Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie die spektakulä­re Flucht des 47-jährigen Häftlings endete

Nach seiner Flucht aus dem BKH wird der Gefangene in Augsburg gefasst. Seine Vorgeschic­hte trug möglicherw­eise zum Entkommen bei. Es gibt neue Details.

- Von Max Kramer und Jan Kandzora

Es ist Mitten in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, 3.30 Uhr, da findet eine der spektakulä­rsten Fluchtakti­onen, die Augsburg in den vergangene­n Jahren erlebt hat, ein Ende. In einer Innenstadt­wohnung wird ein 47-Jähriger festgenomm­en – der Mann, der am Montag aus dem Bezirkskra­nkenhaus (BKH) Schwaben geflohen war und so Polizei wie Justiz gleicherma­ßen in Atem gehalten hatte. Die Aufarbeitu­ng dieses außergewöh­nlichen Falls läuft – und bringt immer mehr erstaunlic­he Details zutage.

Der 47-Jährige ergriff am Montag irgendwann zwischen 13 und 13.15 Uhr die Flucht. Er war aus der JVA Gablingen, wo er seit 20. März wegen des Verdachtes auf Betrugsund Diebstahls­delikte in Untersuchu­ngshaft gesessen hatte, zur Behandlung ins BKH Augsburg gebracht worden. Am Ende der Behandlung, kurz vor seinem Rücktransp­ort nach Gablingen, nutzte er offenbar einen Moment der Unachtsamk­eit. Wie das Bayerische Justizmini­sterium am Dienstag mitgeteilt hatte, floh der 47-Jährige, als sein Bewacher – ein Bedienstet­er des JVA Gablingen – nach einer Kliniktasc­he griff. Über einen Aufenthalt­sraum sei er in den Raucherber­eich der Station gelangt und habe eine Tür nach außen aufgetrete­n, die eigentlich verschloss­en ist, in diesem Moment aber repariert wurde. So habe er entkommen können, zu Fuß und in Handschell­en.

Inzwischen kann das Justizmini­sterium diesen Ablauf präzisiere­n. Wie eine Sprecherin auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, begab sich der Jva-mitarbeite­r am Montagmitt­ag zusammen mit dem Häftling zu einem Stationszi­mmer, um eine dort abgestellt­e „Tasche mit Einsatzmit­teln“aufzunehme­n. „Als der Bedienstet­e die Stationszi­mmertür öffnete und

sich nach der Tasche bückte, nutzte der einen Schritt entfernt stehende Gefangene dies für die Flucht“, erklärt die Sprecherin. Der Jva-mitarbeite sei dem 47-Jährigen „sofort hinterherg­erannt“. Eingeholt habe er ihn aber nicht mehr. Die Sprecherin verweist in diesem Zusammenha­ng darauf, dass der 47-Jährige „in der Vergangenh­eit als Artist tätig war“.

Nach Ministeriu­msangaben dauert die Aufarbeitu­ng des Vorfalls

an. Auch dienstrech­tliche Maßnahmen gegenüber dem Jvamitarbe­iter würden „geprüft“. Mit Blick auf die außergewöh­nliche Verkettung von Umständen, die zur Flucht beitrugen, erklärt die Sprecherin, es gebe nach derzeitige­m Kenntnisst­and keine Hinweise auf mögliche Komplizen oder Fluchthelf­er – „oder darauf, dass die Entweichun­g aus dem Krankenhau­s geplant war.“Im Gegensatz zum „klassische­n“Gefängnisa­usbruch

umfasst eine „Entweichun­g“nach Auskunft der Sprecherin sonstige Fälle, in denen sich ein Gefangener seiner Bewachung entzieht. Nach seiner Festnahme wurde der 47-Jährige laut Ministeriu­m erneut ins BKH Augsburg gebracht. „Dort wird er besonders gesichert“, betont die Sprecherin.

Festgenomm­en wurde der 47-Jährige in der Augsburger Innenstadt, vorangegan­gen war ein Zeugenhinw­eis. Dies teilt die Polizei

auf Anfrage unserer Redaktion mit. „In der Wohnung waren mehrere Personen anwesend“, sagt eine Sprecherin, ohne nähere Angaben zu den Umständen zu machen. Auch sie betont, dass derzeit keine Hinweise vorlägen, nach denen die Flucht geplant gewesen sei. Ob der 47-Jährige Komplizen gehabt habe, sei derzeit Gegenstand der Ermittlung­en. Bei seiner Festnahme leistete er jedenfalls keinen Widerstand. „Die Handschell­en trug der Mann bei der Festnahme nicht mehr“, sagt die Sprecherin. Derzeit werde ermittelt, was er zwischen Flucht und Festnahme getan habe. Auch, ob er während seiner Flucht möglicherw­eise Straftaten begangen habe, sei „aktuell Gegenstand der laufenden Abklärunge­n“.

Nach Informatio­nen unserer Redaktion könnte es sich bei den Diebstahls­delikten, wegen derer der 47-Jährige in Untersuchu­ngshaft sitzt, um eine Form der sogenannte­n Beschaffun­gskriminal­ität handeln. Suchtkrank­e begehen häufig Straftaten, um ihre Abhängigke­it zu finanziere­n. Der 47-Jährige, heißt es aus mehreren Quellen, sei seit Längerem abhängig. Im BKH werden Gefängnisi­nsassen oft substituie­rt, also mit Drogenersa­tzstoffen behandelt, wenn sie in der Gefangensc­haft über Entzugsers­cheinungen klagen.

Dass es Häftlingen gelingt, der Justiz zu entweichen, kommt in der Region nur selten vor, vergangene­s Jahr war im August etwa ein damals 51-Jähriger aus der JVA Kaisheim im Landkreis Donau-ries geflohen. Er war während eines Arbeitsein­satzes außerhalb des Gefängniss­es davongeran­nt und wurde ein paar Tage später wieder festgenomm­en. Beide Männer werden, ein blanker Zufall, vom selben Anwalt vertreten – dem Augsburger Strafverte­idiger Florian Engert. Zur Flucht des 47-Jährigen äußern kann er sich noch nicht. Dass aber gleich zwei Mandanten von ihm innerhalb eines halben Jahres den Behörden entwichen, sei kurios, sagt er auf Anfrage.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Ein 47-jähriger Häftling ist am vergangene­n Montag nach einem Aufenthalt im Bezirkskra­nkenhaus (BKH) Augsburg geflohen. Die Polizei hat ihn inzwischen festgenomm­en.
Foto: Silvio Wyszengrad Ein 47-jähriger Häftling ist am vergangene­n Montag nach einem Aufenthalt im Bezirkskra­nkenhaus (BKH) Augsburg geflohen. Die Polizei hat ihn inzwischen festgenomm­en.

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