Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Politik und der Dackelblick
Die Bundesregierung will gegen Qualzuchten bei Haustieren vorgehen. Die geplante Reform betrifft auch Rassehunde. Geht es jetzt sogar dem kurzbeinigen Teckel an den Kragen? Eine Geschichte über Gesundheit, Gerüchte und Gegenwehr.
Fronreute Wer könnte diesem Blick widerstehen? Diesen kastanienbraunen Hundeaugen mit einer Mimik voller Wärme und Neugier, einer Mischung aus Tatendrang und Skepsis, aus Freude und Vorsicht. „Charlotte!“, ruft Doris Dengg die aufgeregte Dackeldame zur Räson. Die winselt und schnuppert erst, aber schon nach kurzer Zeit streckt sie alle Viere von sich und lässt sich genüsslich streicheln. „Dackel sind die größten Charmebolzen“, sagt Dengg in ihrer Wohnung in Fronreute bei Ravensburg. „Kein Wunder, dass die Nachfrage lange nicht mehr so groß war wie jetzt.“Nach dem Boom in den 1970erjahren und einem darauf folgenden Abschwung erlebt der Dackel, auch Dachshund oder Teckel genannt, tatsächlich eine Renaissance und schafft es hierzulande wieder unter die zehn beliebtesten Welpen. Ist es damit bald vorbei?
Denn um das vertierlichte Symbol deutscher Kultur ist eine Debatte entbrannt, die auch international Schlagzeilen macht. So fürchtet die britische Daily
Mail ein Aus für den auf der Insel so beliebten „German Sausage Dog“(„Wursthund“), CNN und New York Times berichten ebenfalls in großen Geschichten. Auslöser ist eine geplante Reform des Tierschutzgesetzes, die sich gegen Schmerz und Schäden durch fehlerhafte Zucht richtet. Als Qualzuchtmerkmale werden zum Beispiel Skelettanomalien angeführt, auch der Zuchteinsatz von Haustieren mit erblich bedingten Krankheiten soll eingeschränkt werden.
Noch feilt das Kabinett an den Details und der Bundestag muss auch darüber befinden, aber die Aufregung ist schon jetzt gewaltig. Nicht zuletzt, weil die bislang vagen Formulierungen auch auf den Dackel zutreffen könnten. Der Deutsche Teckelklub 1888 empört sich ebenso wie Josef Ramacher, Präsident des Verbands Deutscher Hundezüchter (VDH), der mit Pathos zur Gegenwehr aufruft: „Stellen wir uns gemeinsam vor unsere Hunde und schützen unsere Teckel vor dem Zugriff ideologisierter Kräfte. Es ist nun Schulterschluss gefragt.“
Nicht minder harsch fällt darauf die Antwort des Deutschen Tierschutzbundes aus. „Die Panik-kampagne des VDH macht fassungslos. Hier werden aus rückwärtsgewandten Nostalgiegründen kranke Tiere zum vermeintlichen Kulturgut verklärt“, mahnt Fachreferentin Lisa Hoth-zimak. Der Dackel, so der Tierschutzbund weiter, sei keine gesunde Hunderasse. Durch das Missverhältnis von langem Rücken und kurzen Beinen komme es zu schmerzhaften Bandscheibenvorfällen mit teils irreparablen Lähmungen. Der zuständige Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) beschwichtigt, im neuen Tierschutzgesetz gehe es „um Qualzuchtmerkmale und die Gesundheit der Tiere – nicht, wie fälschlicherweise behauptet, um das pauschale Verbot von bestimmten Rassen“. Mit Falschbehauptungen erweise man „den Tieren und dem Tierschutz einen Bärendienst“. Geklärt ist dieses emotionale Thema damit aber noch lange nicht.
Gefühle, in die eine oder andere Richtung, hat der Dackel schon immer geweckt. Das war bei Doris Dengg nicht anders. Die Österreicherin wuchs in Kärnten auf, wo ihre Eltern ein Hotel betrieben. „Die deutschen Gäste brachten oft einen Dackel mit“, sagt sie. „Und der ist mir direkt ins Herz gesprungen.“Mit seinem berühmten Dackelblick, der für Dengg Treue und Ergebenheit ausdrückt wie kein anderer Hund. „Für mich war schon als Kind klar: Wenn eines Tages ein Hund, dann kann es nur ein Dackel sein.“
Charlotte ist nun bereits ihr dritter Teckel, den sie versorgt. „Ein Hund ist ja keine Eintagsfliege. Man muss dem Tier gerecht werden.“Was für den eigenwilligen Dackel besonders gilt. „Da steckt ganz viel Charakter in einem so kleinen Hund.“Ist der nette Vierbeiner doch bekannt für seine ausgeprägte Persönlichkeit. Tritt gerne vorwitzig und temperamentvoll auf, weshalb es in der Erziehung eine „liebevolle Konsequenz“braucht, wie Frauchen formuliert. „Jeder Dackel ist glücklich, wenn er von klein auf seine Grenzen aufgezeigt bekommt.“Was er dem Halter mit seinem Wesen dankt, er ist gelassen, verschmust und lernbegierig, ebenso liebenswürdig wie stur, wissensdurstig und faul. „Nur ein paar Tropfen Regen reichen und ich muss nicht einmal daran denken, mit ihr rauszugehen. Da verhält sich Charlotte, als hätte sie eine Dauerwelle.“
Charakterkopf und Dackelallüren haben zur weltweiten Beliebtheit des selbstbewussten Tieres geführt. Zahlreichen Prominenten diente er als Begleiter – Musiker George Harrison, den Schauspielgrößen John Wayne oder Doris Day, auch Napoleon oder Kaiser Wilhelm II. liebten ihre Teckel. Pablo Picasso und Andy Warhol verewigten ihre Dackel auf Leinwand. Und der Ulmer Grafikdesigner Otl Aicher nahm seine Dackelhündin als Modell, um für die Olympischen Sommerspiele 1972 in München das ikonische Maskottchen „Waldi“zu schaffen. Die Ursprünge des kleinen Vierbeiners liegen jedoch deutlich weiter zurück – und damit auch die Kontroversen von heute.
Der Dackel wird nämlich schon seit dem 17. Jahrhundert in Deutschland gezüchtet, um bei der Jagd zu helfen. Sein Mut, gepaart mit der langen Körperform, dem schmalen Brustumfang und den kräftigen Beinen, ermöglicht ihm, in Fuchsoder Dachsbau zu kriechen und das Wild zum Verlassen der Höhle zu drängen. Die Zucht wurde daher im Laufe der Jahrhunderte verfeinert, inzwischen gibt es Standard-, Zwerg- und Kaninchendackel, in Kurzhaar, Langhaar und Rauhaar. Geblieben ist allen jedoch eines: die kurzen Beine. Und die beruhen auf einer Erbmutation.
Achim Gruber, Professor am Institut für Tierpathologie an der Freien Universität
Berlin, spricht von einem Gendefekt, der zu einer Knorpeldegeneration führt. „Sie verursacht sowohl die krumm-kurzen Beine als auch das enorme Risiko für Rückenleiden“, so der Fachmann. Gruber schätzt, dass zwischen acht und 25 Prozent der Dackel schmerzhafte Bandscheibenvorfälle erleiden, die bis zur Dackellähme führen können, „rund zehnmal häufiger als bei anderen Rassen“. Der Wissenschaftler und Sachbuchautor („Geschundene Gefährten“) beschäftigt sich eingehend mit Qualzucht. Mit kurzen Nasen, Kulleraugen oder Hautfalten, die absurde Schönheitsideale des Menschen bedienen. Aber die bei den Tieren zu lebenslangen Leiden führen können, zu Rückenschmerzen, Augenerkrankungen und Allergien.
Wie zum Beispiel beim Mops, der Gruber zufolge früher eine deutlich längere Nase hatte, inzwischen jedoch schlecht Luft bekommt, was schlimmstenfalls zum Tod führt. Auch besonders große Hunde seien betroffen, wie Doggen, Irische Wolfshunde oder große Bernhardiner, die unter Knochenkrebs, kaputten Hüften oder tödlichen Magendrehungen leiden könnten. Der neue Qualschutzparagraf soll diese Entwicklung bremsen – und auch die Zucht ganzer Rassen unterbinden?
„Das Gesetz sieht erstmals diese Möglichkeit vor, sofern ein vernünftiger Grund, also Schmerzen, Leiden und Schäden, nur so abgewendet werden können“, sagt Gruber. „Damit hinken wir in Deutschland sehr weit anderen Ländern hinterher, in denen schwer krank gezüchtete Rassen zum Schutz der Tiere bereits verboten sind, etwa in Norwegen oder den Niederlanden.“Stellt sich also die Frage, ob der Dackel noch eine Zukunft hätte, sollte das neue Gesetz hierzulande kommen.
„Nicht wenige tragen noch eine gesunde Genvariante, die durch geschickte Zucht völlig rückengesunde Dackel entstehen lässt“, erklärt Gruber. „Diese haben jedoch um wenige Zentimeter längere Beine, an die sich so mancher traditionelle Fan erst gewöhnen muss. Das Dack0elwohl muss uns das wert sein.“Aber ist das vorstellbar – ein langbeiniger Dackel?
„Wir wollen auch keine kranken Hunde“, sagt dazu Ulrich Reidenbach, erster Vorsitzender des VDH Baden-württemberg. „Aber pauschal zu sagen, der Dackel ist aufgrund seines Körperbaus eine Qualzucht, das ist so sicher nicht richtig. Wenn ein Hund leidet, muss man was tun. Aber das lässt sich auch züchterisch beeinflussen.“
Der VDH hält daher das geplante Qualzuchtverbot grundsätzlich auch für sinnvoll. „Der Paragraf, wie er jetzt gefasst ist, lässt jedoch zu viele Fragen offen“, so Reidenbach. Unbestimmte Formulierungen dürften nicht dazu führen, dass gesunde Tiere für die Zucht verboten werden. „Wir möchten doch auch, dass Hunde gesünder werden. Der Gesetzgeber muss aber erst bestimmte Dinge in den Griff bekommen.“Wie die Flut an Hunden aus Osteuropa. „Die werden unter grausamsten Bedingungen gezüchtet und mit einem enormen Gewinn verkauft.“
„Wir haben sehr hohe Auflagen“, erklärt Reidenbach. So müssen sich die Züchter im Verband an Rassestandards halten,
Dackel sind bekannt für ihre ausgeprägte Persönlichkeit.
Das Tierwohl hängt wesentlich von der Haltung ab.
Gentests auf Augen- oder Knochenerkrankungen machen und Tiere mit auffälligen Merkmalen aus der Zucht nehmen. „Das ist unser Weg“, sagt der Vorsitzende. „Züchter, die diesen Weg nicht mitgehen, treten aber aus dem Verband aus. Trotzdem züchten sie weiter.“Und produzieren womöglich Tiere, die von Geburt an qualvoll leiden.
Massenweise Hunde, die illegal aus dem Ausland kommen, Züchter, die sich schwer kontrollieren lassen, und ein Gesetz, das im Ansatz zwar richtig erscheint, aber der Nachbesserung bedarf – so weit, so schwierig. Das Tierwohl hängt wesentlich aber noch von einem anderen Faktor ab: der Haltung.
Doris Dengg weiß darum, Leckerlis erlaubt sie ihrer Charlotte nur beim Üben und Arbeiten. „Ein dicker Dackel geht gar nicht. Jedes Gramm mehr verursacht mehr Belastung auf den lang gestreckten Körper.“Um den Rücken zu schonen, nimmt sie die Hundedame in der Regel auch nur mit beiden Händen hoch und lässt sie möglichst keine Treppen laufen, schon gar nicht abwärts. Aber wäre ein Dackel mit etwas längeren Beinen im Alltag nicht praktischer? „Ich persönlich möchte dann keinen Dackel mehr. Weil die jetzige Form ist für mich perfekt.“So perfekt wie sonst nur zwei braune Augen mit einem unwiderstehlichen Dackelblick.