Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mach’s noch einmal, Tay!

Sich neu erfinden? Will sie nicht! Taylor Swift bleibt bei ihrem Erfolgskon­zept. Experte Jörn Glasenapp analysiert ihr neues Album „The Tortured Poets Department“.

- Von Jörn Glasenapp

Zugegeben: Ich hatte Bedenken, als kurz vor seiner Veröffentl­ichung bekannt gegeben wurde, dass Taylor Swifts „The Tortured Poets Department“erneut in Zusammenar­beit mit Superprodu­zent Jack Antonoff und The-national-gitarrist Aaron Dessner entstanden war. Sicher: Beide hatten Swifts Musik in der Vergangenh­eit gutgetan. Man denke an die beiden Pandemie-alben „Folklore“und „Evermore“, man denke an „Midnights“, man denke aber auch an die „Ten-minute-version“von „All Too Well“, dem Heiligen Gral unter den Swift’schen Breakup-songs. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass es für Swift mittlerwei­le Zeit war, neue künstleris­che Liaisons einzugehen, um sich selbst zu pushen und ein Stück weit neu zu erfinden – so wie vor 12 Jahren, als sie Max

Martin mit ins Boot geholt hatte und sie ihre erste Albumgroßt­at „Red“schuf.

„The Tortured Poets Department“wurde nun aber in einer Zeit geschriebe­n und eingespiel­t, in der die arbeitswüt­ige Swift selbst für ihre Verhältnis­se unerhört viel um die Ohren hatte: Die phänomenal erfolgreic­he, gewiss strapaziös­e „Eras Tour“lief, ihre sechsjähri­ge Beziehung zum britischen Schauspiel­er Joe Alwyn brach auseinande­r, die kurze Romanze mit dem The-1975-frontmann Matty Healy erwies sich als schmerzlic­he Sackgasse. Dass sie ihr neues Album mit bewährten, ihr schon seit Jahren freundscha­ftlich verbundene­n Mitstreite­rn aufnehmen wollte, ist somit nur allzu verständli­ch.

Doch wie klingt das Album? Nun ja, wie man es erwartet hat – das heißt: wie ein Taylor-swift-album, bei dem der Meisterin Antonoff und Dessner zu Seite standen. Überrasche­ndes? Fehlanzeig­e. Stattdesse­n Synth-poppiges, Keyboardfl­ächen,

verhallte Computerdr­ums, hier und da eine Gitarre und darüber Swifts unverkennb­arer, Nähe evozierend­er gehauchter Gesang. „Midnights“, vor allem aber die Vault-tracks von „1989 (Taylor’s Version)“lassen grüßen. Aber muss man deswegen enttäuscht sein? Natürlich nicht! Vielmehr sollte man sich fragen, warum man sich Neues gewünscht hat, obgleich das Bewährte doch so überzeugen­d ist. Never change a winning team: „The Tortured Poets

Department“bestätigt diese Binsenweis­heit, die sich einem im vorliegend­en Fall erst recht mit guten Kopfhörern beziehungs­weise Lautsprech­ern erschließt.

Mit wenigen Ausnahmen, etwa dem quirligen „I Can Do It With a Broken Heart“, wird „The Tortured Poets Department“von ruhigen Down- und Midtempo-songs dominiert. Die meisten von ihnen sind mit einem gehörigen Schuss Melancholi­e versehen. Exemplaris­ch dafür steht gleich am Anfang „Fortnight“, die schleichen­de Leadsingle des Albums. Für deren sichtlich ambitionie­rtes, aufwendig gestaltete­s Video stand der Arthouse-kinohit „Poor Things“Pate. Dass in dem Clip die Schauspiel­er Ethan Hawke und Josh Charles zu sehen sind, erschließt sich einem sofort. Immerhin erlangten beide mit Peter Weirs „Dead Poets Society“Berühmthei­t.

Bei „Fortnight“handelt es sich um ein Duett mit Post Malone, der erst kürzlich von Beyoncé für deren Album „Cowboy Carter“rekrutiert worden war und hier wie dort seine Sache ausgesproc­hen gut macht. Dass der Song ein Hit werden wird, steht außer Frage, mögen ihm die evidenten Hit-qualitäten ikonisch gewordener Swiftsingl­es wie „We Are Never Ever Getting Back Together“, „Shake It Off“oder „Anti-hero“auch komplett abgehen. Letzteres gilt im Übrigen für alle anderen Songs des Albums auch.

Doch das kennen wir von Swift, die bereits mit „Folklore“und „Evermore“bewies, dass sie keiner zugkräftig­en Leadsingle bedarf, damit ihre Platten kommerziel­l durch die Decke gehen. Denn Radio-airplay hat sie längst nicht mehr nötig. Auch das beweist „The Tortured Poets Department“zur Genüge, das am Tag seines Erscheinen­s fast 318 Millionen Mal auf Spotify gestreamt wurde – so viel wie kein Album je zuvor. Zum Vergleich: „Cowboy Carter“von Beyoncé, dass das bis dahin beste Streaming-opening im laufenden Jahr hingelegt hatte, brachte es „nur“auf 76 Millionen.

„The Tortured Poets Department“ist ein mustergült­iges Konzept-, genauer ein Trennungsa­lbum und als ein solches durchaus ungewöhnli­ch. Denn gleich zwei Beziehunge­n beziehungs­weise Beziehungs­enden werden verhandelt, gleich zwei Expartner, Alwyn und Healy, geraten unter das Skalpell der auch textlich wieder einmal zu großer Form auflaufend­en Beziehungs­anatomin Taylor Swift. Dass Healy, der ihr im wunderbare­n „The Smallest Man Who Ever Lived“, aber auch in „I Can Fix Him (No Really I Can)“und „Guilty as Sin?“als Muse diente, hierbei entschiede­n öfter und insgesamt wohl auch stärker zu leiden hat als Alwyn, kam für die Fans einigermaß­en überrasche­nd. Doch immerhin: Unter die sechs Jahre an der Seite des Schauspiel­ers Alwyn zieht Swift mit dem bei ihr stets mit besonderer Bedeutung aufgeladen­en Track 5 einen Strich, dem sonoren, todtraurig­en „So Long, London“.

Allerdings bekommen nicht nur ihre beiden Ex-partner ihr Fett weg, sondern auch jene übergriffi­gen Fans, die meinten, die Beendigung ihres Verhältnis­ses mit Healy per Petition einfordern zu können. Sie finden sich in „But Daddy I Love Him“als Schlangen („vipers dressed in empath’s clothing“) und Fieslinge („judgmental creeps“) verewigt. Doch wo bleibt der Football-star Travis Kelce, wo bleibt Swifts derzeitige­r Boyfriend? Man muss sich ziemlich gedulden, denn erst im vorletzten Song, dem an Football-anspielung­en reichen,

Alles klingt erwartbar nach ihr selbst und Produzent Antonoff.

Auch Travis Kelce ist auf dem Album verewigt.

musikalisc­h sich etwas müde voranschle­ppenden „The Alchemy“, schlägt seine Stunde.

Im mittlerwei­le auf elf Alben angewachse­nen Swift-kanon bildet „The Tortured Poets Department“mit seinen 16 Tracks, denen Swift unmittelba­r nach Veröffentl­ichung noch sage und schreibe 15 Bonus-tracks an die Seite stellte, weder einen Wende- noch einen Höhepunkt. Im Gegensatz zu Meisterwer­ken wie „Red“, „1989“oder „Lover“handelt es sich bei ihm schlicht und ergreifend um ein weiteres rundum gelungenes Taylor-swift-album – zugleich aber auch um Swifts bislang entschiede­nste Weigerung, das zu tun, was Frauen im Popbusines­s für gewöhnlich abverlangt wird: sich mit jedem Longplayer neu zu erfinden.

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Fotos: Universal Music; Glasenapp Das Artwork zum Album in Schwarz-weiß: sinnlich, ästhetisch – und ätherisch.

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