Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Mit dem Tod bedrohtes jesidisches Mädchen sagt aus
Die Jugendliche spricht im Prozess über das, was ihr der eigene Vater und der Bruder angetan haben sollen. Allerdings ist sie nicht im Gerichtssaal, sondern per Video zugeschaltet. Nicht einmal das Gericht weiß, wo sie sich aufhält.
Augsburg Bei dem Bruder und dem Vater auf der Anklagebank flossen während der Verhandlung immer wieder die Tränen. Das 16-jährige Mädchen hingegen wirkte gefasst und konzentriert. Inzwischen könne sie gut über das Ganze sprechen, erklärte sie dem Gericht. Darüber, dass sie schikaniert, geschlagen und mit dem Tod bedroht wurde – ausgerechnet von den beiden Familienmitgliedern, so sieht es die Anklage. In dem Prozess um einen angedrohten Ehrenmord innerhalb einer Augsburger Familie jesidischen Glaubens hat das Amtsgericht zu einem ungewöhnlichen Schritt der Zeugeneinvernahme gegriffen. Dabei ging es um den Schutz der jungen Zeugin.
Das Mädchen hält sich an einem unbekannten Ort auf. Das Jugendamt kümmert sich seit dem Frühjahr vergangenen Jahres um die 16-Jährige. Nicht mal das Gericht weiß, wo sie sich derzeit aufhält. Laut der Vorsitzenden Richterin bestehe nach wie vor erhebliche Gefahr für Leib und Leben des Mädchens, auch wenn Bruder und Vater in Untersuchungshaft säßen.
Es sei nicht auszuschließen, dass andere Täter beauftragt werden könnten. Deshalb wurde die Tochter einer großen, aus dem Irak stammenden Familie per Video in die Verhandlung zugeschaltet. Was die 16-Jährige getan hatte, dass man ihr offenbar nach dem Leben trachtete?
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Familie ihre Ehre durch die Tochter beschmutzt sah. Wie berichtet, war die Realschülerin eine Beziehung zu einem türkischen Mitschüler eingegangen, einem Muslim. Unter Jesiden aber werden nur Beziehungen innerhalb der religiösen Gruppe toleriert. „Ich dachte, ich muss sterben“, sagte die 16-Jährige, nachdem sie geschildert hatte, wie die Familie in ihrem Beisein Möglichkeiten ihrer Tötung debattierte. Auch erzählte sie, wie der Vater sie geschlagen, der Bruder ihr Haarbüschel herausgerissen und sie genötigt habe, ihren eigenen Abschiedsbrief zu verfassen. Die 16Jährige gab sich bemerkenswert souverän. Als die Richterin sie nach ihrem Befinden fragte, sagte sie: „Mir geht es jetzt gut. Ich kann das alles gut selbst verarbeiten.“Der Prozess wird fortgesetzt.