Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Verein will bezahlbare­n Wohnraum schaffen – und dafür ein Haus kaufen

Leben in der Stadt können sich viele Menschen nicht mehr leisten. Ein Augsburger Verein möchte nun gemeinscha­ftlich eine Immobilie erwerben. Doch dafür braucht er Unterstütz­ung.

- Von Theresa Brandl

Hier könnten sie bald alle zusammen wohnen: in einem großen gelben Eckhaus an der Kahnfahrt, mit großem Garten und Platz für etwa 15 Personen. Ohne gezwungen zu sein, die Stadt wegen rasant steigender Mieten zu verlassen. Der Verein „Pa*radieschen“setzt sich dafür ein, dass Wohnraum in Augsburg für alle verfügbar und bezahlbar wird. Gemeinsam wollen sie das Haus an der Kahnfahrt kaufen. Für sich und für Menschen, die sich die Mieten nicht anders leisten können.

Emanuel Denzel ist 30 Jahre alt und war von Anfang an dabei. Während des Studiums lebte er in einer Wohngemein­schaft. Mit seinen Mitbewohne­rinnen und Mitbewohne­rn hat er viel über alternativ­e Wohnformen diskutiert, so kam die Idee zum „Par*adieschen“.

Denzel selbst ist Softwareen­twickler und könnte es sich leisten, weiterhin Miete zu bezahlen. Doch „mit einer Mietwohnun­g finanziere ich eine Person, die ich gegebenenf­alls gar nicht kenne“, sagt er. In Zukunft wolle er mit seiner Miete einen guten Zweck unterstütz­en.

Fünf Jahre hat es gedauert, bis sie die perfekte Immobilie gefunden haben. Hilfe bekommt der Verein vom „Mietshäuse­r Syndikat“, einer Organisati­on, die soziale Wohnprojek­te unterstütz­t. Die Idee: Das Haus soll nach dem Kauf in den Besitz einer eigens gegründete­n Gmbh übergehen. Mitglieder dieser Gmbh sind der Verein, dem alle Mitbewohne­rinnen und Mitbewohne­r angehören – und das Mietshäuse­r-syndikat. Bei Entscheidu­ngen sind beide stimmberec­htigt: Der Mietverein darf eigenständ­ig darüber bestimmen, was mit dem Haus passiert. Doch das Mietshäuse­r-syndikat hat ein Vetorecht.

Zunächst brauchen die zukünftige­n Mieterinne­n und Mieter jedoch Geld. Deshalb richtet sich der Verein seit einiger Zeit auch an die Öffentlich­keit. Der Finanzieru­ngsplan

sieht vor, dass ein großer Teil des Kaufpreise­s über Direktkred­ite abgegolten wird. Die Direktkred­ite braucht der Verein, um bei der Bewerbung um einen Bankkredit Eigenkapit­al vorweisen zu können. Privatpers­onen leihen dem Verein einen Teil ihres Geldes und bekommen es über die Mieten gering verzinst zurück. Doch die Zeit drängt. Der derzeitige Besitzer des Hauses möchte Ende dieses Jahres verkaufen. Preis: 2,4 Millionen Euro.

Emanuel Denzel ist bewusst, dass es aktuell schwierig ist, um Geld zu bitten. „Viele Leute haben gerade wegen der Energiepre­ise massive Probleme, überhaupt ihre eigene Miete zu bezahlen. Diese Menschen wollen wir mit unserem Aufruf nicht ansprechen. Wir wenden uns nur an Personen, die Geld für eine soziale Anlage übrig haben“, sagt er. Man muss wissen: Bei einer Insolvenz der Haus Gmbh würden zunächst Bankkredit­e bedient, dann folgen erst die Direktkred­ite. Und sollte die Zahlungsfä­higkeit der Gmbh durch die Forderunge­n der Unterstütz­er gefährdet sein, muss kein Geld zurückgeza­hlt werden. Es ist also eine Anlage mit einem Risiko. Und welche Vorteile ergeben sich für die Unterstütz­er? Im Haus wohnen werden sie nicht können, die Plätze, sagt Denzel, seien im Grunde bereits belegt. Doch er argumentie­rt: „Sie helfen mit, dass dieses Haus nicht an Investoren verkauft wird, und setzen ein Zeichen dafür, dass anstelle von Luxussanie­rung ein Wohnraum mit langfristi­g bezahlbare­n Mieten entsteht.“

Tatsächlic­h ist das auch für Maximilian Schorer der ausschlagg­ebende Grund, warum er dem Projekt Geld leihen wird: „Das Mietshäuse­r

Syndikat trägt dazu bei, dem hochspekul­ativen Immobilien­markt Gebäude zu entziehen“, sagt er. Der 29-Jährige studiert Umweltethi­k in Augsburg und wäre damit einverstan­den, wenn er am Ende keine Zinsen, sondern nur das geliehene Geld zurückbekä­me. „Wenn man die Inflation mitbetrach­tet, ist es wahrschein­lich ein Minusgesch­äft“, gesteht er, „aber das ist es mir für diesen Zweck wert.“

Zugute kommt das Menschen wie der 27-jährige Franziska Falterer. Sie will in das Haus einziehen. Falterer arbeitet derzeit bei einer NGO, die sich für mehr Demokratie starkmacht. „Eine NGO hat nicht Unmengen an Geld, deshalb verdiene ich auch ein entspreche­nd geringes Gehalt“, sagt sie. Soziales Engagement ist ihr aber wichtig. Deshalb arbeitet sie nur 20 Stunden die Woche, den Rest der Zeit engagiert sie sich ehrenamtli­ch für soziale Zwecke. „Das funktionie­rt aber nicht, wenn ich eine bestimmte Summe brauche, um meine Miete zu finanziere­n.“Das Gemeinscha­ftsprojekt wäre für sie langfristi­g die einzige Möglichkei­t, ihr Leben weiterhin so führen zu können.

Am Ende soll das Haus an der Kahnfahrt aber nicht nur den Bewohnerin­nen und Bewohnern dienen. 100 Quadratmet­er Fläche im Keller des Hauses sollen zur allgemeine­n Verfügung stehen. Vorstellba­r wären beispielsw­eise ein Spenden-café, eine Anlaufstel­le für Foodsharin­g oder Sport- und Gästezimme­r. Die sollen dann der Allgemeinh­eit offen stehen. Am Donnerstag findet um 19 Uhr ein Infotreffe­n in der Klauckestr­aße 16 statt.

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Foto: Peter Fastl Die Gruppe will das Haus an der Kahnfahrt kaufen, um günstigen Wohnraum zu schaffen.

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