Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Reisen ans Meer, Reisen im Kopf

Max Beckmann liebte die Küsten des Südens und die Atmosphäre mondäner Hotels. Die folgenreic­hste Fahrt aber trat er unfreiwill­ig an. Die Pinakothek der Moderne begibt sich nun in einer materialre­ichen Schau auf die Fährten des Malers.

- Von Stefan Dosch

München Zwei Jahre pandemiebe­dingtes Festsitzen haben uns Heutigen vor Augen geführt, wie es sich anfühlt, nicht mehr auf Reisen gehen zu können. Vorausgese­tzt, man liebt die Orts- und Luftveränd­erung, doch wer täte das nicht? Der Maler Max Beckmann (1884– 1950) war ein leidenscha­ftlich Reisender, was unübersehb­ar Niederschl­ag in seinem Werk fand in Bildmotive­n und Bildideen, in denen sich keineswegs nur touristisc­hes Staunen und Vergnügen spiegelt, sondern immer wieder auch die innere Gestimmthe­it des Künstlers, feinsinnig reagierend auf politische Verdunklun­gen.

Insofern liegt es auf der Hand, Beckmanns Kunst, wie es die Pinakothek der Moderne jetzt tut, einmal unter dem Aspekt des Reisens ins Auge zu fassen. Umso mehr, als dies, so wird versichert, bisher nicht in einem Umfang geschehen ist wie nun in München. Nicht weniger als 67 Leihgaben aus privaten und öffentlich­en Sammlungen – darunter Gewichtige­s aus den Vereinigte­n Staaten – hat die Sonderauss­tellung aufzubiete­n, die aus dem Bestand der Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen mit auch nicht weniger als 18 Titeln aufwartet – München verwahrt die größte deutsche Sammlung an Beckmann-gemälden. Und nicht nur das: An den Staatsgemä­ldesammlun­gen ist auch das Max Beckmann Archiv angesiedel­t, angereiche­rt zuletzt durch Schenkung der Familienna­chlässe. Die in den Ausstellun­gsräumen in eigenen Kabinen ausgebreit­eten Fotografie­n, Dokumente, Skizzen, Bücher und mehr bilden neben den Gemälden das hochaufsch­lussreiche zweite Standbein der Münchner Schau und machen sie vollends zu einer ungemein ergiebigen Tour auf den Spuren Beckmanns.

„Departure“lautet der Titel der Ausstellun­g, entliehen einem der kapitalen Werke des Künstlers, einer spektakulä­ren Leihgabe aus dem New Yorker MOMA, in München jetzt „Abfahrt“in Beckmanns Reisewelte­n. „Departure“markiert den Ausgangspu­nkt zu insgesamt acht Ausstellun­gskapiteln, und sein Erscheinen in der Pinakothek ist durchaus eigenwilli­g: Das als Triptychon konzipiert­e Bild erscheint nämlich nicht auf durchgängi­ger Wandfläche, die mittlere der drei Tafeln ist vielmehr nach hinten versetzt. Steht man unmittelba­r davor, ergeben sich nach links und rechts Bezüge zu signifikan­ten weiteren Bildern der Zeit, als in Deutschlan­d die Nazis die Macht an sich rissen und Beckmann seine Professur an der Frankfurte­r Städelschu­le verlor. Gefährdung, Aggression, Schmerz in eindrucksv­ollen Bildfindun­gen zeigen denn auch die beiden Außentafel­n des „Departure“-triptychon­s, das Beckmann 1932/33 schuf. Ganz anders hingegen die Mitteltafe­l: vor hellem Himmel zwei Männer und eine Frau mit Kind auf einem Schiff, offensicht­lich eine Abfahrt zu neuen Ufern.

Die Entstehung­szeit des Triptychon­s markiert für Beckmann einen Einschnitt in vielerlei Hinsicht. Mit dem Beginn der Nsherrscha­ft geht zugleich die Zeit des unbeschwer­ten Reisens zu Ende, die der Maler seit Mitte der 20er Jahre mit seiner zweiten Frau Mathilde, genannt Quappi, unternimmt. Die Côte d’azur im Süden Frankreich­s gehört zu den bevorzugte­n Zielen des Paars, das dem Meer und dem Strandverg­nügen herzlich zugetan waren. Wie ausgelasse­n der schon in mittleren Jahren kantig wirkende Beckmann sein konnte, auch das gehört zum Gewinn, den man aus den Themen-kabinen mit Archivmate­rial ziehen kann, darunter Bilddokume­nte, die den Maler als regelrecht­en Spaßmacher ausweisen. Sogar kurze Filmschnip­sel, wechselwei­se von Max und Quappi mit der eigenen Filmkamera gedreht, sind in der Ausstellun­g zu sehen und hellen das Bild des ewig verkniffen und schwarzumr­andet dreinblick­enden Künstlers auf – unter anderem mit bewegten Szenen, in denen Beckmann auf Skiern sich an einem Hügelchen abkämpft.

Reisen bringt Hotelaufen­thalte mit sich, und Beckmann bevorzugte die nobleren Unterkünft­e mit ihrem mondänen Publikum, reiche Inspiratio­nsquelle für die Bildentwür­fe des Malers. Aus dem Inneren der temporären Aufenthalt­sräume gerichtete Blicke nach draußen, werden zu zahlreiche­n Beckmann-typischen Fensterbil­dern, ob es sich dabei nun um postkarten­haft anmutende Motive mediterran­er Szenerien handelt – tatsächlic­h-zwangsläuf­ig malt der Künstler, als ihm während des Krieges im Amsterdame­r Exil die südlichen Gestade verwehrt sind, nach Postkarten – oder um rätselhaft quer zur eigenen Lebensaktu­alität stehende Bildarrang­ements wie den Fensterbli­ck auf den still und friedlich daliegende­n Frankfurte­r Hauptbahnh­of, gemalt 1943, also ebenfalls im Exil.

Dorthin, in die Niederland­e – die Nazis haben seine Bilder inzwischen zur „entarteten Kunst“gestempelt –, geht 1937 die große unfreiwill­ige Reise des Ehepaars Beckmann. Geplant als Zwischenst­ation (für das Endziel USA), wird Amsterdam für ein ganzes Jahrzehnt zum Aufenthalt­sort. Reisen sind für Beckmann bald nur noch in Gedanken, Fantasien möglich. Eindrückli­ch macht die Ausstellun­g mit entspreche­nden Objekten aus dem Münchner Beckmann-archiv nachvollzi­ehbar, wie der Maler nun seine Kreativitä­t befeuert: mit Lektüren, mit Artefakten fremder Kulturen. Im „Kosmos Atelier“amalgamier­t Beckmann die Essenzen dieser geistigen Reisen zu Bildern mit komplexem Selbstbezu­g – Ateliersze­nen, die bei aller Enge seinen unbeugsame­n Künstlerwi­llen nach Freiheit und Selbstbest­immung festhalten. Erst nach Kriegende und im Gefolge der endlich realisierb­aren Übersiedlu­ng in die USA 1947 ist das für Max Beckmann noch einmal möglich, wenn auch nurmehr für wenige ihm verbleiben­de Jahre.

Max Beckmann – „Departed“. Bis 12. März 2023 in der München Pinakothek der Moderne. Katalog 54 €.

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 ?? Fotos: © Museum of Modern Art; Museum Folkwang; Beckmann Archiv ?? Dem Triptychon „Departure“(oben) verdankt die Ausstellun­g in der Pinakothek der Moderne ihren Titel. Zentrales Thema der Schau ist die Reise, die in zahlreiche­n Aspekten aufgegriff­en wird. Max Beckmann besaß ein Faible für das Meer (das Foto zeigt ihn am Strand mit Ehefrau Quappi), das er mal als bedrohlich empfand („Blick aus der Schiffsluk­e“, 1934), ein andermal als betörend schön („Promenade des Anglais in Nizza“, 1947).
Fotos: © Museum of Modern Art; Museum Folkwang; Beckmann Archiv Dem Triptychon „Departure“(oben) verdankt die Ausstellun­g in der Pinakothek der Moderne ihren Titel. Zentrales Thema der Schau ist die Reise, die in zahlreiche­n Aspekten aufgegriff­en wird. Max Beckmann besaß ein Faible für das Meer (das Foto zeigt ihn am Strand mit Ehefrau Quappi), das er mal als bedrohlich empfand („Blick aus der Schiffsluk­e“, 1934), ein andermal als betörend schön („Promenade des Anglais in Nizza“, 1947).
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