Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Viele junge Menschen rücken nach rechts

Forscher stellen ungewöhnli­ch schnelle Radikalisi­erung fest. Welche Rolle Tiktok bei der Verbreitun­g extremisti­scher Inhalte spielt.

- Von Florian Lang

Immer mehr junge Menschen in Deutschlan­d wenden sich der AFD zu, immer mehr von ihnen teilen rechtsextr­emes und populistis­ches Gedankengu­t. Was sich bereits bei den Landtagswa­hlen in Bayern und Hessen im vergangene­n Oktober zeigte, ist auch Tenor der jüngsten Trendstudi­e „Jugend in Deutschlan­d“. Einmal jährlich vermessen die Sozialwiss­enschaftle­r Klaus Hurrelmann, Simon Schnetzer und Kilian Hampel die junge Generation in Deutschlan­d und befragen dafür über 2000 Menschen zwischen 14 und 29 Jahren. Am Dienstag stellen sie ihre neuen Erkenntnis­se in Berlin vor und zeigen auf, warum die Rechten bei den Jungen so erfolgreic­h sind.

Rechtes Gedankengu­t immer tiefer in der jüngeren Generation zu verankern, gelingt der AFD vor allem über ihre starke Präsenz in sozialen Medien. Insbesonde­re Tiktok sieht die Partei als idealen Kanal, um ihre Botschafte­n zu platzieren, und hat deshalb ihre Arbeit dort im vergangene­n Jahr noch einmal massiv ausgeweite­t. „Die AFD hat es besser verstanden, junge Menschen auf Tiktok abzuholen, und ihre Positionen unterhalts­am aufzuberei­ten“, sagte Jugendfors­cher Simon Schnetzer unserer Redaktion. Die anderen Parteien seien in den sozialen Medien klar unterreprä­sentiert oder nutzten sie für klassische Wahlwerbun­g. „Sie gehen nicht in den Dialog, sind nicht unterhalts­am und damit quasi unsichtbar.“

Nicht nur die AFD nutzt die sozialen Medien erfolgreic­h, um extremisti­sche Inhalte und auch Falschinfo­rmationen zu verbreiten. „Russland betreibt dort ganz massiv Propaganda, vor allem auch über Tiktok. Und diese Botschaft verfängt bei jungen Menschen. Es sind nicht nur die Inhalte der AFD, die diesen Rechtsruck befeuern“, sagte Schnetzer. Wie perfide die russische Propaganda vorgeht, musste der Allgäuer Jugendfors­cher selbst erleben. Nach einem Interview mit vermeintli­chen russischen Journalist­en, tauchten in mehreren sozialen Netzwerken echte Zitatschni­psel auf, die mit gefälschte­r Kritik an der Ampelregie­rung aus dem Kontext gerissen und verbreitet wurden.

Dass sich gerade Tiktok ausgezeich­net zur Verbreitun­g extremisti­scher Inhalte eignet, stellt auch die Medienfors­cherin Eva Berendsen heraus. Für ihre jüngste Studie hat sie mit Eltern und Lehrkräfte­n gesprochen, um herauszufi­nden, wie sich antisemiti­sche Inhalte auf Tiktok verbreiten. Ihr wurde berichtet, dass nach dem Hamas-angriff auf Israel am 7. Oktober, selbst Kinder, die sich bisher nicht für Politik interessie­rt hatten, plötzlich radikale Parolen und antisemiti­sche Narrative verbreitet­en, die sie auf Tiktok aufgeschna­ppt hatten. „Dass junge Menschen auch radikale Ansichten vertreten, ist nicht unbedingt neu. Aber die Geschwindi­gkeit ist eine andere. Viele erleben bei ihren Kindern eine Art Speed-radikalisi­erung“, sagt die Politikwis­senschaftl­erin. Erst am Montag hat die Eukommissi­on erneut ein Verfahren gegen Tiktok eröffnet. Es soll geprüft werden, ob der chinesisch­e Konzern mit der App Tiktok Lite die psychische Gesundheit von Minderjähr­igen gefährdet.

Der Rechtsruck hänge jedoch auch damit zusammen, sagt Simon Schnetzer, dass sich die Jungen mit ihren Problemen von der Politik nicht gesehen fühlen. Dort müsse man ansetzen. „Die junge Generation wählt sehr programmat­isch. Wenn die aktuelle Regierung mitreden will, muss sie sich an den Problemen junger Leute orientiere­n und dafür Lösungen anbieten.“Außerdem plädiert der Jugendfors­cher für eine Senkung des Wahlalters auf 14 Jahre oder noch jünger. „Sonst ist es für Jugendlich­e schlicht nicht relevant, sich mit Politik auseinande­rzusetzen, und wir überlassen es dem Zufall des Tiktok-algorithmu­s, ob wir sie nach der Schule noch für demokratis­che Ideen begeistern können.“

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