Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Von Tilmann Mehl

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Wovon sich jemand überrasche­n lässt, sagt meist mehr über den Überrascht­en als über die Überraschu­ng aus. Wer beispielsw­eise verblüfft im Regen steht, hat den Wetterberi­cht nicht verfolgt. Wer sich auf Reisen begibt, steht Überraschu­ngen meist offen gegenüber, erwartet sie sogar freudig. Jene ausgeschlo­ssen, die mit dem Kegelklub alljährlic­h auf Mallorca einfallen. Sie erwarten anderes als Überraschu­ngen. Freudig erregt sind sie trotzdem.

Mitunter sind Reisende von einer an der Dämlichkei­t kratzenden Naivität geprägt. In Katar gerät der Besuch im Supermarkt ins Stocken, als der Blick auf den offensiv platzierte­n Verkaufsst­änder fällt, der allerhand Produkte zur Empfängnis­verhütung feilbietet. Kondome in Katar. Kommt unerwartet. Weil das doch dieses gesellscha­ftlich rückständi­ge Land ist, dass sich zwar dem modernen Handel verschrieb­en hat, aber auch antiquiert­en Moralvorst­ellungen.

Nun begibt es sich aber, dass im Islam die Verhütung (anders als es beispielsw­eise die katholisch­e Kirche lehrt) noch nie verboten war.

Habt Spaß und vermehret euch. Oder auch nicht. Prüderie entsteht im Kopf. Manche mag auch überrasche­n, dass unverschle­ierte Frauen zum normalen Straßenbil­d gehören. 90 Prozent der Einwohner und Einwohneri­nnen sind keine katarische­n Staatsbürg­er. Die meisten von ihnen führen ein wohlhabend­eres Leben, als sie es in ihren Heimatländ­ern tun könnten. Überrasche­nd – wenn man sich zuvor nicht informiert.

Nun soll an dieser Stelle nicht politisier­t (das wurde es aus gegebenem Anlass schon häufiger), sondern der Bogen zum Sport gespannt werden. Sex und Treffer haben ja auch viel gemein. Einige Spieler haben nach Toren schon behauptet, dieses Erfolgserl­ebnis sei besser als Sex. Was wiederum ihre Frauen überrascht haben könnte. Überrasche­nd nun aber auch, dass beispielsw­eise Saudiarabi­en und Marokko noch gute Chancen haben, ins Achtelfina­le dieser WM einzuziehe­n. Derlei Unvorherge­sehenes bietet dann eben doch nur der Sport – was wiederum nur wenig überrascht.

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Foto: Mehl Kondome im katarische­n Supermarkt. Ja, warum denn nicht?

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