Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Ich muss jetzt mal leben, da bin ich Egoist“
Über Jahrzehnte machte Ernst Prost den Schmiermittelhersteller Liqui Moly groß. Dann hat er sich für einen klaren Schnitt entschieden. Nun will der Bayer das Leben nur noch genießen. Ein Gespräch in Reit im Winkl über die Kunst des Müßiggangs und alte, stressige Zeiten. Herr Prost, seit März vergangenen Jahres sind Sie Rentner. Von Ihrem Lebenswerk, dem Ulmer Schmiermittelhersteller Liqui Moly, hatten Sie sich zuvor getrennt und die Firma an die Würth-gruppe verkauft. Sie wirken maximal entschleunigt und optisch deutlich verändert.
Ernst Prost: Mir geht es sehr gut hier oben in Reit im Winkl mit Blick auf den Wilden und den Zahmen Kaiser. Da hinten ist schon Österreich. Von unten höre ich die Kühe vom Alois bimmeln. Haare und Bart habe ich mir länger wachsen lassen. Hier oben laufe ich mit Lederhose und Flipflops rum. Ich fröne der Freiheit, und ich genieße die Faulheit. Ich pflege den Müßiggang. Das ist eine neue Epoche für mich. Es ist ein gezieltes und gewolltes fröhliches Verlottern.
Ein lustvoll-vorsätzliches Verlottern?
Prost (lacht): Genau, das ist ein vorsätzliches Verlottern. In der Antike waren Menschen hoch angesehen, die die Kunst des Müßiggangs beherrscht haben.
Der antike Dichter Horaz hat sich intensiv mit der Kunst des Müßiggangs beschäftigt.
Prost (lacht): Dann bin ich so eine Art bayerischer Horaz.
Auf alle Fälle einer mit Motorrad.
Prost: Mit meiner Harley fahr ich schnell zu einer Brotzeit auf eine Alm oder runter in den Ort, wie zuletzt immer wieder zum Gau-fest. Reit im Winkl ist besser als Tegernsee, nicht so nah dran an München. Nach Kitzbühel zu den Schickis zieht mich nichts. Reit im Winkl ist noch eine Oase in der Schickimicki-wüste.
Obwohl Sie sich Kitz, also Kitzbühel, locker leisten könnten.
Prost brüht selbst Kaffee auf und serviert ihn im Haferl-becher: Aber mir gefällt es hier besser. Das erdet mich alles. Hauptsache raus aus dem Trubel, raus aus der Stadt, raus aus dem ganzen Schmarrn. A bisserl a Natur, des tut einfach gut. Manchmal stehe ich schon um 4 Uhr morgens auf, so schee ist es hier. So früh bin ich in der Arbeit nie aufgestanden. So wohl habe ich mich noch nie gefühlt. Ich habe schon überall auf der Welt gewohnt: in Kissing, Friedberg, Wertingen, Lauterbach, Ulm, Donauwörth, Leipheim. Jetzt verbringe ich den Sommer schon seit zwei Jahren in Reit im Winkl und den Winter im Süden von Teneriffa, ganz unten am Meer.
Sie scheinen sich das Leben nach 50 Jahren harter Arbeit und dem Aufstieg vom Kfz-mechaniker-lehrling zum Chef eines Unternehmens mit zuletzt 1080 Beschäftigten gut eingerichtet zu haben.
Prost: Am meisten freut mich, dass mich die Menschen in Reit im Winkl herzlich aufgenommen haben, auch wenn sie nicht wissen, dass ich der Prost bin. Sie sagen einfach: Setz di her und trink a Maß. Ich mag die oberbayerische Deftigkeit. Die Menschen sind rau, aber herzlich. Und dem Trachtenverein bin ich auch beigetreten. Ich bin integriert. Das geht leichter als in Ulm. Früher habe ich nur Businessleute rund um die Welt getroffen. Heute treffe ich Bauern, Schafzüchter, Almwirte, Jäger, Schwarzbrenner und Wilderer.
Bei allen Verlockungen der oberbayerischen Gemütlichkeit: Warum arbeiten Sie nicht wie so viele Unternehmer weiter und verzichten auf Rentner-müßiggang?
Prost: Weil ich als Unternehmer kaum Zeit für mich gehabt habe: Jeden Tag 15 Stunden Arbeit, dauernd am Handy, auch wenn es meine große Leidenschaft war. Das ging nicht so weiter. Ich habe allen gesagt: Ich muss noch mal leben, ohne Verpflichtungen, ohne Stress. Da bin ich Egoist. Ich habe eine Restlauf-lebenszeit von zehn, 15 Jahren oder so. Jahrzehnte habe ich hart gebuckelt.
Das klingt nach vielen Entbehrungen.
Prost: Alles war zu wenig. Jetzt hole ich alles nach. Ich bin vorsätzlich faul. Andere Rentner, die ihr Leben lang beruflich Gas gegeben haben, können das nicht: Die drehen durch. Die müssen noch einen Business Angel machen, Berater werden oder Vorträge halten. Das ist mir so fern. Auf meiner Alm herrscht Müßiggang und Glück. Hier gelten die Gesetze der Liberalitas Bavariae. Jeden Tag danke ich meinem Herrgott, dass ich noch auf meine Harley raufkomme.
Gibt es keine Rückfälle in die alte Arbeitswut?
Prost: Für mich gilt das neue Prost’sche Gesetz: kein Business mehr. Ich reiße mich wirklich zusammen. Auch wenn ich manchmal Ideen hätte, wie der ein oder andere sein Geschäft erfolgreicher betreiben könnte, verkneife ich mir jeden Ratschlag. Wenn mich einer heute auf Liqui Moly anspricht, geht sofort der Blutdruck hoch und die Magensäure steigt. Dann kriege ich wieder einen roten Schädel und gestikuliere wild.
Sie sind aus Ulm weggegangen und aus Ihrem Schloss in Leipheim ausgezogen, in dem sie knapp 20 Jahre gelebt haben.
Prost: Das mit dem Schloss ging irgendwann nicht mehr, schließlich hat mich der Bürgermeister vertrieben. Er ließ einen Elektropoller einbauen, sodass meine Gäste und ich nicht mehr im Schlosshof parken konnten. Mein Schloss habe ich zwar noch, aber ich brauche es nicht mehr. In Reit im Winkl habe ich etwas Besseres gefunden.
Verkaufen Sie das Schloss?
Prost: Das kauft doch kein Mensch. Wer kauft denn ein Schloss, wo man nicht vor die Türe fahren kann, weil der Bürgermeister
einen Poller hingebaut hat. Mir ist das alles wurscht. Das Leben ist eine Reise. Die Station Leipheim ist vorbei. Irgendwann vererbe ich das Schloss, das ich einst für 320.000 Euro erworben und in das ich gut 700.000 Euro reingesteckt habe. Der gut 800 Jahre alte Kasten hat seine Pflicht erfüllt, ja, hat mir Spaß gemacht, war er doch auch ein gutes Marketinginstrument. Geschäftspartner aus aller Welt haben gestaunt, wenn ich sie durch das Schloss geführt habe.
Haben Sie keine Sehnsucht nach dem Dasein als Schlossherr?
Prost: Das ist mein altes Leben, ob es um das Schloss oder Liqui Moly geht. Am Ende hat mein Berufsleben keine neuen Erkenntnisse gebracht, keine Kicks mehr, keine Befriedigung. Jedes Jahr gab es wieder einen Rekord. Es wurde fad. Ich habe mich daran gewöhnt, wie sich die Menschen hier in Reit im Winkl an die schönen Berge und die Kühe gewöhnt haben. Irgendwann sieht man die Schönheit nicht mehr. Ich sehe jetzt aber die Schönheit der Berge in Reit im Winkl oder die schönen Sonnenuntergänge auf Teneriffa. Dort setze ich mich aufs Moped und fahr den Teide hoch.
Auf Teneriffa sind Sie mit Ihrer langjährigen Lebensgefährtin öfter auf den Teide hochgefahren. Doch nach Ihrer Rente trennten sich die Wege von Ihnen und Ihrer Freundin.
Prost: Vor der Rente habe ich meine Lebensgefährtin Kerstin nur alle paar Wochen gesehen. Dann sahen wir uns plötzlich öfter. Sie störte sich etwa an meinen langen Haaren und dem langen Bart. Wir kamen nach 15 Jahren Beziehung nicht mehr so gut klar wie früher. Kerstin ist gegangen.
Eine traurige Geschichte.
Prost: Letztlich weiß keiner von uns beiden so genau, warum wir uns getrennt haben. Wir sind dumm. Kerstin und ich sind aber immer noch gut befreundet. Es gab keinen Rosenkrieg. Kerstin ist der vertrauenswürdigste Mensch, den ich kenne. Meine in Freundschaft getrennte Ex-liebe sorgt sich nach wie vor als Expertin um meine drei Stiftungen. Eine dieser Stiftungen kümmert sich um unverschuldet in Not geratene Menschen, eine um Afrika und eine dritte dient der Förderung des Friedens. Für Afrika müssen wir viel mehr tun. Da sterben Menschen, weil sie kein sauberes Wasser, keine Medizin und nichts zu essen haben.
Es ist viel zu tun.
Prost: Die Menschheit hat nichts dazugelernt. Und Kriege führen wir immer noch. Man könnte am Menschen verzweifeln. Der Mensch ist eine Pest für den Planeten. Ich denke gerade darüber nach, eine vierte Stiftung für den Naturschutz zu gründen.
Sie kommen von ganz unten.
Prost: Mein Vater war Maurer. Er ist noch nach dem Krieg zu den Bauern zum Betteln gegangen. Bei uns war nichts da. In Kissing habe ich noch bis zu meinem zwölften Lebensjahr mit meiner Großmutter im gleichen Zimmer geschlafen. In den Urlaub wurde ich als Kind von der Arbeiterwohlfahrt geschickt. Das war schlimm damals in dem Ferienheim. Und dann habe ich noch eine fürchterliche Akne bekommen. Mit Pickeln im Gesicht und als Flüchtlingskind war ich ein Außenseiter. Sie nannten mich „Hufli“, also „Hurenflüchtling“.
Diese Zeiten wollten Sie mit aller Macht hinter sich lassen.
Prost: Wenn man so, wie ich ein armer Hund war, aber etwas haben möchte, ja etwas sein möchte, dann gibt man Gas. Zwei Dinge haben mich zu meinem Erfolg getragen: Ich wurde als Flüchtlingskind ausgegrenzt, ja gemobbt. Meine zweite Karriere-raketenstufe war diese fürchterliche Akne. Da wurde ich noch mehr gehänselt. Das Mobbing wurde noch schlimmer. Andere mit so einer schlimmen Akne haben aufgegeben. Aus meiner Behandlungsgruppe im Münchner Klinikum Rechts der Isar ist einer aus Verzweiflung vom Dach runtergesprungen. Ich habe gekämpft und mir gesagt: Euch zeige ich es! Ihr unterschätzt mich!
Wenn Sie schön und reich geboren wären, was wäre dann aus Ihnen geworden?
„Mein Schloss brauche ich nicht mehr“
Prost: Ich hätte nie diese Karriere gemacht. Ich wollte ein Bier kaufen, ein Moped fahren, eine Jeanshose haben, auch in den Urlaub fahren und ein Haus haben. Das ist der klassische Ehrgeiz, wenn du aus der sozialen Unterschicht kommst.
Wollen Sie der Gesellschaft mit Ihrem sozialen Engagement etwas zurückgeben?
Prost: Die Gesellschaft hat mir gar nichts gegeben und es nicht gut mit mir gemeint. Die Gesellschaft hat mich als jungen Menschen genervt und gezwiebelt. Das war Mist. Ich habe mich allein durchgeboxt. Ich muss nichts zurückgeben. Ich zahle rund 50 Prozent an Steuern – und das gerne. Das reicht.