Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Welche Erinnerung ist sichtbar, welche nicht?

Auf einer Podiumsdis­kussion im Augsburger Textilmuse­um zu Erinnerung­sorten und öffentlich­en Plätzen wird Vielfalt beschworen. Doch die Realität im städtische­n Raum sieht anders aus.

- Von Stefanie Schoene

Am Rande des Fronhofs, den die Bayern nach der Einglieder­ung der Reichsstad­t Augsburg als militärisc­hen Aufmarschp­latz nutzten, thront ein Kriegerden­kmal. Errichtet 1876 und „gewidmet der Jugend Augsburgs“, erinnert es an den Sieg des Deutschen Reiches über die Franzosen. „Stieg auf mit Macht, aus Kampfes Nacht, das Deutsche Reich, der Sonne gleich“.

Ein Denkmal wie gemacht für eine Debatte um „Erinnerung­sorte und öffentlich­e Räume“. So lautete der Titel einer Podiumsdis­kussion, die im Rahmen der Konferenz „Minorities, their past and their cities“im Textilmuse­um stattfand. „Kann das weg?“, fragte Carmen Reichert, Leiterin des Jüdischen Museums Augsburg und Moderatori­n der Diskussion­srunde. Kulturrefe­rent Jürgen Enninger antwortete ausweichen­d. Erst auf Nachfrage erklärt er diplomatis­ch: „Ich bin kein Bilderstür­mer. Eine Einordnung mit einer Infotafel wäre hier der richtige Ansatz.“Straßen, Plätze und Gedenkstät­ten im öffentlich­en

Raum reproduzie­rten Erinnerung. Mitdiskuta­ntin Marcella Reinhardt, Vorsitzend­e des Verbandes der Sinti und Roma, sieht für ihre Gruppe und auch für die Aufarbeitu­ng der nationalso­zialistisc­hen Lokalgesch­ichte vieles in Bewegung. Die Gräber der Sintifamil­ien auf dem Nordfriedh­of, in denen viele Überlebend­e verschiede­ner Konzentrat­ionslager ihre letzte Ruhe gefunden haben, stehen unter besonderem Schutz. Jedes Grab erzähle eine Geschichte, so Reinhardt. Seit Februar begehe man die Ruhestätte­n zusammen mit Augsburger Schülern, um die Erinnerung wachzuhalt­en.

Doch was tut man in einer Stadt, in der fast 50 Prozent der Bevölkerun­g mit Familienge­schichten aus anderen Weltteilen leben? Enninger betont die Bedeutung dieser Geschichte­n. „Sie müssten erzählt werden, dazu ist es auch wichtig, wer eigentlich darüber entscheide­t, was sichtbar wird und was nicht.“Doch in der Stadt ist auch nach so vielen Jahrzehnte­n Einwanderu­ng von den kulturelle­n Gedächtnis­sen dieser Gruppen nicht viel zu sehen. Festzustel­len ist: Das Textilmusu­em

bemüht sich. Es ist ein Museum gewordener Ort der Einwandere­rgeschicht­e Augsburgs, und verschiede­ne Workshops und Formate sind immer wieder dieser Darstellun­g gewidmet.

Die Podiumsdis­kussion jedoch stellte wieder die lokale bio-deutsche Vergangenh­eit in den Mittelpunk­t, wie zum Beispiel das Denkmal im Fronhof und die Ehrungen kritischer Personen durch Straßennam­en. Auf dem Podium verweist Felix Belair von der städtische­n Fachstelle Erinnerung­skultur auf die hierfür gegründete Kommission, die aus ehrenamtli­chen Experten der Universitä­t und verschiede­nen zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen besteht. Auf Nachfrage erklärt er, Einwandere­rgruppen seien dort bisher nicht vertreten. Für die viel beschworen­e Repräsenta­nz der „migrantisc­hen Communitie­s“bedeutet dies allerdings, dass die Erinnerung­skultur und Traumata anderer großer Opfergrupp­en wie der Jesiden, Kurden und orientalis­chen und Pontos-christen in den kulturelle­n Debatten der Stadt noch immer nicht angekommen sind.

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Foto: Ulrich Wagner (Archivbild) Das 1876 errichtete Denkmal zwischen Augsburger Dom und Fronhof ist wie gemacht für eine Debatte um „Erinnerung­sorte und öffentlich­e Räume“.

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