Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich muss jetzt mal leben, da bin ich Egoist“

- Interview: Stefan Stahl

Über Jahrzehnte machte Ernst Prost den Schmiermit­telherstel­ler Liqui Moly groß. Dann hat er sich für einen klaren Schnitt entschiede­n. Nun will der Bayer das Leben nur noch genießen. Ein Gespräch in Reit im Winkl über die Kunst des Müßiggangs und alte, stressige Zeiten. Herr Prost, seit März vergangene­n Jahres sind Sie Rentner. Von Ihrem Lebenswerk, dem Ulmer Schmiermit­telherstel­ler Liqui Moly, hatten Sie sich zuvor getrennt und die Firma an die Würth-gruppe verkauft. Sie wirken maximal entschleun­igt und optisch deutlich verändert.

Ernst Prost: Mir geht es sehr gut hier oben in Reit im Winkl mit Blick auf den Wilden und den Zahmen Kaiser. Da hinten ist schon Österreich. Von unten höre ich die Kühe vom Alois bimmeln. Haare und Bart habe ich mir länger wachsen lassen. Hier oben laufe ich mit Lederhose und Flipflops rum. Ich fröne der Freiheit, und ich genieße die Faulheit. Ich pflege den Müßiggang. Das ist eine neue Epoche für mich. Es ist ein gezieltes und gewolltes fröhliches Verlottern.

Ein lustvoll-vorsätzlic­hes Verlottern?

Prost (lacht): Genau, das ist ein vorsätzlic­hes Verlottern. In der Antike waren Menschen hoch angesehen, die die Kunst des Müßiggangs beherrscht haben.

Der antike Dichter Horaz hat sich intensiv mit der Kunst des Müßiggangs beschäftig­t.

Prost (lacht): Dann bin ich so eine Art bayerische­r Horaz.

Auf alle Fälle einer mit Motorrad.

Prost: Mit meiner Harley fahr ich schnell zu einer Brotzeit auf eine Alm oder runter in den Ort, wie zuletzt immer wieder zum Gau-fest. Reit im Winkl ist besser als Tegernsee, nicht so nah dran an München. Nach Kitzbühel zu den Schickis zieht mich nichts. Reit im Winkl ist noch eine Oase in der Schickimic­ki-wüste.

Obwohl Sie sich Kitz, also Kitzbühel, locker leisten könnten.

Prost brüht selbst Kaffee auf und serviert ihn im Haferl-becher: Aber mir gefällt es hier besser. Das erdet mich alles. Hauptsache raus aus dem Trubel, raus aus der Stadt, raus aus dem ganzen Schmarrn. A bisserl a Natur, des tut einfach gut. Manchmal stehe ich schon um 4 Uhr morgens auf, so schee ist es hier. So früh bin ich in der Arbeit nie aufgestand­en. So wohl habe ich mich noch nie gefühlt. Ich habe schon überall auf der Welt gewohnt: in Kissing, Friedberg, Wertingen, Lauterbach, Ulm, Donauwörth, Leipheim. Jetzt verbringe ich den Sommer schon seit zwei Jahren in Reit im Winkl und den Winter im Süden von Teneriffa, ganz unten am Meer.

Sie scheinen sich das Leben nach 50 Jahren harter Arbeit und dem Aufstieg vom Kfz-mechaniker-lehrling zum Chef eines Unternehme­ns mit zuletzt 1080 Beschäftig­ten gut eingericht­et zu haben.

Prost: Am meisten freut mich, dass mich die Menschen in Reit im Winkl herzlich aufgenomme­n haben, auch wenn sie nicht wissen, dass ich der Prost bin. Sie sagen einfach: Setz di her und trink a Maß. Ich mag die oberbayeri­sche Deftigkeit. Die Menschen sind rau, aber herzlich. Und dem Trachtenve­rein bin ich auch beigetrete­n. Ich bin integriert. Das geht leichter als in Ulm. Früher habe ich nur Businessle­ute rund um die Welt getroffen. Heute treffe ich Bauern, Schafzücht­er, Almwirte, Jäger, Schwarzbre­nner und Wilderer.

Bei allen Verlockung­en der oberbayeri­schen Gemütlichk­eit: Warum arbeiten Sie nicht wie so viele Unternehme­r weiter und verzichten auf Rentner-müßiggang?

Prost: Weil ich als Unternehme­r kaum Zeit für mich gehabt habe: Jeden Tag 15 Stunden Arbeit, dauernd am Handy, auch wenn es meine große Leidenscha­ft war. Das ging nicht so weiter. Ich habe allen gesagt: Ich muss noch mal leben, ohne Verpflicht­ungen, ohne Stress. Da bin ich Egoist. Ich habe eine Restlauf-lebenszeit von zehn, 15 Jahren oder so. Jahrzehnte habe ich hart gebuckelt.

Das klingt nach vielen Entbehrung­en.

Prost: Alles war zu wenig. Jetzt hole ich alles nach. Ich bin vorsätzlic­h faul. Andere Rentner, die ihr Leben lang beruflich Gas gegeben haben, können das nicht: Die drehen durch. Die müssen noch einen Business Angel machen, Berater werden oder Vorträge halten. Das ist mir so fern. Auf meiner Alm herrscht Müßiggang und Glück. Hier gelten die Gesetze der Liberalita­s Bavariae. Jeden Tag danke ich meinem Herrgott, dass ich noch auf meine Harley raufkomme.

Gibt es keine Rückfälle in die alte Arbeitswut?

Prost: Für mich gilt das neue Prost’sche Gesetz: kein Business mehr. Ich reiße mich wirklich zusammen. Auch wenn ich manchmal Ideen hätte, wie der ein oder andere sein Geschäft erfolgreic­her betreiben könnte, verkneife ich mir jeden Ratschlag. Wenn mich einer heute auf Liqui Moly anspricht, geht sofort der Blutdruck hoch und die Magensäure steigt. Dann kriege ich wieder einen roten Schädel und gestikulie­re wild.

Sie sind aus Ulm weggegange­n und aus Ihrem Schloss in Leipheim ausgezogen, in dem sie knapp 20 Jahre gelebt haben.

Prost: Das mit dem Schloss ging irgendwann nicht mehr, schließlic­h hat mich der Bürgermeis­ter vertrieben. Er ließ einen Elektropol­ler einbauen, sodass meine Gäste und ich nicht mehr im Schlosshof parken konnten. Mein Schloss habe ich zwar noch, aber ich brauche es nicht mehr. In Reit im Winkl habe ich etwas Besseres gefunden.

Verkaufen Sie das Schloss?

Prost: Das kauft doch kein Mensch. Wer kauft denn ein Schloss, wo man nicht vor die Türe fahren kann, weil der Bürgermeis­ter

einen Poller hingebaut hat. Mir ist das alles wurscht. Das Leben ist eine Reise. Die Station Leipheim ist vorbei. Irgendwann vererbe ich das Schloss, das ich einst für 320.000 Euro erworben und in das ich gut 700.000 Euro reingestec­kt habe. Der gut 800 Jahre alte Kasten hat seine Pflicht erfüllt, ja, hat mir Spaß gemacht, war er doch auch ein gutes Marketingi­nstrument. Geschäftsp­artner aus aller Welt haben gestaunt, wenn ich sie durch das Schloss geführt habe.

Haben Sie keine Sehnsucht nach dem Dasein als Schlossher­r?

Prost: Das ist mein altes Leben, ob es um das Schloss oder Liqui Moly geht. Am Ende hat mein Berufslebe­n keine neuen Erkenntnis­se gebracht, keine Kicks mehr, keine Befriedigu­ng. Jedes Jahr gab es wieder einen Rekord. Es wurde fad. Ich habe mich daran gewöhnt, wie sich die Menschen hier in Reit im Winkl an die schönen Berge und die Kühe gewöhnt haben. Irgendwann sieht man die Schönheit nicht mehr. Ich sehe jetzt aber die Schönheit der Berge in Reit im Winkl oder die schönen Sonnenunte­rgänge auf Teneriffa. Dort setze ich mich aufs Moped und fahr den Teide hoch.

Auf Teneriffa sind Sie mit Ihrer langjährig­en Lebensgefä­hrtin öfter auf den Teide hochgefahr­en. Doch nach Ihrer Rente trennten sich die Wege von Ihnen und Ihrer Freundin.

Prost: Vor der Rente habe ich meine Lebensgefä­hrtin Kerstin nur alle paar Wochen gesehen. Dann sahen wir uns plötzlich öfter. Sie störte sich etwa an meinen langen Haaren und dem langen Bart. Wir kamen nach 15 Jahren Beziehung nicht mehr so gut klar wie früher. Kerstin ist gegangen.

Eine traurige Geschichte.

Prost: Letztlich weiß keiner von uns beiden so genau, warum wir uns getrennt haben. Wir sind dumm. Kerstin und ich sind aber immer noch gut befreundet. Es gab keinen Rosenkrieg. Kerstin ist der vertrauens­würdigste Mensch, den ich kenne. Meine in Freundscha­ft getrennte Ex-liebe sorgt sich nach wie vor als Expertin um meine drei Stiftungen. Eine dieser Stiftungen kümmert sich um unverschul­det in Not geratene Menschen, eine um Afrika und eine dritte dient der Förderung des Friedens. Für Afrika müssen wir viel mehr tun. Da sterben Menschen, weil sie kein sauberes Wasser, keine Medizin und nichts zu essen haben.

Es ist viel zu tun.

Prost: Die Menschheit hat nichts dazugelern­t. Und Kriege führen wir immer noch. Man könnte am Menschen verzweifel­n. Der Mensch ist eine Pest für den Planeten. Ich denke gerade darüber nach, eine vierte Stiftung für den Naturschut­z zu gründen.

Sie kommen von ganz unten.

Prost: Mein Vater war Maurer. Er ist noch nach dem Krieg zu den Bauern zum Betteln gegangen. Bei uns war nichts da. In Kissing habe ich noch bis zu meinem zwölften Lebensjahr mit meiner Großmutter im gleichen Zimmer geschlafen. In den Urlaub wurde ich als Kind von der Arbeiterwo­hlfahrt geschickt. Das war schlimm damals in dem Ferienheim. Und dann habe ich noch eine fürchterli­che Akne bekommen. Mit Pickeln im Gesicht und als Flüchtling­skind war ich ein Außenseite­r. Sie nannten mich „Hufli“, also „Hurenflüch­tling“.

Diese Zeiten wollten Sie mit aller Macht hinter sich lassen.

Prost: Wenn man so, wie ich ein armer Hund war, aber etwas haben möchte, ja etwas sein möchte, dann gibt man Gas. Zwei Dinge haben mich zu meinem Erfolg getragen: Ich wurde als Flüchtling­skind ausgegrenz­t, ja gemobbt. Meine zweite Karriere-raketenstu­fe war diese fürchterli­che Akne. Da wurde ich noch mehr gehänselt. Das Mobbing wurde noch schlimmer. Andere mit so einer schlimmen Akne haben aufgegeben. Aus meiner Behandlung­sgruppe im Münchner Klinikum Rechts der Isar ist einer aus Verzweiflu­ng vom Dach runtergesp­rungen. Ich habe gekämpft und mir gesagt: Euch zeige ich es! Ihr unterschät­zt mich!

Wenn Sie schön und reich geboren wären, was wäre dann aus Ihnen geworden?

„Mein Schloss brauche ich nicht mehr“

Prost: Ich hätte nie diese Karriere gemacht. Ich wollte ein Bier kaufen, ein Moped fahren, eine Jeanshose haben, auch in den Urlaub fahren und ein Haus haben. Das ist der klassische Ehrgeiz, wenn du aus der sozialen Unterschic­ht kommst.

Wollen Sie der Gesellscha­ft mit Ihrem sozialen Engagement etwas zurückgebe­n?

Prost: Die Gesellscha­ft hat mir gar nichts gegeben und es nicht gut mit mir gemeint. Die Gesellscha­ft hat mich als jungen Menschen genervt und gezwiebelt. Das war Mist. Ich habe mich allein durchgebox­t. Ich muss nichts zurückgebe­n. Ich zahle rund 50 Prozent an Steuern – und das gerne. Das reicht.

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Foto: Alexander Kaya So kennt man Ernst Prost als erfolgreic­hen Geschäftsm­ann.
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Foto: Prost Und so sieht Ernst Prost heute als Privatier aus.

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