Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der Bienenhotel-bauer mit Herz und Seele
Jürgen Schwandt hat Spuren hinterlassen – vor allem in Gärten und Parks. Ein Nachruf auf einen Mann aus Augsburg, der mit einer zündenden Idee sein Hobby zur Berufung machte.
Jeder Mensch, der stirbt, hinterlässt Spuren in den Herzen anderer. Nicht alle aber wirken tatsächlich mit ihren Taten über ihre eigene Vergänglichkeit hinaus. Jürgen Schwandt tat es. Der Augsburger hat Spuren in etlichen privaten Gärten, auf Balkonen und in Parks hinterlassen – in Form von kunstvoll geschreinerten Insektenhotels. Im Botanischen Garten etwa ist auch eines seiner Exemplare zu finden. „Sein Geist summt in unserem Garten“, stand daher in einer der vielen Beileidsbekundungen, die Witwe Suse Schwandt erreicht haben. Ein Nachruf auf einen Menschen, der sich an der Natur erfreute und der erst später im Leben seine Leidenschaft zum Beruf machte.
Dort im Sessel habe er vor seinem Tod viel Zeit verbracht, erzählt Suse Schwandt. Die 71-Jährige sitzt am Wohnzimmertisch und deutet auf das bequeme Sitzmöbel gegenüber. Gefreut habe sich ihr Mann, wenn er am Fenster in der Hochhauswohnung in Lechhausen einen Blick auf den Sonnenuntergang erhaschen konnte. Die Krebserkrankung hatte ihn in den vergangenen zwei Jahren zunehmend gezeichnet. Ihn, der doch immer so umtriebig war und voller Ideen. Eine seiner besten waren wohl die Wildbienenhotels, die er mit viel Liebe und Fantasie geschreinert hatte. Jedes ein Unikat. Wie viele ihr Mann über die Jahre angefertigt hatte, kann Suse Schwandt nicht sagen. „Es waren unglaublich viele“, sagt sie und lächelt. Die Idee dazu kam Jürgen Schwandt vor über 20 Jahren auf einer Gartenmesse in Augsburg.
Schwandt liebte das Handwerk des Schreinerns. Schon als junger Mann wollte er den Beruf erlernen, aber der Staat hatte andere Vorstellungen. Jürgen Schwandt und seine spätere Frau Suse wuchsen in der damaligen DDR auf. „Dort konnte man nur den Beruf erlernen, der auch gebraucht wurde“, berichtet die Witwe. „Jürgen wurde deshalb Heizungsmonteur.“Die
beiden lernten sich im Job in einem Altenheim kennen. Er war für Hausmeistertätigkeiten zuständig, sie arbeitete in der Küche. „Wir waren viele Jahre gute Freunde. Bis eine gemeinsame Freundin ihm sagte, wenn du dich bei der Suse nicht bald ran hältst, ist sie weg.“Die 71-Jährige lacht bei der Erinnerung an damals. Auch mit ihrem Mann habe sie viel gelacht. 37 Jahre lang waren sie ein Paar.
„Jürgen war ein humorvoller Mensch und ein Träumer.“Er und das restriktive Leben in der DDR hätten nicht zueinander gepasst. Sie floh zuerst, blieb nach einem genehmigten West-besuch bei der Oma 1989 in Königsbrunn. „Jürgen kam später über Ungarn nach. Es war eine grausame Zeit.“Die beiden bauten sich in der Augsburger Region eine neue Existenz auf. In ihrer Freizeit bereisten sie gemeinsam Märkte. Sie verkaufte Glasanhänger, Glückssteine und Speiseöle, er selbst gebastelte Puppenmöbel aus Holz. Jürgen Schwandt arbeitete zunächst in einer Fabrik in Schwabmünchen, bis bei ihm eine chronische Erkrankung an der Wirbelsäule diagnostiziert wurde. Ein Gespräch beim Arbeitsamt
brachte dann die glückliche Wendung.
„Als er dem Sachbearbeiter Fotos von seinen selbst angefertigten Puppenmöbeln zeigte, meinte dieser, Jürgen müsse Schreiner werden. Und wegen seiner Krankheit Schreiner für Kleinmöbel.“Drei Jahre lang schulte er auf den Beruf um, den er schon immer machen wollte. Und dann war da eben jener Besuch einer Gartenmesse in Augsburg, wo ihm ein Stand mit Insektenhotels auffiel. „Wir hatten nicht viel Geld, aber Jürgen wollte sich eines leisten. Doch der Verkäufer hatte keines mehr.“Ob die so gefragt seien, habe ihr Mann wissen wollen. „Ja, das boome gerade“, habe der Aussteller geantwortet. „Und da war bei Jürgen die Idee geboren.“
Schwandt baute kleine und große Wildbienenhotels, mit oder ohne Kupferdach. Die Schilfröhrchen, die den Bienen als Unterschlupf dienen, richtete er in verschiedenen Mustern an. Für Kinder stellte er Bausätze her. Schwandt engagierte sich in der gemeinnützigen Organisation „Deutschland summt“, dann wurde das Unternehmen Wildbienenglück auf den
Augsburger aufmerksam und war begeistert. Über zehn Jahre lang dauerte die Zusammenarbeit, Schwandt schreinerte, die Firma kümmerte sich um Vertrieb und Co. Der Augsburger hat es geschafft, aus seiner Leidenschaft eine Geschäftsidee zu entwickeln. Jetzt im Alter, sagt seine Frau Suse, hätten sie noch viel vorgehabt. Reisen wollten sie, ganz Deutschland erkunden. Doch dann kam der Krebs.
Sein Tod hat Bestürzung auch bei denen hinterlassen, die mit ihm zusammenarbeiteten. „Jürgen war für uns mehr als nur ein talentierter Schreiner, er war ein wahrer Künstler, dessen Handwerk und Hingabe zu bewundern waren“, postete die Organisation „Deutschland summt“auf Facebook. Er sei ein außergewöhnlicher Mensch gewesen, der auch Herz und Seele in seine Arbeit einfließen ließ. Jürgen Schwandt, so erzählt die Witwe, habe die letzten Tage im St. Vinzenz-hospiz verbracht. „Von seinem Zimmer aus hatte er einen Blick in den Garten auf ein Hochbeet mit vielen Lavendelblüten. Er sagte, hier würde ein Bienenhotel gut hinpassen, denn die
Bienen hätten reichlich zu fressen.“Im Hospizgarten erinnert jetzt eine Stele an ihn – initiiert von Wildbienenglück. Jürgen Schwandt hat viele Spuren hinterlassen – auch auf seiner letzten Station. Er wurde 68 Jahre alt.
Wir erinnern in dieser Artikelreihe an Augsburgerinnen und Augsburger, die in jüngster Zeit gestorben sind. Wir schreiben über Menschen, über die Zeitungen in aller Regel keine Nachrufe veröffentlichen, weil sie nicht in öffentlichen Funktionen tätig oder einer großen Allgemeinheit bekannt waren. Doch hat nicht jeder Mensch eine Geschichte? Wir wollen erinnern und erzählen und freuen uns, wenn vielleicht auch Sie mit uns über Ihren verstorbenen Angehörigen sprechen möchten. Möchten Sie das gerne, dann melden Sie sich bitte per E-mail an nachrufe@augsburger-allgemeine.de bei uns.
Die Witwe weist auf eine Spendenmöglichkeit an die Stiftung „Mensch und Umwelt“, die sich unter anderem für Wildbienen einsetzt. IBAN 71 3060967110550660, Stichwort „In Gedenken an Jürgen Schwandt“.