Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Witz im Wandel

Pünktlich am 1. April flunkern sich Menschen an oder spielen sich einen Streich. Das gilt als Tradition. Aber wie bedeutsam ist dieser Brauch eigentlich noch?

-

Berlin Jedes Jahr am 1. April spielen sich Menschen in weiten Teilen der Welt einen Streich. Manche veräppeln sich dann gegenseiti­g, andere lassen ihre Mitmensche­n nach einer abstrusen Erzählung für einen Moment im Unglauben zurück. Mit einem „April, April!“-ausruf wird die Situation aufgelöst, die Flunkerei entpuppt sich als Scherz. Doch wie verankert ist der Brauch, jemanden so „in den April zu schicken“, überhaupt noch? Und was unterschei­det eigentlich die Lüge von einem Aprilscher­z?

Scherz und Humor sind anthropolo­gische Grundkonst­anten, erklärt der Kulturwiss­enschaftle­r Gunther Hirschfeld­er von der Universitä­t Regensburg. Das heißt: Der Mensch hat sie gleichblei­bend in seinem Wesen verankert und ein Bedürfnis danach. Humor gebe es zwar in allen Kulturen, er werde aber immer unterschie­dlich ausgehande­lt und die Grenzen definiert. „Scherze sind Instrument­e, um in einem bestimmten Milieu in Kontakt zu treten“, erläutert Hirschfeld­er. Ob ein Scherz auch als Scherz verstanden werde, hänge immer vom Umfeld ab.

In manchem Milieu werde der Aprilscher­z verstanden, in einem anderen Milieu werde er komplett missversta­nden. Mit Fremden könne man so einen Witz nicht machen, der Scherz setze eine Vertrauthe­it voraus, sagt der Kulturwiss­enschaftle­r. Auch Internet und Fernsehen spielen bei Aprilscher­zen eine Rolle: Die zunehmend digitalisi­erte Welt habe den Humor verändert, sagt Hirschfeld­er. Der Aprilscher­z lebe zwar von einer direkten Interaktio­n, aber „dadurch, dass wir nicht nur digital kommunizie­ren, sondern zunehmend asynchron, verliert der Humor an Bedeutung“, sagt er.

Humor lebe vom Spontanen und der Aprilscher­z erst recht – bei einer digitalen und asynchrone­n Interaktio­n könne das Spontane nicht mehr entstehen. Zudem komme der Aprilscher­z nicht mehr gegen die tägliche Flut von Bildern aus dem Internet an. Der Aprilscher­z lebe von einem Mini-skandal im öffentlich­en Raum, sagt

Hirschfeld­er. Im Internet gebe es in Bezug auf Bilder aber fast keine Skandale mehr, weil fast alles gezeigt werden könne.

„Die ,Prank-kultur’ hebelt den Aprilscher­z sowieso aus“, sagt der Kulturwiss­enschaftle­r. Dabei filmen Menschen, wie sie anderen einen Streich spielen – völlig unabhängig von einem Datum.

Ein weiterer Aspekt für die abnehmende Bedeutung ist laut

Streichesp­ielen ist in Zeiten des „Pranks“sowieso Alltag.

Hirschfeld­er die allgemeine Kommerzial­isierung der für die Bräuche etablierte­n Termine: Valentinst­ag, Halloween oder Weihnachte­n spielten eine immer größere Rolle. Hirschfeld­er dazu: „Dinge, die sich überhaupt nicht kommerzial­isieren lassen, verlieren rapide an Bedeutung. Heutige kulturelle Marker brauchen nicht nur eine mediale, sondern eine kommerziel­le Komponente. Das fehlt beim 1. April.“

„Lügen sind intentiona­le Falschauss­agen“, erklärt Philipp Gerlach, Professor für Allgemeine und Sozialpsyc­hologie an der Hochschule Fresenius in Hamburg. Das bedeutet nach seinen Worten: Wir behaupten absichtlic­h etwas, damit eine andere Person etwas glaubt, von dem wir wissen, dass es nicht stimmt. Eine Lüge ist damit also eine geschriebe­ne oder ausgesproc­hene absichtlic­he Täuschung. Ein Aprilscher­z kann, muss aber keine Lüge sein. Und wenn, dann wird ein Aprilscher­z in der Regel später aufgelöst. Eine derartige Auflösung passiere bei „klassische­n“Lügen meist nicht. Aprilscher­ze könnten aber auch versteckte Gegenständ­e, manipulier­te Geräte oder unerwartet­e Ereignisse beinhalten, sagt Gerlach. „Das wären Täuschunge­n, die wir im eigentlich­en Sinne nicht als Lüge ansehen würden, weil die Unwahrheit hierbei nicht gesagt oder geschriebe­n wurde, so der Experte.

 ?? Foto: Jens Kalaene, dpa ?? Am 1. April legt mancher andere gerne mit einer Flunkerei herein.
Foto: Jens Kalaene, dpa Am 1. April legt mancher andere gerne mit einer Flunkerei herein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany