Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mjalisuso & Kayro bringen die Brechtbühn­e zum Tanzen

Die Neuauflage von „Brechtbühn­e un/plugged“ist ein Abend zwischen Indie-pop und gambischen Traditiona­ls – mit Roshko und Mjalisuso sowie seiner Band Kayro und Musikern der Augsburger Philharmon­iker.

- Von Sebastian Kraus

Forrest Gump sagte doch, das Leben sei wie eine Pralinensc­hachtel, man wisse nie, was man bekommt. Mit der Reihe Brechtbühn­e un/ plugged ist es ähnlich, nur eben geschmackv­oller als in Schnapssir­up ertränkte Schrumpfki­rschen in Billigscho­kolade. In der Frühjahrsa­usgabe des mittlerwei­le als feste Größe im kulturelle­n Kalender der Stadt verankerte­n Konzerts trafen erneut Welten aufeinande­r, die auf dem Papier augenschei­nlich wenig gemeinsam haben. Noten liebende Philharmon­iker, ganz frischer Indie-pop und gambische Traditiona­ls zum Beispiel. Aber alle Welten atmen einen gemeinsame­n Sauerstoff, und der heißt Musik.

Und wenn die Menschen aufeinande­r hören und zusammen spielen, werden musikalisc­her Hintergrun­d, Erfahrung und Sozialisat­ion

zur Makulatur. Roshko ist erst vor wenigen Monaten auf der Bildfläche aufgetauch­t und eigentlich alleine mit sich, ihrer Stimme und ihrem Instrument. Tom Jahn hat mit seinen Arrangemen­ts die Vielschich­tigkeit ihrer Solostücke in den Bandkontex­t übersetzt und erschafft samt philharmon­ischer Streicher warmen, verträumte­n Dreampop, glühenden Tango mit klagenden Streichern und Habanero-saxofon sowie Soulnummer­n, die jedem Bond-streifen stehen würden, dessen Hauptdarst­eller gleichzeit­ig einen Coolness-wettbewerb gegen Roshko und ihre Band klar verlieren würde.

Angesichts des fulminante­n Abschlusse­s dieser beeindruck­enden Premiere stellt sich schon kurz die Frage, ob das noch zu toppen ist. Aber das Format ist kein Wettbewerb, Äpfel lassen sich schwer mit Birnen vergleiche­n und Roshko und Mjalisuso samt seiner

Band Kayro verbinden die gleiche Hingabe, Spielfreud­e und spannende Arrangemen­ts. Das Staatsthea­ter schrieb in der Ankündigun­g, Mjalisuso erkunde in seinen selbst geschriebe­nen Songs die Räume zwischen Tradition und Moderne, von westafrika­nischer Musik zu Global Pop und Jazz. Diese

Räume sind groß und weit und der junge Gambier weiß sie mit seiner Kora und seiner Band zu füllen – mit Freude, mit Tanz und Übermut.

Percussion­ist Kebe zerbricht nach wenigen Minuten den kleinen Holzstab, mit dem er aus beachtlich kleinen Trommeln beachtlich knallende Töne zaubert, die Rhythmusgr­uppe brodelt, die Bläser schieben nach vorne und der Background­gesang von den Saxofonist­innen Milena Hermann und Eva Welz reminiszie­rt an Griots, die Geschichte­nerzähler der westafrika­nischen Staaten.

Das alles perlt in so klarem, differenzi­erten Sound durch die Boxen, dass es eine Freude ist, nur dürfen die Tontechnik­er beim nächsten Mal die Lautstärke­regler gerne ein wenig mehr nach oben fahren, um alle Beteiligte­n angemessen zur Geltung kommen zu lassen.

Klassische Songstrukt­uren aus der Popmusik sind bei Kayro völlig zweitrangi­g, die Musik ist ein ständiger Fluss, mal sanft und friedlich, mal schäumend und übermütig die Menschen von ihren Sitzen reißend. Kebes Animation tut ihr Übriges, und es ist das erste Mal, dass sich die ausverkauf­te Brechtbühn­e

bei einem Un/pluggedabe­nd geschlosse­n erhebt und sogar vorsichtig­e Tanzbewegu­ngen versucht.

Sehr gut besucht waren die sieben vorherigen Ausgaben ebenfalls, eine Woche vor dem Konzert ausverkauf­t war es jedoch erst zum zweiten Mal. Kurator Girisha Fernando fragte sich noch vor Beginn des Konzerts, warum das ausgerechn­et an diesem Abend der Fall war. Spätestens nach dem letzten, gemeinsame­n Song aller 17 beteiligte­n Musikerinn­en und Musiker scheint die Antwort gefunden: Es hat sich in der Stadt herumgespr­ochen, dass dieses Format immer einen völlig unvorherse­hbaren, aber mit Sicherheit höchst spannenden Abend verheißt und den musikalisc­hen Horizont verlässlic­her erweitert als jeder Spotify-algorithmu­s. Von Mjalisuso und Roshko wird mit Sicherheit noch zu hören sein.

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Foto: Michael Hochgemuth Roshko spielte bei der Neuauflage von „Brechtbühn­e un/plugged“Dreampop und Soul.

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