Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Zu wenig Lehrer? Eltern ins Klassenzim­mer!

Leitartike­l Quereinste­iger, mehr Stunden, weniger Teilzeit: Die Ideen gegen den Lehrermang­el wiederhole­n sich endlos. Es ist Zeit, viel weiter zu denken.

- Von Sarah Ritschel

Im Grunde ist an Bayerns Schulen jeder Unterricht­stag ein Rechtsbruc­h. Denn Lehrerinne­n und Lehrer können schon lange nicht mehr leisten, was das bayerische Erziehungs­und Unterricht­sgesetz von ihnen verlangt. Konnten sie vielleicht noch nie, wenn man ehrlich ist.

Elf Gebote sind es insgesamt im BAYEUG, der Gesetzesbi­bel für die Schulen. Etwa heißt es darin: Lehrkräfte sollen Wissen und Können vermitteln. Sie sollen Kinder und Jugendlich­e in die Lage versetzen, selbst zu urteilen, Verantwort­ung für ihr Handeln zu übernehmen. Toleranz sollen sie lehren. Gleichzeit­ig ein europäisch­es Bewusstsei­n wecken und die Liebe der Schüler zur Heimat. Kämpfer für den Rechtsstaa­t sollen die Kinder einmal sein, ebenso für die Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er. Fakt ist: Nicht einmal ihre erste Aufgabe, Wissen vermitteln, können Lehrkräfte noch so ausfüllen, wie sie gerne würden. Dafür sind sie im Laufe der Jahre schlicht zu wenige geworden in den Klassenzim­mern. Die Leistungen der Schülerinn­en und Schüler sinken, das ist längst bewiesen. Was wächst, ist die soziale Kluft und für immer mehr Jugendlich­e das Risiko, ohne Abschluss die Schule zu verlassen.

Deswegen ist es Zeit, jeden Stein umzudrehen auf der Suche nach Lehrkräfte­n und vor allem nach Lösungen. Man sollte nachdenken dürfen über mutige Experiment­e und kühne Lernideen, ohne dass jemand gleich das Ende der Bildungsqu­alität heraufbesc­hwört. Mit der ist es definitiv irgendwann vorbei, wenn es so weitergeht wie bisher.

Schulen brauchen Retterinne­n und Retter. Sie brauchen Verwaltung­skräfte, die den verblieben­en Pädagoginn­en und Fachlehrer­n Zeit freiräumen für das, wofür sie alle einmal studiert haben: für die Arbeit im Klassenzim­mer, für guten Unterricht. Der Staat muss Stellen für Verwaltung­spersonal schaffen, die Klassenlis­ten führen und Elternaben­de organisier­en, sich um alles Bürokratis­che kümmern. Korrektura­ssistentin­nen und -assistente­n, wo immer das sinnvoll ist. Und wenn die Künstliche Intelligen­z das nächste Arbeitsbla­tt erstellt, auch okay.

Warum nicht auch nachdenken über engagierte Eltern und Ehrenamtli­che? Schon jetzt gibt es Erfolgsbei­spiele – etwa an einer Gesamtschu­le in Niedersach­sen. Dort übernehmen Mütter und Väter freiwillig pro Woche zwei Schulstund­en. Sie kochen mit den Kindern und Jugendlich­en, spielen Hockey oder erkunden gemeinsam ihre Stadt. Der Lehrplan wird dort nicht durchgepau­kt. Aber das Projekt erzieht Schüler – Stichwort Unterricht­sgesetz – zu selbststän­digen, gemeinscha­ftsfähigen Wesen. Und jede Woche sprechen Eltern und Lehrer alles Erlebte pädagogisc­h durch.

Auch Musikschul­en und Sportverei­ne könnten einspringe­n, wo Stunden sonst auszufalle­n drohen. Sie sollen mit ihren Musik- und Bewegungsa­ngeboten ohnehin mehr an Schulen einbezogen werden, wenn bald der Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung kommt. Da sollten Schulen auch jetzt schon die Chancen in ihrem Ort oder ihrer Stadt nutzen (dürfen).

Natürlich, solche Ideen sind nicht überall umzusetzen. Müssen sie auch nicht. Aber bisher haben fast alle Notfallwer­kzeuge gegen den Personalma­ngel eins gemeinsam – seien es Mehrarbeit für die verblieben­en Lehrkräfte, Teilzeitei­nschränkun­gen oder die Streichung des verfrühten Ruhestands: Sie alle machen den Lehrerberu­f noch unattrakti­ver. Und damit ist langfristi­g niemandem geholfen.

Mehrarbeit macht den Beruf immer unattrakti­ver

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