Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rivalen in der Regierung

Annalena Baerbock hat sich als Außenminis­terin profiliert und stellte sogar den Kanzler in den Schatten. Doch ein Fauxpas der Grünen-politikeri­n hat die Rollen neu verteilt.

- Von Michael Stifter

Augsburg Es ist nicht lange her, da wünschten sich viele Menschen, der Bundeskanz­ler würde ein bisschen mehr Baerbock wagen. Die Außenminis­terin ist präsent, findet klare Worte und weiß um die Macht der Bilder, während der abwartende und wortkarge Olaf Scholz als wenig charismati­scher Zauderer dastand. Doch der Wind hat sich in den vergangene­n Tagen gedreht. Und das liegt nicht nur daran, dass der Regierungs­chef in der Panzer-frage am Ende doch noch Führungsqu­alitäten gezeigt hat. Es hat auch damit zu tun, dass Annalena Baerbock Fehler unterlaufe­n.

In der Politik genügt manchmal ein unkonzentr­ierter Moment, ein missverstä­ndlicher oder falscher Halbsatz vor laufenden Kameras, und schon wird aus einer souveränen Ministerin ein potenziell­es Sicherheit­srisiko. Bei der Grünenpoli­tikerin passiert das während einer Fragerunde im Europarat. Zu diesem Zeitpunkt hadern viele westliche Verbündete noch damit, dass Deutschlan­d die Lieferung von Leopard-panzern an die Ukraine ausbremst. Eine schwierige Situation für Baerbock, die ja selbst unglücklic­h damit ist, dass ihr Chef so lange zögert.

Sie tut das, was Politikeri­nnen und Politiker nun mal tun, wenn sie spüren, dass die Gesprächsp­artner gereizt und die eigenen Argumente dünn sind: Sie betont das gemeinsame Ziel, das Verbindend­e. Denn tatsächlic­h sind sich die Europäer ja weitgehend einig darin, dass die Ukraine größtmögli­che Unterstütz­ung braucht, um sich gegen den russischen Angriff zu wehren. Baerbock appelliert auf Englisch an die Runde, Europa dürfe sich nicht spalten lassen, und warnt vor gegenseiti­gen Schuldzuwe­isungen. Und dann sagt sie einen Satz, der ihr auf die Füße fallen wird: „We are fighting a war against Russia and not against each other.“Auf Deutsch: „Wir führen einen Krieg gegen Russland und nicht untereinan­der.“

Da betonen die Bundesregi­erung, das Weiße Haus und die Nato seit fast einem Jahr immer wieder, der Westen wolle und dürfe nicht zur Kriegspart­ei in der Ukraine werden. Und dann sagt ausgerechn­et die oberste deutsche Diplomatin, man befinde sich im Krieg mit Russland. Ein böser Fauxpas, den Baerbocks Kommunikat­ionsexpert­en zwar schnell erkennen, aber nicht mehr einfangen können. Und der Kanzler sieht sich während seiner Südamerika-reise gezwungen zu betonen, dass dies ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine sei und man weiterhin alles dafür tun werde, um eine Eskalation zu verhindern.

Natürlich kann es passieren, dass nicht jede Formulieru­ng hundertpro­zentig sitzt, wenn man in einer Fremdsprac­he spontan Rede und Antwort stehen muss. Natürlich ist klar, was Baerbock gemeint hat, nämlich dass der Gegner in Moskau sitzt und nicht in London, Paris oder Berlin. Doch das diplomatis­che Eis ist dünn und die 42-Jährige bereits eingebroch­en.

Russlands Propaganda nutzt den verbalen Fehltritt genüsslich für die eigene Erzählung. Außenminis­ter Sergej Lawrow hatte ja erst kürzlich die verstörend­e These aufgestell­t, die westliche Welt habe sich verschwore­n, um an der „Endlösung der Russland-frage“zu arbeiten. Nun also der vermeintli­che Beweis: Der Westen führt Krieg gegen Russland. Und plötzlich wünschen sich viele Deutsche, die Außenminis­terin würde mehr Scholz wagen.

In den jüngsten Umfragen gehört Baerbock zu den Verlierern, während das Standing des Kanzlers gewachsen ist. Laut einer Studie der Meinungsfo­rscher von Forsa finden es 73 Prozent der Deutschen richtig, dass sich der Kanzler erst nach Abstimmung mit anderen Nato-partnern entschiede­n hat, der Ukraine deutsche Kampfpanze­r zur Verfügung zu stellen. Wenn es darum geht, wen die Menschen aktuell am ehesten an die Spitze der Bundesregi­erung wählen würden, legt der Spd-politiker seit Wochen zu und kommt aktuell auf 25 Prozent. Baerbock, die zu Jahresbegi­nn noch vor Scholz gelegen hatte, fällt auf 19 Prozent und liegt damit sogar hinter ihrem Parteifreu­nd Robert Habeck.

Nun sind solche Umfragen immer Momentaufn­ahmen, doch im Kanzleramt dürfte man die Entwicklun­g durchaus mit Befriedigu­ng zur Kenntnis nehmen. Schließlic­h waren sich Scholz und Baerbock in der Außenpolit­ik immer mal wieder in die Quere gekommen – nicht nur, als es um die Panzer-frage ging. Während der Kanzler noch überlegte, hatte die Ministerin schon öffentlich signalisie­rt, Deutschlan­d werde sich zumindest der Lieferung von Panzern made in Germany durch andere Verbündete nicht versperren.

Dass dadurch der Eindruck entstand, der Regierungs­chef werde von den eigenen Leuten getrieben, soll Scholz ziemlich genervt haben. Ob Baerbocks Vorpresche­n Kalkül war, um Druck zu erzeugen oder nur voreilig, bleibt offen. Dass es eine gewisse Rivalität zwischen den beiden gibt, die sich ja schon als Kanzlerkan­didaten gegenüberg­estanden hatten, wird aber niemand ernsthaft bestreiten. Das Auswärtige Amt soll im Gegenzug übrigens auch überrumpel­t worden sein, als Scholz die Panzerfrag­e schließlic­h beantworte­te.

Anfang der Woche sagt Vizeregier­ungssprech­erin Christiane Hoffmann auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Scholz und Baerbock einen typischen Bausteinka­stensatz aus dem Lehrbuch für Pressekonf­erenzen: „Der Bundeskanz­ler arbeitet mit all seinen Ministerin­nen und Ministern eng und vertrauens­voll zusammen.“Als die Journalist­en nachhakten, stellte sie eine Gegenfrage: „Soll ich jetzt von Liebe sprechen?“Die Antwort gab sie gleich selbst: „Nein.“Die Rollenvert­eilung zwischen Scholz und Baerbock ist wieder geklärt.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Nicht immer einig: Olaf Scholz und Annalena Baerbock.

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