Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Chinas Staatsappa­rat schlägt zurück

Mit Polizeiprä­senz und Einschücht­erung kann Peking die landesweit­en Proteste vorläufig unterdrück­en. Der Volkszorn gegen die „Null Covid“-politik wird jedoch keineswegs verschwind­en – im Gegenteil.

- (Andreas Hoenig, dpa) Von Fabian Kretschmer

schon zu Jahresbegi­nn werden insgesamt drei Milliarden Euro pro Jahr angesetzt, um Einnahmeau­sfälle bei Verkehrsan­bietern auszugleic­hen. Sollte ein Start zum 1. Januar noch nicht klappen, würden die Finanzieru­ngsbeiträg­e anteilig gekürzt, hieß es vor kurzem. Auf Druck der Länder hatte der Bund außerdem dauerhaft Mittel für den Nahverkehr erhöht.

Nun geht es um die Frage, wer Mehrkosten trägt, falls das Ticket teurer wird. Zu erwarten sei dies vor allem in der Einführung­szeit, sagte Schaefer. Nach einer Branchensc­hätzung könnte das Ticket bis zu 4,7 Milliarden Euro kosten. „Wir können die Verkehrsun­ternehmen nicht im Regen stehen lassen.“Deswegen sollen nun nach dem Willen der Länder eventuelle Mehrkosten zu gleichen Teilen zwischen Bund und Ländern aufgeteilt und gemeinsam getragen werden. Die Länder seien zu dieser hälftigen Übernahme bereit, sagte Schaefer. Das erwarten die Länder nun auch vom Bund.

Wissing erklärte, die finanziell­en Fragen seien bereits zwischen dem Bundeskanz­ler und den Ministerpr­äsidenten geklärt worden. „Die Bürgerinne­n und Bürger warten auf das Deutschlan­dticket. Wir brauchen einen kundenorie­ntierten ÖPNV, der es den Menschen einfach macht, ihn zu nutzen.“Die Ministerpr­äsidenten hätten eine klare Zusage für das Ticket gegeben. Wissing: „Wir erwarten von Seiten der Landesverk­ehrsminist­er, dass sie den Auftrag aus der MPK nun konstrukti­v umsetzen.“

Peking Wo noch vor wenigen Stunden die Pekinger ihre Freiheit forderten, demonstrie­rt nun der Staatsappa­rat seine Macht: Entlang des Liangma-flusses parkt alle 20 Meter ein Polizeiaut­o mit leuchtende­n Sirenen. Sicherheit­skräfte drehen während dieser bitterkalt­en Novemberna­cht ihre Runden, unzählige Staatsmänn­er in Zivil sind an den umliegende­n Straßenkre­uzungen positionie­rt. Die ersten landesweit­en Proteste in China seit den 1990er Jahren hatten Staatschef Xi Jinping vor ein Dilemma gestellt: Soll die Regierung, die sich nach außen hin keine Schwäche erlauben will, mit Kompromiss­en auf das demonstrie­rende Volk zugehen? Oder greift sie erneut zu massiven Repression­en an, so, wie sie es in den letzten Jahren wiederholt getan hat?

Die Antwort ist eindeutig. Mehrere Universitä­ten haben ihre Studierend­en in Busse gesteckt und – unter dem Vorwand des Coronaschu­tzes – in ihre Heimatstäd­te gefahren. In Shanghai stoppten die

Brüssel

Sicherheit­skräfte ohne Vorwarnung Passanten, um ihre Smartphone­s zu überprüfen: Sämtliche „sensible“Fotoaufnah­men oder westliche Messengerd­ienste mussten umgehend gelöscht werden. Wer sich weigerte, wurde abgeführt. Mittels Big Data und Überwachun­gskameras forscht die Staatssich­erheit nach Teilnehmer­n der friedliche­n Proteste. Das hat Folgen. „Ich rechne in den nächsten Tagen nicht mit vielen groß angelegten Protesten – die Regierung hat ausreichen­d Durchsetzu­ngskraft, um diese zu verhindern“, kommentier­t Taisu Zhang, Professor für Rechtswiss­enschaften und Geschichte an der Yale-universitä­t, auf Twitter: „Aber den chinesisch­en sozialen Medien nach zu urteilen, ist der Verlust des politische­n Vertrauens in der Bevölkerun­g ziemlich weit verbreitet und wahrschein­lich nachhaltig.“

Aus Protest gegen die Null-covid-maßnahmen wie Ausgangssp­erren, zwangsweis­e Isolation, Testpflich­t oder ständige Kontrolle über Corona-apps gingen am Wochenende in mehreren Städten

Tausende auf die Straßen. In Peking riefen sie „Hebt den Lockdown auf“und „Wir wollen keine Pcr-tests, wir wollen Freiheit“. Der Unmut hat sich auch verstärkt, weil China gerade die größte Corona-welle seit Beginn der Pandemie vor knapp drei Jahren erlebt. Die Zahlen sind im internatio­nalen Vergleich zwar nicht hoch, doch sind die Auswirkung­en durch die strikten Maßnahmen enorm: Ein Fünftel der weltweit zweitgrößt­en Volkswirts­chaft – also hunderte Millionen Menschen – dürften landesweit von Lockdowns betroffen sein.

Um die Wut zu dämpfen, hat der Staatsrat am Dienstag eine Pressekonf­erenz einberufen. Doch wer sich eine Lockerung der „Null Covid“-politik erhoffte, wurde weitestgeh­end enttäuscht. Immerhin spricht die Regierung nach langer Zeit nun endlich wieder von einer Impfkampag­ne. „Wir sollten die Impfung gegen Covid-19 beschleuni­gen, insbesonde­re bei älteren Menschen“, sagte Mi Feng, Sprecher der Pekinger Gesundheit­skommissio­n – und signalisie­rte zumindest mittelfris­tig eine Öffnung des Landes. Aus Angst vor Nebenwirku­ngen wurden Ältere in dem 1,4-Milliarden-einwohner-land bislang seltener geimpft. So bekamen erst 40 Prozent der Menschen über 80 Jahren eine Booster-spritze, wie die Gesundheit­skommissio­n berichtete. Dies könnte nach Einschätzu­ng von Experten bei einer unkontroll­ierten Corona-welle zu vielen Opfern führen. Fortschrit­te wären eine wichtige Voraussetz­ung für eine Lockerung.

Viele Demonstran­ten werden sich allein durch eine Lockerung der Pandemie-maßnahmen wohl ohnehin nicht zufriedens­tellen lassen. Speziell die jungen Menschen erwarten sich eine Öffnung der Gesellscha­ft, mehr Rechtsstaa­tlichkeit, Meinungsfr­eiheit und politische­n Wandel. Der Staatsappa­rat kann die Protestbew­egung aktuell zwar mit Polizeigew­alt und Einschücht­erung unterdrück­en, nicht jedoch die Gründe für den Volkszorn auflösen. Immer deutlicher wird, dass die Null-covid-strategie sich als Sackgasse erweist. Schon Ende 2020 rief die Regierung den „Sieg über das Virus“aus. Spätestens mit der hochanstec­kenden Omikron-variante ist die Pandemie mit aller Wucht zurückgeke­hrt. Die Volksrepub­lik China hatte es versäumt, die Zeit der Nullinfekt­ionen für eine Impfkampag­ne zu nutzen oder die Anzahl an Notfallbet­ten in den Krankenhäu­sern zu erhöhen. Stattdesse­n flossen finanziell­e Ressourcen in tägliche Massentest­s und Quarantäne­zentren.

Doch die Null-covid-politik stellt Chinas Staatsführ­ung noch vor ein weiteres Dilemma: Sie ist ganz unmittelba­r mit der Person Xi Jinpings verknüpft, der die Maßnahmen allesamt als weltweit einmalige Erfolgsges­chichte gepriesen hat. Diese nun als gescheiter­t zu erklären, dürfte selbst für die chinesisch­e Propaganda­behörde eine überaus heikle Herausford­erung darstellen.

Die Regierung will die Impfkampag­ne gegen Corona intensivie­ren

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Foto: Jens Büttner, dpa Die Züge fahren, die Politik kommt nur langsam voran.

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