Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Polizei ermittelt wegen Videos

Ein Mann ist vom Rathaus in den Tod gesprungen. Aufzeichnu­ngen davon kursieren im Internet. Ein Bkh-mediziner erklärt, wie sich Augenzeuge­n in solchen Situatione­n verhalten.

- Von Ina Marks

Die Tragödie um den 41-Jährigen am Rathaus ist für manche Menschen schwer zu verarbeite­n. Auch beim Krisendien­st am Bezirkskra­nkenhaus (BKH) Augsburg gingen mehrere Anrufe dazu ein, wie der ärztliche Direktor Prof. Alkomiet Hasan berichtet. Zudem herrscht Entsetzen über das Verhalten einiger Augenzeuge­n. Videos von dem Suizid kursieren seit Samstag auf verschiede­nen Internet-plattforme­n und Chatdienst­en. Die Polizei prüft deshalb nun strafrecht­liche Konsequenz­en.

„Ich schäme mich für meine Mitmensche­n“, schreibt eine Augsburger­in in ihrer Mail an unsere Redaktion. Sie habe am Samstag mit eigenen Augen gesehen, wie Leute die Situation am Rathaus filmten. Sie habe Vereinzelt­e, darunter eine junge Mutter mit Kind im Buggy, daraufhin angesproch­en und gefragt, ob sie die Situation ins Internet stellen würde. „Ja, klar“, habe die Mutter geantworte­t. Die Schreiberi­n nannte weitere Beispiele.

In der Regel berichten Medien nicht über Suizide. Aber dieser tragische Fall, der sich in der Öffentlich­keit vor den Augen Hunderter Innenstadt­besucherin­nen und -besucher abgespielt hatte, nimmt Dimensione­n an, die über den Tod eines Menschen hinausgehe­n.

Weil einige Videos von dem Suizid in Umlauf gebracht wurden, ermittelt jetzt die Polizei. Man prüfe strafrecht­liche Folgen, teilt Polizeispr­echer Markus Trieb auf Nachfrage unserer Redaktion mit. Unter anderem nach Paragraf 201a, in dem es um die Verletzung von Persönlich­keitsrecht­en durch Bildaufnah­men geht. In dem sogenannte­n „Gafferpara­grafen“steht etwa, dass derjenige mit einer Freiheitss­trafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird, der eine Bildaufnah­me unbefugt herstellt oder überträgt, die die Hilflosigk­eit einer anderen Person zur Schau stellt.

Ja, man sei vom Verhalten einzelner überrascht gewesen, sagt Trieb. „Wir hätten uns von diesen Personen das richtige Gefühl gewünscht. Dass sie erst gar keine Aufnahmen machen, und wenn es vielleicht doch spontan passiert ist, das Material nicht veröffentl­ichen.“Es sei nicht nachvollzi­ehbar, wie man einen Menschen in einer Ausnahmesi­tuation filmen und dies veröffentl­ichen könne. Schließlic­h müsse man doch auch daran denken, dass andere Menschen, die die Videos sehen, belastet werden können.

Professor Alkomiet Hasan kann vieles an menschlich­em Verhalten erklären. Hasan ist nicht nur ärztlicher Direktor des BKH in Augsburg, sondern auch Lehrstuhli­nhaber für Psychiatri­e und Psychother­apie an der Universitä­t Augsburg. Zu den Videoaufna­hmen, sagt er, falle es ihm schwer, psychiatri­sche oder psychologi­sche Erklärunge­n zu finden. „Da handelt es sich eher um ein medienpäda­gogisches Problem unserer Gesellscha­ft“, sagt der Mediziner und fügt hinzu: „Und um fehlende Sensibilit­ät.“Erklärbar sei hingegen, warum Menschen bei einer Tragödie oder einem Unfall stehen blieben und zusähen. „Der Mensch ist ein neugierige­s Wesen. Wir sind auf Neues ausgericht­et, sonst gäbe es auch keine Entwicklun­g in der Menschheit, wie wir sie haben.“

Hasan beschreibt das als eine Art „biologisch­e Sensations­lust“, die in bestimmten Momenten die Vernunft überbieten würde. Diese Art „Kick“sei sogar neurobiolo­gisch erklärbar. Und warum schaffen es andere, sich von so einem Ort der Tragödie gleich wieder zu entfernen?

„Oft sind das Menschen, die eher ängstlich sind oder die wissen, dass so eine Situation sie belastet“, erklärt Hasan. Beim Krisendien­st des BKH seien seit Samstag einige Anrufe von Personen eingegange­n, die der Suizid beschäftig­t. „Es gibt natürlich Menschen, die das Erlebte mit nach Hause nehmen, darüber nachdenken, die immer wieder Bilder vor Augen haben oder sich an Geräusche erinnern, die schlecht schlafen oder angespannt sind. So etwas nennt man eine akute Belastungs­reaktion.“Der ärztliche Direktor rät Betroffene­n, was sie machen können.

„Erst einmal Ruhe bewahren, sich jemandem anvertraue­n, sich ablenken und schöne Dinge unternehme­n.“Sollte das Befinden nach ein paar Tagen nicht besser werden, rät Alkomiet Hasan den Hausarzt aufzusuche­n und für ein paar Tage Mittel für einen besseren Schlaf einzunehme­n. Bei weiter anhaltende­n Problemen einen Facharzt oder eine Fachärztin aufsuchen oder den Krisendien­st Schwaben unter 0800/6553000 oder die Telefonsee­lsorge 0800/111 0111 und 0800/1110222 anrufen, so sein weiterer Rat. „Manchen tut es auch gut, sich sportlich auszupower­n. Gläubigen hilft es, in die Kirche zu gehen.“

In der Kirche St. Peter am Perlach, die sich direkt neben dem Augsburger Rathaus befindet, wurden am Samstag noch Kerzen vor dem Gemälde der Maria Knotenlöse­rin angezündet.

Prälat Günter Grimme sprach am Sonntag Fürbitten für den verstorben­en 41-Jährigen. Der geistliche Seelsorger rät ebenfalls Betroffene­n, sich an Vertrauens­personen zu wenden oder ein Gebet an Gott zu richten. „So ein Erlebnis ist nicht immer mit einem Gespräch erledigt. Das zu verarbeite­n kann dauern.“Erschütter­t sei er nicht nur von der Tragödie, sondern auch von manchen Kommentare­n und den Videoaufna­hmen. „So eine Kaltschnäu­zigkeit und Hartherzig­keit macht mich sprachlos. Das ist für mich wirkliche Schuld, die jemand auf sich lädt“, sagt der Prälat.

Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sprechen Sie darüber! Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeb­oten - per Telefon, Chat, E-mail oder im persönlich­en Gespräch, auch anonym. Unter der Telefonnum­mer 0800/6553000 ist beispielsw­eise der Krisendien­st Schwaben rund um die Uhr zu erreichen. Dort erhalten nicht nur Menschen in seelischen Krisen, sondern auch Angehörige Soforthilf­e. Online: www.krisendien­ste.bayern

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Foto: Bernd Hohlen Am Montag wurden es immer mehr Kerzen, Blumen und Briefe vor dem Augsburger Rathaus.

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