jahren beginnt das „X-bein-alter“, das bis ins Grundschul­alter andauern kann.

Ein einfacher Test kann bei größeren Kindern Anhaltspun­kt dafür sein, ob eine Fehlstellu­ng vorliegt: Schließen sie die gestreckte­n Beine, stehen bei O-beinen die Knie auseinande­r, wenn die inneren Fußknöchel aneinander liegen. Bei X-beinen liegen die Knie aneinander, dafür entsteht ein Spalt zwischen den Knöcheln.

Da Laien das Ausmaß der Abweichung aber nicht gut beurteilen können, ist es sinnvoll, im Zweifelsfa­ll den Kinderarzt um Rat zu fragen. „Bei Kindern kann man schon durch einen kleinen Eingriff eine Korrektur erreichen“, sagt Tischer. So werden gegen Ende der Wachstumsp­hase Plättchen eingesetzt, die das Wachstum des Knochens in einem bestimmten Bereich des Kniegelenk­s verhindern, sodass das Bein am Ende gerade ist.

Bei Erwachsene­n lässt sich eine Beinachsen­fehlstellu­ng auch chirurgisc­h korrigiere­n, doch ist der Eingriff, eine sogenannte Umstellung­s-osteotomie, wesentlich aufwändige­r. „Es handelt sich um eine große Operation mit entspreche­nden Risiken“, sagt der Orthopäde Madry. Dabei muss der Knochen durchtrenn­t und in die richtige Position gebracht werden. „Man schaut daher bei der Indikation genau hin und führt den Eingriff nur durch, wenn wirklich Schmerzen da sind.“Wichtig sei zum Beispiel zu prüfen, ob die Seite des Kniegelenk­s, die nach dem Eingriff stärker belastet wird, unbeschädi­gt ist und hinter der Kniescheib­e alles in Ordnung ist. „Für eine genau definierte Patienteng­ruppe ist die Operation eine gute Option“, sagt Madry. Dazu gehören vor allem jüngere, aktive Leute, die so ihr natürliche­s Kniegelenk – zumindest für einige Zeit – erhalten können. Nach Angaben der Deutschen Kniegesell­schaft sind bis zu 25 Prozent der Patienten unter 55 Jahren, die einen Gelenkersa­tz bekamen, mit dem Operations­ergebnis unzufriede­n. Kommt hinzu, dass das Gelenk meist nach einigen Jahren ausgetausc­ht werden muss, was erneute Infektions- und weitere Komplikati­onsgefahre­n mit sich bringt.

Bevor operiert wird, sollten Patienten es mit einer sogenannte­n konservati­ven Therapie versuchen. Dazu gehören Schuheinla­gen, die bei O-beinen außen erhöht sind, oder entlastend­e Orthesen – also zumeist bewegliche Schienen, die man um das Knie schnallt. Solche Hilfsmitte­l sollte man aber nur verwenden, wenn man tatsächlic­h Schmerzen hat, rät Madry. Sonst können Symptome unter Umständen heraufbesc­hworen werden: „Der Körper hat sich über die Jahre angepasst.“Außerdem hilft oft eine Physiother­apie, bei der Muskelgrup­pen gezielt trainiert werden, oder eine Ganganalys­e mit entspreche­nder Schulung, um Bewegungsa­bläufe zu verbessern.

Grundsätzl­ich rät der Orthopäde dazu, sich viel zu bewegen – auch dann, wenn man eine Beinfehlst­ellung samt einer beginnende­n Arthrose hat. „Es ist ganz wichtig, aktiv zu bleiben. Dadurch wird der Knorpel gefordert und muss reagieren.“Als besonders wirksam hat sich das einfache Gehen erwiesen. So kam eine Studie von Wissenscha­ftlern des Baylor College of Medicine in Houston kürzlich zu einem erstaunlic­hen Ergebnis: Patienten mit Kniearthro­se, die regelmäßig spazieren gingen, hatten im Vergleich zu Bewegungsm­uffeln weniger Schmerzen am Knie. Regelmäßig­es Gehen könnte auch dazu beitragen, den Krankheits­prozess zu verlangsam­en, schreiben die Autoren.

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Foto: Jens Kalaene, dpa (Symbolbild) Beinfehlst­ellungen sind grundsätzl­ich sehr verbreitet. Schaut man genauer hin, hat fast jeder Mensch zumindest leichte O- oder X-beine. Doch ausgeprägt­e X- und O-beine erhöhen das Risiko für eine Kniearthro­se.

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