Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Reisen ans Meer, Reisen im Kopf
Max Beckmann liebte die Küsten des Südens und die Atmosphäre mondäner Hotels. Die folgenreichste Fahrt aber trat er unfreiwillig an. Die Pinakothek der Moderne begibt sich nun in einer materialreichen Schau auf die Fährten des Malers.
München Zwei Jahre pandemiebedingtes Festsitzen haben uns Heutigen vor Augen geführt, wie es sich anfühlt, nicht mehr auf Reisen gehen zu können. Vorausgesetzt, man liebt die Orts- und Luftveränderung, doch wer täte das nicht? Der Maler Max Beckmann (1884– 1950) war ein leidenschaftlich Reisender, was unübersehbar Niederschlag in seinem Werk fand in Bildmotiven und Bildideen, in denen sich keineswegs nur touristisches Staunen und Vergnügen spiegelt, sondern immer wieder auch die innere Gestimmtheit des Künstlers, feinsinnig reagierend auf politische Verdunklungen.
Insofern liegt es auf der Hand, Beckmanns Kunst, wie es die Pinakothek der Moderne jetzt tut, einmal unter dem Aspekt des Reisens ins Auge zu fassen. Umso mehr, als dies, so wird versichert, bisher nicht in einem Umfang geschehen ist wie nun in München. Nicht weniger als 67 Leihgaben aus privaten und öffentlichen Sammlungen – darunter Gewichtiges aus den Vereinigten Staaten – hat die Sonderausstellung aufzubieten, die aus dem Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen mit auch nicht weniger als 18 Titeln aufwartet – München verwahrt die größte deutsche Sammlung an Beckmann-gemälden. Und nicht nur das: An den Staatsgemäldesammlungen ist auch das Max Beckmann Archiv angesiedelt, angereichert zuletzt durch Schenkung der Familiennachlässe. Die in den Ausstellungsräumen in eigenen Kabinen ausgebreiteten Fotografien, Dokumente, Skizzen, Bücher und mehr bilden neben den Gemälden das hochaufschlussreiche zweite Standbein der Münchner Schau und machen sie vollends zu einer ungemein ergiebigen Tour auf den Spuren Beckmanns.
„Departure“lautet der Titel der Ausstellung, entliehen einem der kapitalen Werke des Künstlers, einer spektakulären Leihgabe aus dem New Yorker MOMA, in München jetzt „Abfahrt“in Beckmanns Reisewelten. „Departure“markiert den Ausgangspunkt zu insgesamt acht Ausstellungskapiteln, und sein Erscheinen in der Pinakothek ist durchaus eigenwillig: Das als Triptychon konzipierte Bild erscheint nämlich nicht auf durchgängiger Wandfläche, die mittlere der drei Tafeln ist vielmehr nach hinten versetzt. Steht man unmittelbar davor, ergeben sich nach links und rechts Bezüge zu signifikanten weiteren Bildern der Zeit, als in Deutschland die Nazis die Macht an sich rissen und Beckmann seine Professur an der Frankfurter Städelschule verlor. Gefährdung, Aggression, Schmerz in eindrucksvollen Bildfindungen zeigen denn auch die beiden Außentafeln des „Departure“-triptychons, das Beckmann 1932/33 schuf. Ganz anders hingegen die Mitteltafel: vor hellem Himmel zwei Männer und eine Frau mit Kind auf einem Schiff, offensichtlich eine Abfahrt zu neuen Ufern.
Die Entstehungszeit des Triptychons markiert für Beckmann einen Einschnitt in vielerlei Hinsicht. Mit dem Beginn der Nsherrschaft geht zugleich die Zeit des unbeschwerten Reisens zu Ende, die der Maler seit Mitte der 20er Jahre mit seiner zweiten Frau Mathilde, genannt Quappi, unternimmt. Die Côte d’azur im Süden Frankreichs gehört zu den bevorzugten Zielen des Paars, das dem Meer und dem Strandvergnügen herzlich zugetan waren. Wie ausgelassen der schon in mittleren Jahren kantig wirkende Beckmann sein konnte, auch das gehört zum Gewinn, den man aus den Themen-kabinen mit Archivmaterial ziehen kann, darunter Bilddokumente, die den Maler als regelrechten Spaßmacher ausweisen. Sogar kurze Filmschnipsel, wechselweise von Max und Quappi mit der eigenen Filmkamera gedreht, sind in der Ausstellung zu sehen und hellen das Bild des ewig verkniffen und schwarzumrandet dreinblickenden Künstlers auf – unter anderem mit bewegten Szenen, in denen Beckmann auf Skiern sich an einem Hügelchen abkämpft.
Reisen bringt Hotelaufenthalte mit sich, und Beckmann bevorzugte die nobleren Unterkünfte mit ihrem mondänen Publikum, reiche Inspirationsquelle für die Bildentwürfe des Malers. Aus dem Inneren der temporären Aufenthaltsräume gerichtete Blicke nach draußen, werden zu zahlreichen Beckmann-typischen Fensterbildern, ob es sich dabei nun um postkartenhaft anmutende Motive mediterraner Szenerien handelt – tatsächlich-zwangsläufig malt der Künstler, als ihm während des Krieges im Amsterdamer Exil die südlichen Gestade verwehrt sind, nach Postkarten – oder um rätselhaft quer zur eigenen Lebensaktualität stehende Bildarrangements wie den Fensterblick auf den still und friedlich daliegenden Frankfurter Hauptbahnhof, gemalt 1943, also ebenfalls im Exil.
Dorthin, in die Niederlande – die Nazis haben seine Bilder inzwischen zur „entarteten Kunst“gestempelt –, geht 1937 die große unfreiwillige Reise des Ehepaars Beckmann. Geplant als Zwischenstation (für das Endziel USA), wird Amsterdam für ein ganzes Jahrzehnt zum Aufenthaltsort. Reisen sind für Beckmann bald nur noch in Gedanken, Fantasien möglich. Eindrücklich macht die Ausstellung mit entsprechenden Objekten aus dem Münchner Beckmann-archiv nachvollziehbar, wie der Maler nun seine Kreativität befeuert: mit Lektüren, mit Artefakten fremder Kulturen. Im „Kosmos Atelier“amalgamiert Beckmann die Essenzen dieser geistigen Reisen zu Bildern mit komplexem Selbstbezug – Atelierszenen, die bei aller Enge seinen unbeugsamen Künstlerwillen nach Freiheit und Selbstbestimmung festhalten. Erst nach Kriegende und im Gefolge der endlich realisierbaren Übersiedlung in die USA 1947 ist das für Max Beckmann noch einmal möglich, wenn auch nurmehr für wenige ihm verbleibende Jahre.
Max Beckmann – „Departed“. Bis 12. März 2023 in der München Pinakothek der Moderne. Katalog 54 €.