Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kriminelle Romanze in poetischen Bildern

Filmkunst aus Südkorea, mit Poesie und Nervenkitz­el: Park Chan-wooks „Die Frau im Nebel“erzählt die Geschichte eines Kommissars, der sich in eine verdächtig­e Witwe verliebt.

- Von Martin Schwickert

Mit dem Oscar für „Parasite“und dem Netflix-hit „Squid Game“bekommt der koreanisch­e Film in den letzten Jahren die internatio­nale Aufmerksam­keit und das globale Publikum, das er schon lange verdient. Die Filmindust­rie in Südkorea ist eine der produktivs­ten, kreativste­n und künstleris­ch anspruchsv­ollsten im asiatische­n Raum und bringt es in den heimischen Kinos stabil auf einen Marktantei­l von über 50 Prozent. Davon können andere Länder – auch der deutsche Film – nur träumen. Zu den interessan­testen Regisseure­n der Halbinsel gehört nach wie vor Park Chan-wook. Mit seinem Rachethril­ler „Oldboy“(2003) riss er in Cannes das Festivalpu­blikum aus den Stühlen und wurde mit dem „Großen Preis der Jury“ausgezeich­net. Mit dem Dracula-remake „Stoker“(2013) und der Miniserie „Die Libelle“(2018) probierte Park sich auch in der westlichen Filmwelt aus. Mit „Die Frau im Nebel“, der 2022 in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeich­net wurde, schlägt Park nun ein neues Kapitel im eigenen künstleris­chen Schaffen auf. Die Textur offener und subtiler Gewalt, die sich durch seine bisherigen Filme gezogen hat, wird hier über Bord geworfen, obwohl es sich bei „Die Frau im Nebel“eigentlich um einen Kriminalfi­lm handelt.

Nur mit einem bizarren Baum bekleidet ragt der glatte, nackte Fels des Berggipfel­s in den Himmel. An dessen Fuß wird eine Leiche gefunden, bei der es sich um einen erfahrenen Kletterer mittleren Alters handelt. Kommissar Haejun (Park Hae-il) vermutet Fremdeinwi­rkung. Als er die junge Witwe vernimmt, zeigt Seo-rae (Tang Wei) keinerlei Trauergefü­hle. Dna-spuren unter den Fingernäge­ln machen sie zur Verdächtig­en. Hae-jun entwickelt schon bald eine Faszinatio­n für die junge Frau, die weit über das berufliche Interesse hinaus geht. Tag und Nacht observiert er die Verdächtig­e und spricht seine poetischen Beobachtun­gen in die Smart-watch hinein. Wenn sie am Abend vor dem Fernseher mit einer brennenden Zigarette einschläft, imaginiert er sich wie einen Geist ins Wohnzimmer und fängt die herunterfa­llende Asche auf.

Selbst die Verhöre im Revier gleichen eher einem Rendezvous.

Zu Mittag wird das Spezial-menü beim besten Sushi-laden bestellt. Wenn die beiden danach gemeinsam den Tisch abwischen, wirken sie schon wie ein eingespiel­tes Ehepaar. Auch wenn er von Seo-raes Unschuld überzeugt ist, zieht der Polizist die Ermittlung­en in die Länge. Das Alibi der Verdächtig­en hält allen Prüfungen stand, ein Abschiedsb­rief des Verstorben­en belegt dessen Selbstmord und zwischen der schönen Witwe und dem verheirate­ten Kommissar beginnt eine zarte Affäre. Aber dann stolpert Hae-jun über ein kleines Detail, das die Untersuchu­ngsergebni­sse in ein neues Licht stellt.

Der Ermittler, der sich in eine geheimnisv­olle Verdächtig­e verliebt und dabei seine kriminalis­tische Objektivit­ät verliert, ist ein klassische­s Film-noir-motiv, das auch schon Alfred Hitchcock in „Vertigo“oder Paul Verhoeven in „Basic Instinct“aufgenomme­n haben. Aber Park macht daraus seinen ureigenen Noir-film, der mit poetischer Bildsprach­e, einem wendungsre­ichen Plot und romantisch­er Zärtlichke­it aufgeladen ist. Seit Wong Kar-weis „In the Mood for Love“hat man keinen Film mehr gesehen, der die erotische Spannung zwischen zwei Menschen derart stilvoll über Bande anspielt. Wenn die Hand des Kommissars und die der Verdächtig­en mit Handschell­en verbunden auf der Rückbank des Polizeiwag­ens nebeneinan­der liegen, ist dies ein Sehnsuchts­bild von einfacher, poetischer Strahlkraf­t.

In seinem Umgang mit den Anziehungs­mächten von Liebe und Obsession wirkt „Die Frau im Nebel“altmodisch und gleichzeit­ig hochmodern. Noch nie wurde die zeitgenöss­ische Kommunikat­ionstechno­logie im Kino derart romantisch in Gebrauch genommen. Smart-watch und Voicemails werden zu Gefühlsspe­ichermedie­n. Die Kamera blickt durch das Handy-display ins Gesicht des liebeskran­ken Kommissars. In besonders emotionale­n Situatione­n greift die chinesisch­sprachige Verdächtig­e zur Übersetzun­gs-app, um ihren Gefühlen mit der koreanisch­en Stimme von Google Translate Ausdruck zu verleihen. Dem gegenüber stehen Bilder von machtvolle­n Berglandsc­haften und wilden Meeresküst­en, in denen die Empfindung­en der Figuren expressiv gespiegelt werden. Hauptdarst­eller Park Hae-il („The Host“) beherrscht die Kunst des fein kalibriert­en Understate­ments ebenso wie die wunderbare Tang Wei (Ang Lees „Gefahr und Begierde“), die mit zärtlicher Intranspar­enz die Geheimniss­e ihrer Figur hütet und alle Femme-fatale-klischees souverän aushebelt.

 ?? Foto: epd, Plaion pictures ?? Ein glaubhafte­s Paar auf der Leinwand: Tang Wei als Song Seo-rae und Park Hae-il als Jang Hae-jun in dem Film „Die Frau im Nebel“, der an diesem Donnerstag, 2. Februar, in die Kinos kommt.
Foto: epd, Plaion pictures Ein glaubhafte­s Paar auf der Leinwand: Tang Wei als Song Seo-rae und Park Hae-il als Jang Hae-jun in dem Film „Die Frau im Nebel“, der an diesem Donnerstag, 2. Februar, in die Kinos kommt.

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