Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Der Fußball hat gezeigt, welche Brücken er bauen kann“
Bei der WM 1998 trafen die USA und der Iran erstmals aufeinander – wie heute ein Hochrisikospiel. Mittendrin: Schiedsrichter Urs Meier. Wie der Schweizer das Spiel erlebte.
Augsburg Wenn am Dienstag die USA und der Iran in der Gruppenphase der Fußball-wm aufeinandertreffen (20 Uhr, ARD und Magentatv), ist es eine Partie, die wie kein anderes politisch aufgeladen ist. Beide Atommächte stehen sich in offen gezeigter Ablehnung gegenüber, seit 1980 sind die diplomatischen Beziehungen abgebrochen. Das Spiel in der Gruppe B wird somit ein weiteres Kapitel in der wohl politischsten Fußball-wm aller Zeiten sein – und Erinnerungen an die WM 1998 hervorrufen. Auch damals standen sich die beiden Nationen in der Gruppenphase gegenüber, es ist bis heute das einzige Aufeinandertreffen.
Mit einem gemeinsamen Mannschaftsfoto schrieben die beiden Teams Fußball-historie: Anders als ihre Nationen setzen sie ein Zeichen für die Völkerverständigung. Einer, der damals mittendrin war, ist Urs Meier. Der Schweizer leitete als Schiedsrichter die Partie und sagt heute darüber: „Da ist etwas Einzigartiges geschehen.“
Einzigartig dürfte auch die Herausforderung im Vorfeld für Meier gewesen sein: Für den damals 39-Jährigen war es das erste Wmspiel seiner Karriere. Und dann gleich eines, bei dem nicht nur die sportliche, sondern auch die politische Welt zusieht. Wer kann das wollen? Meier wollte das: „Als die Wm-gruppen im Dezember 1997 ausgelost wurden, habe ich das Spiel gesehen und wusste: Das wird mein Spiel. Ich will das leiten.“Eine größere Herausforderung bot schließlich keine andere Partie der Gruppenphase. Dabei stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal fest, ob Meier für die WM vom Schweizer Fußballverband nominiert werden würde. Als er Anfang 1998 als Schweizer Wm-referee nominiert wurde, begann die Vorbereitung auf das Turnier in Frankreich – und das Spiel, das seines werden sollte.
Meier erinnert sich: „Meine Trainingsstrecke führte durch ein Weinanbaugebiet. Dort gab es eine Treppe mit 300 Stufen, die ich immer hochgelaufen bin. Auf der obersten Stufe stand Fifa als Zeichen für die WM, auf der zweitobersten habe ich ‘USA gegen Iran’ geschrieben.“Es war ein Wunsch, auf dessen Erfüllung Meier keinen Einfluss hatte – aus naheliegenden Gründen darf kein Schiedsrichter Wünsche abgeben, welches Spiel er leiten möchte. Eine Woche vor dem Start der WM versammelte der Fußball-weltverband alle an dem Turnier beteiligten Schiedsrichter in einem Frauenkloster. Eines Abends war es so weit: In überdimensioniert großen Briefumschlägen teilte die Fifa den Unparteiischen mit, wer welche Partie leiten würde. „Ich saß mit Bernd Heynemann aus Deutschland und Günter Benkö aus Österreich im Tisch“, so Meier. Während alle ihre Umschläge öffneten, ließ der Schweizer seinen verschlossen. Letztlich war es Benkö, der den Umschlag öffnete und Meier dessen Inhalt präsentierte: USA – Iran.
Wie delikat die Lage ist, wurde Meier vor der Partie nochmals deutlich, so Meier: „Es war eine unglaubliche Nervosität da, bei der Fifa und bei der französischen Regierung.“Bei der Sicherheitsbesprechung am Abend vor dem Spiel habe der damalige Fifadelegierte, der Schweizer Rene Hüssy, die Situation entspannt. „Er sagte ganz langsam: Gentleman. Tomorrow, it’s only a football game. Zweimal.“Als die Iraner und die Usamerikaner sich musterten, kam Meier die Idee: „Wir müssen der Welt zeigen, wie wir im Fußball miteinander umgehen. Was gibt es Schöneres als ein gemeinsames Gruppenfoto?“
Als beide Mannschaften an jenem historischen Abend des 21. Juni 1998 im Stade de Gerland in Lyon auf den Platz einliefen, war es so weit: Vor dem Anpfiff stellten sich die beiden Nationalmannschaften zu einem Foto auf. Amerikaner, die sich mit Iranern in den Armen liegen – ein Bild, das auf politischer Ebene undenkbar wäre, lieferte der heute wegen seiner Kommerzialisierung und Gewissenlosigkeit oft gescholtene Fußball. Und es war ein Bild, das in die Welt getragen wurde: „Es waren doppelt so viele Fotografen da wie sonst. Und diese zehn Sekunden im Blitzlichtgewitter zu erleben – das war der tiefste Moment meiner Karriere. Nur um das zu erleben, hat es sich gelohnt, Schiedsrichter zu sein“, so Meier heute. Seither sind 24 Jahre vergangen – und politisch hat sich die Lage zwischen beiden Nationen nicht entschärft. Dazu kommt aktuell das gewaltsame Niederschlagen der Proteste im Iran durch das Mullah-regime. Hunderte Menschen wurden bislang in dem Staat getötet, Tausende verhaftet. Was sich Meier vor dem erneuten Aufeinandertreffen der beiden Mannschaften wünscht? Ein Zeichen – nicht mehr und nicht weniger. „Ich hoffe, dass dieses Bild von der WM 98 kopiert wird. Der Fußball hat gezeigt, welche Brücken er bauen kann.“(Foto: dpa)