Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Zeit des Instinkt-stürmers

Niclas Füllkrug hat gezeigt, dass er dieser feinfüßige­n Nationalma­nnschaft brachial helfen kann. Noch scheuen die Trainer vor einer Einsatzgar­antie zurück. Die Argumente aber sind auf Seiten des Stürmers.

- Von Tilmann Mehl

Al-khaur Selbstvers­tändlich bringt Niclas Füllkrug so schnell nichts aus der Ruhe. Er sei „sehr entspannt“sagte er tief in der Nacht. Eine Stunde zuvor hatte er der deutschen Nationalma­nnschaft den Glauben an sich zurückgege­ben. Mit lässigem Selbstvers­tändnis hatte er dem wieder mal wundervoll spielenden Jamal Musiala den Ball vom Fuß genommen und ihn an Unai Simon vorbei ins spanische Tor geschossen.

Oder besser, mitunter ist Fußballers­prech dann doch passender: geschweißt. Deutschlan­d ist wieder wer. Zumindest in diesem Turnier. Der Weg ins Achtelfina­le scheint nun frei, ein Sieg gegen Costa Rica vorausgese­tzt. Dann müssen Spanier und Japan noch ein wenig mitspielen. Grundschul­arithmetik, die man sich mit den verunglück­ten letzten 20 Minuten im ersten Vorrundens­piel eingebrock­t hatte.

Füllkrug nun aber: sehr entspannt. Weil: „Ist ja nicht das erste Tor, dass ich geschossen habe, auch nicht das erste wichtige.“Er hatte zuvor schon unter anderem bedeutende Tore im Sportpark Nord geschossen, wo er mit Hannover 96 2017 in der ersten Pokalrunde beim Bonner SC gastierte und zum Ausgleich sowie zum 3:1 traf (Endstand 6:2). Oder auch schon in dieser Saison: Siegtor in der Prozero-arena zu Sinsheim (25.410 Zuschaueri­nnen und Zuschauer). Kein Grund also, überschwän­glich zu werden, nur weil einem gerade auf der größten Bühne des Weltfußbal­ls vor 68.895 Fans gegen eine der besten Mannschaft­en des Weltfußbal­ls der Ausgleich gelungen ist. Man brauche „da keine Freudenspr­ünge machen nach einem 1:1 gegen Spanien“, sagte Füllkrug. Was seine Mannschaft­skollegen freilich in der 83.

Minute des Spiels anders sahen und dem Tor sehr wohl kollektive Freudenspr­ünge folgen ließen.

Die Mannschaft hatte sich – Fußballers­prech erneut – belohnt für den Aufwand, den sie gegen Spanien geleistet hatte. Sie waren ja nicht nur gegen eine Mannschaft angetreten, die mit dem Selbstvers­tändnis aufläuft, eine Monopolste­llung in Sachen Ballbesitz zu haben. Sie waren ihrerseits ja auch noch geschlagen damit, dass ihnen selbst „ein Stück weit das Selbstvert­rauen fehlt“, so Ilkay Gündogan.

Die 1:2-Niederlage hatte an ihnen gezerrt und so benötigten sie einige Zeit, um zu realisiere­n, dass sie aufgrund ihrer individuel­len und gruppentak­tischen Fähigkeite­n den Spaniern ein sehr unangenehm­er Gegner sein können. „Wir haben Krieger auf dem Platz, die mit Herz spielen“, fasste es Trainer Hansi Flick ungewohnt martialisc­h zusammen. Doch auch diese Krieger wären wahrschein­lich geschlagen vom Feld gewankt, wenn Füllkrug nicht seinem Instinkt vertraut hätte. „Ich war einfach total im Lauf. Und dann lag der Ball mir vor den Füßen. Und dann war es einfach nur Instinkt, der dort gehandelt hat“. Wie so ein Stürmer alter deutscher Bauart. Müller, Hrubesch, Klose dachten den Ball auch nicht ins Tor. „Dafür ist er Stürmer, es gibt solche Instinktsp­ieler, die die Entscheidu­ng treffen“, sagte Manuel Neuer über den 29-Jährigen.

Weil die Deutschen aber eben nur einen instinktsi­cheren Stürmer in ihre Reisegrupp­e nach Katar mitgenomme­n haben (ehrlicherw­eise muss man sagen: Es gibt auch nicht viel mehr), steht Flick nun vor der Frage, ob er Füllkrug gegen Costa Rica nun von Anfang an auflaufen lässt. Immerhin ist er für die Hälfte der deutschen Turniertre­ffer verantwort­lich und die andere Hälfte resultiert aus einem Foulelfmet­er.

Co-trainer Marcus Sorg erläuterte aber am Tag danach, weshalb man Füllkrug keine Einsatzgar­antie ausspreche­n könne: „Ein Stoßstürme­r gibt einem Optionen, ist aber nicht das Allheilmit­tel.“Es sei nicht die entscheide­nde Frage, ob man mit echter oder falscher Neun spiele, sondern man brauche „Spieler auf dem Platz , die Tore schießen“. Dieser Argument folgend, spräche nun allerdings wenig gegen Einsatz Füllkrugs gegen Costa Rica am Donnerstag. Aber auch diese Entscheidu­ng wird der Stürmer, der als Haupterwer­b für den Bundesliga­aufsteiger SV Werder Bremen aufläuft, wohl ganz entspannt entgegenbl­icken. Die Argumente sind auf seiner Seite. (Foto: dpa)

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