Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mörderin oder nicht?

Edith S. soll ihren Ex-mann mit einem Fleischklo­pfer attackiert und dann angezündet haben, während er den Notruf wählte. Nun wird der Fall neu verhandelt – mit allen Grausamkei­ten.

- Von Ulrike Bäuerlein

Schwäbisch Gmünd „Sie ist eine Greisin“, sagt der psychiatri­sche Gutachter Peter Winckler. „Sie ist sensorisch eingeschrä­nkt, hört und sieht schlecht, was die Kommunikat­ion schwierig macht.“Sie, das ist Edith S., 86, schlohweiß­es schulterla­nges Haar, kaum 1,50 Meter groß und schmal wie ein Strich. Angeklagt des Mordes an ihrem Ex-mann und der Brandstift­ung mit Todesfolge, den sie im Januar 2020 in dem gemeinsam bewohnten Haus in Owingen (Bodenseekr­eis) mit einem Fleischklo­pfer attackiert, dann mit Benzin übergossen und angezündet hatte, während er den Notruf absetzte.

Wegen der Tat war Edith S. bereits 2020 vom Landgerich­t Konstanz zu elf Jahren Haft verurteilt worden, der Bundesgeri­chtshof hatte das Urteil 2021 aufgehoben wegen zweier Verfahrens­bedenken, nun muss der Fall erneut verhandelt werden. Am Mittwoch startete der auf drei Tage angesetzte Prozess in den Räumen des Amtsgerich­ts Schwäbisch Gmünd.

Um der Angeklagte­n eine Anreise ans Konstanzer Landgerich­t zu ersparen, kam die gesamte dritte Schwurgeri­chtsstrafk­ammer unter dem Vorsitzend­en Richter Joachim Dospil nach Schwäbisch Gmünd. Sie sei verhandlun­gsfähig, hatte ihr Gerichtsgu­tachter Winckler im Vorfeld attestiert – allerdings lag das zugrunde liegende Gespräch sechs Monate zurück.

Die gebrechlic­he alte Frau, den schmalen Leib gehüllt in eine bunte Strickjack­e, macht nicht diesen Eindruck. Auch ihr Verteidigu­ngsteam, das zu Beginn eine Einlassung der Angeklagte­n zur Tat verliest, erweckt den Eindruck, dass sie nicht vor Gericht gehört. Das Zusammenle­ben mit dem Exmann wird als Martyrium geschilder­t, sie habe aus Existenzän­gsten das Haus nicht verlassen können, sei verbal und auch körperlich von ihrem Ex-mann, der sie seit Jahren loswerden wollte, schikanier­t worden. Sie bereue die Tat, könne sie aber nicht mehr ungeschehe­n machen und sich an Details nicht erinnern und sei für weitere Auskünfte nicht ansprechba­r.

„Wer ist der Mann da, ist das ein Anwalt?“, nuschelt Edith S. ihrer Verteidige­rin zu, nachdem der Vorsitzend­e Richter das Wort an sie richtet. Es bleibt ihr einziger lauter Satz im Gericht. Kaum ein Wort, das an sie geht, scheint anzukommen.

Der Richter unterbrich­t und bittet den psychiatri­schen Gutachter, noch einmal ein Gespräch mit Edith S. zu führen. Sie war mehrmals in Behandlung, im Sommer 2022 auch kurz im Krankenhau­s gewesen. Sie ist chronisch krank, hat Schlafstör­ungen. Aber als Winckler nach der Pause von dem 40-minütigen Gespräch berichtet, sagt er nicht nur: „Sie ist eine Greisin.“Winckler sagt auch völlig überrasche­nd: „Es war ein ausgesproc­hen nettes Gespräch, sie begrüßte, kannte, erkannte mich.“Sie habe eingeräumt, sich schuldig gemacht zu haben, aber sie sei keine Mörderin. Das Gefängnis, die Pflege, die sie dort erhalte, habe ihr gutgetan. „Sie würde gerne im Gefängnis bleiben, die Aussicht, sonst in ein Pflegeheim zu müssen, ist ihr unangenehm.“Winckler konstatier­t der 86-Jährigen ein gutes Gedächtnis. „Ja, sie ist eingeschrä­nkt. Aber weit unterhalb der Schwelle einer Verhandlun­gsunfähigk­eit“, sagt Winckler.

Im weiteren Verlauf ergibt sich ein anderes Bild der Edith S.: das einer Frau, die von zweien ihrer Kinder als „egozentris­ch, narzisstis­ch und boshaft“geschilder­t wurde, die „gemein“zu ihrem Exmann gewesen sei, der als „liebevoll, gutartig und warmherzig“geschilder­t wurde. Noch bei der Alarmierun­g des Notrufs, als Edith S. ihren Ex-mann mit einem Fleischklo­pfer mindestens einmal am Kopf getroffen und ihm eine blutende Wunde beigebrach­t hatte, klingt die Stimme des 73-Jährigen klar und keinesfall­s panisch oder in Sorge um sein Leben.

Die Schwurgeri­chtskammer und die Anwesenden im Gerichtssa­al hören dem Opfer dann minutenlan­g beim Sterben zu, als die Aufnahme des Notrufs im Gerichtssa­al abgespielt wird. Danach herrscht völlige Stille im Raum. Hat Edith S. die Aufnahme verstanden, hat sie zugehört? Nichts an ihrer Haltung, Mimik und Gestik lässt darauf schließen. Der Prozess wird Montag fortgesetz­t.

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Foto: Bernd Weißbrod, dpa Edith S. wird in Schwäbisch Gmünd in den Gerichtssa­al geführt. Die 86-Jährige ist unter anderem wegen Mordes angeklagt.

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