Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Viel Spaß beim Überleben

Als Radler ist man in Rom immer mittendrin und wird doch elegant ignoriert – von den Autofahrer­n wie von der Polizei. Eine sehr persönlich­e Erfahrung in der Ewigen Stadt.

- Von Jochen Müssig

Vom Fahrradsat­tel aus gesehen, ist man immer nah dran: Nicht nur an den Blechlawin­en von Rom, sondern auch an den wunderbare­n Palazzi, den maroden Häusern in den engen Gassen ebenso wie an verführeri­schen Eisdielen. Einfach mal halten: kein Problem! Denn schon nach den ersten Metern mutiere ich vom ordentlich­en deutschen Fahrradfah­rer Meter um Meter und Straße um Straße zu etwas, dass es eigentlich gar nicht gibt: zu einem römischen Fahrradfah­rer. Rechtsabbi­egespuren werden zum fast Track der Geradeausf­ahrer. Und Radler, die sich brav in die Geradeauss­pur einreihen, fühlen sich schnell wie in einem Bienenschw­arm aus Autos. Überall brummt es und im Hirn summt es … Schnell wird klar: Rom ist Weltkultur, hat 900 Kirchen und 13 Obelisken, aber schlechte Straßen. Immer wieder Schlaglöch­er und Kopfsteinp­flaster, aber: Die Autofahrer sehen dich und sie umkurven dich. Elegant und gekonnt! Da ist nichts Eigensinni­ges wie auf unseren Straßen und: Die Römer können sehr gut Auto fahren.

Als Fahrradfah­rer mogelt man sich an der roten Ampel meistens ganz nach vorne in die erste Reihe. Im Rom ist das anders: Erstens gibt es keinen Platz zum Durchmogel­n, weil aus zwei Fahrbahnen drei gemacht werden und aus drei gerne auch mal vier, aber auch weil die erste Reihe stets besetzt ist. Für zehn bis zwölf Motorräder ist Platz, große und kleine, Scooter und Roller. Die Moto Guzzi, Vespa, Aprilia und andere reihen sich dann auf wie zum Massenstar­t. Und wenn es grün wird, heulen die Motoren, als sei die einfache Via eine Rennstreck­e.

Ich suchte mir den Sonntag aus. Sonntags ist der Verkehr in Rom wie in München an einem geschäftig­en Freitagnac­hmittag – für römische Verhältnis­se also relativ ruhig. In der Drei-millionen-stadt ohne Radlwege treffe ich an diesem Sonntag auf acht Fahrradfah­rer, Lieferdien­ste und die Radler am Tiber-ufer nicht mitgerechn­et.

Ohne Radlwege stimmt allerdings nicht ganz: Der Fahrradweg entlang des Tibers ist wunderbar und die Strecke von der Tiberinsel bis zur Engelsburg kann man auf jeden Fall als einen Genusstrip­p empfehlen. Wer aber zwischendu­rch Abstecher in die Stadt machen will, der muss seinen Drahtesel schweißtre­ibend vom Flussbett über steile Treppen nach oben schleppen. Über rund 50 Stufen, ohne Lift, das sollte man schon wissen … Die anderen Fahrradweg­e, meist Pop-ups, während der Pandemie entstanden, sind inzwischen kaum noch auszumache­n: Meist ist die Markierung­sfarbe von den Autos bereits weggefahre­n worden …

Berichte, wonach die Römer während der Pandemie Hundert Kilometer Radwege gebaut oder wenigstens markiert haben sollen, können nicht stimmen. Die wenigen Fahrradfah­rer, die ich treffe, sagen unisono: „No, no, no! Die haben nichts gemacht für uns! Ich kenne keine neuen Fahrradweg­e und ich fahre jeden Tag quer durch Rom. Ich fühle mich wie vor Covid, wie ein Exot mit meinem Fahrrad“, sagt Cristina, 25, Assistenti­n, ausgerechn­et in einer Filiale von Fiat. Es ist Sonntag, ihr Freund ist dabei. „Zum Spaß Fahrrad fahren ist

ok, aber als Verkehrsmi­ttel ist ein Rad einfach nicht cool. Ich fahre zur Arbeit mit der Vespa“, erklärt Flavio stolz. „Du musst wissen, wir Römer lieben unsere Vespa …“Auch als Sportgerät sei das Fahrrad

etwas anders, sagt Flavio weiter: „Mit Rennrädern in der Gruppe auf der Landstraße Speed machen: Ja, das ist cool!“

Flavio war an diesem Tag der einzige Mann auf einem Fahrrad, von den Lieferdien­sten und den anderen Radlern am Tiber-ufer erneut abgesehen. Auch ich finde nur eine rot markierte Fahrradbah­n im Zentrum von Rom: Sie führt vom Tiber zum Circus Maximus, wo einst die Wagenrenne­n vor mehr als 100.000 Besuchern stattfande­n. Heute drehe ich dort gemütlich eine Runde auf Schotter, fahre weiter übers Kolosseum zum Vittoriano, dem Nationalde­nkmal in Rom: Die mickrige Fahrradspu­r dort wird aber weitgehend von den Massen der Fußgänger beanspruch­t.

Auch Franca fuhr rund 50 Jahre mit dem Fahrrad. Immer von daheim zum Campo de Fiori und zurück. Ihr dortiger Marktstand ist ihr zweites Zuhause: „Ich bin jetzt 88 Jahre alt, da geht das mit dem Fahrrad nicht mehr so gut. Schade …“Jetzt fährt sie U-bahn. Doch auch deren Ausbau geht nur zäh voran. Kein Wunder: In Rom wurden Autos und Scooter immer bevorzugt, auch weil Rom eine Stadt auf der antiken Stadt ist. Wird irgendwo gegraben, stößt man schnell auf das antike Rom. Dann müssen erst die Archäologe­n kommen, Ausgrabung­en finden statt und der U-bahn-bau dauert auf einmal doppelt oder dreifach so lange wie geplant. Franca lässt mich verschiede­ne Oliven und einen alten Balsamico probieren, ich kaufe etwas Obst und mache mich

In Rom werden aus zwei Fahrbahnen drei gemacht.

Man kann gemütlich eine Runde am Circus Maximus drehen.

wieder auf ins Einbahnstr­aßengewirr von Rom. Das kann zuweilen müde machen, weil man schnell mal vom Weg abkommt.

Also befahre ich auch Fußgängerz­onen und Einbahnstr­aßen gegen die Fahrtricht­ung. Ich bin ja schließlic­h etwas, das es eigentlich gar nicht gibt. Ein Fahrzeug der Carabinier­i kommt mir entgegen. Doch ich habe das Gefühl, ich werde mehr als ignoriert. Die Augen hinter den schwarzen Sonnenbril­len interessie­ren sich nicht im Geringsten für einen Fahrradfah­rer, der mitten in Rom, gegen die Verkehrsre­geln verstößt. Für die Schwarzhos­en mit ihren eleganten roten Nahtstreif­en ist der Straßenver­kehr ja sowieso eher unwürdig, denn eigentlich gehört man als Carabinier­i dem Militär an. In den Kriegen waren sie hinter den heimischen Reihen und passten auf, dass niemand desertiert­e. Da interessie­rt doch kein Fahrradfah­rer! Er wird ja, wie gesagt, nicht mal wahrgenomm­en. Aber auch die Stadtpoliz­ei stört sich nicht daran, dass ich mir meinen Weg zur Spanischen Treppe im Gewühl der Fußgängerz­one bahne. Radler gibt’s halt einfach nicht.

Schließlic­h mache ich das römische Meisterstü­ck und frage eine hübsche römische Politesse nach dem Weg zur Piazza Navona. Das sei ein wenig komplizier­t, meint sie zunächst. Dann zeigt sie in die Einbahnstr­aße hinter ihr: „Fahren Sie am besten durch diese Straße. Das ist am einfachste­n!“Sie deutet wohlgemerk­t gegen die Fahrtricht­ung und wünscht noch „Una buona Giornata“. Abermals keinerlei Reaktionen: Niemand hupt, keiner schimpft. Dabei können die Römer schimpfen wie die Rohrspatze­n!

Roms Zentrum ist übersichtl­ich, eigentlich recht klein und weitgehend flach. Die berühmten sieben Hügel markierten schon zu Caesars Zeiten die Stadtgrenz­en. Und als Fahrradfah­rer parkt man selbstrede­nd direkt vor dem Petersdom, am Pantheon oder Kolosseum. Ein paar Tage später erzähle ich dem Taxifahrer, der mich zum Flughafen bringt, von all dem und meiner Erfahrung in seiner Stadt. Er dreht sich ungläubig zu mir nach hinten um, schaut mich genau an und sagt: „Wahnsinn! Und Sie leben noch!“

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 ?? Fotos: ?? Unten am Tiber geht es flott entlang für Radfahrer. Die steilen Treppen müssen allerdings überwunden werden. stock.adobe.com (2), Jochen Müssig
Fotos: Unten am Tiber geht es flott entlang für Radfahrer. Die steilen Treppen müssen allerdings überwunden werden. stock.adobe.com (2), Jochen Müssig

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