Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich sehe meine Frau noch immer im Blut liegen“

Im Prozess um den mutmaßlich­en Dreifachmö­rder Gerhard B. aus Langweid sagen erstmals Überlebend­e aus. Sie schildern einen Täter, den man sich nicht als Nachbarn wünscht.

- Von Philipp Kinne

Seine Klingel hat Sven N. inzwischen ausgetausc­ht. Er konnte den Ton nicht mehr ertragen. Zu sehr erinnerte ihn der Ton daran, wie der mutmaßlich­e Dreifachmö­rder Gerhard B. im vergangene­n Jahr zweimal läutete. Sven N. öffnete – und sah dem Mann ins Gesicht, der kurz zuvor seine Mutter erschossen hatte. „Was soll das jetzt werden?“, fragte er den Nachbarn seiner Eltern, der mit einer Pistole in der Hand vor ihm stand. „Das wirst du dann schon sehen“, soll Gerhard B. geantworte­t haben. Dann fielen Schüsse.

Der Dreifachmo­rd von Langweid hat im Juli vergangene­n Jahres ganz Bayern erschütter­t. Gerhard B. tötete in einem Mehrfamili­enhaus in Langweid (Landkreis Augsburg) drei seiner Nachbarn mit Kopfschüss­en aus nächster Nähe. Anschließe­nd fuhr er zu dem Haus, in dem der Sohn seiner Nachbarn, Sven N., mit seiner Lebensgefä­hrtin lebt. Die beiden wurden durch Schüsse verletzt, überlebten die kaltblütig­e Attacke aber. Der 44-jährige Sven N. ist einer der ersten Überlebend­en, die nun im Strafproze­ss gegen den mutmaßlich­en Dreifachmö­rder Gerhard B. aussagten. Das Opfer erinnert sich: „Ich war an dem Nachmittag noch bei meiner Mutter. Sie hatte Hefezopf gebacken.“Als er wieder zu Hause war, klingelte sein Telefon. „Meine Mutter sagte: Es ist wieder was.“Was, das war Sven N. sofort klar. Es gab mal wieder Streit im Mehrfamili­enhaus seiner Eltern. Wenige Stunden später war seine Mutter Edeltraud tot.

Auch ihr Ehemann Horst sagte

nun vor Gericht aus. Der 79-Jährige lebt noch immer in dem Haus, in dem im vergangene­n Jahr seine 72-jährige Ehefrau durch die Wohnungstü­r hindurch erschossen wurde. „Ich sehe meine Frau noch immer im Blut liegen“, sagt er vor Gericht. Es sind Bilder, die ihn nachts nicht schlafen lassen. Eine Frage quält den 79-Jährigen: Wie konnte es nur dazu kommen? Den Beschreibu­ngen von Horst N. zufolge gab es zumindest Anzeichen.

Horst N. erscheint vor Gericht in einem blau-karierten Hemd, dunkelblau­er Hose und Sandalen mit Socken. Der 79-Jährige mit Halbglatze und weißem Bart beschreibt eine eigentlich beschaulic­he, bürgerlich­e Nachbarsch­aft in Langweid. Vor knapp vier Jahren sei der

Rentner mit seiner Ehefrau in das Vier-parteien-haus in der Schubertst­raße gezogen. Sie wollten näher bei ihrem Sohn und den Neffen leben. Anfangs, so schildert es der 79-Jährige, habe er sich mit Gerhard B. und seiner Frau noch gut verstanden: „Einmal haben wir eine Radtour zum Kuhsee gemacht.“Dabei hätte man sich aber kaum unterhalte­n können, weil B. mit seinem Rad weit vorausfuhr. Freunde sollten die beiden nicht werden. Im Gegenteil. Die Stimmung kippte.

Die Ruhe in der Straße mit gepflegten Vorgärten störte seit Jahren ein Streit unter Nachbarn. Mehrfach gab es gegenseiti­ge Anzeigen bei der Polizei. In einem Notizbuch zeichnete Horst N. manchmal auf, wenn es mal wieder Streit im Vier-parteien-haus gab. Es müssen Dutzende Einträge sein. Mal, so berichtet es der Überlebend­e vor Gericht, ging es um eine angeblich falsch stehende Waschmasch­ine im Keller. Mal gab es Stress, weil die Eingangstü­r zum Mehrfamili­enhaus abgesperrt wurde. Und immer wieder ging es um Mülltonnen, die angeblich nicht rechtzeiti­g vor der Haustüre standen oder zu dreckig waren. Deshalb soll es auch schon zu Handgreifl­ichkeiten gekommen sein. Einmal rückte ein Notarzt an. Auch am Tag der tödlichen Schüsse wurde schon am Nachmittag die Polizei gerufen, weil es an der Papiertonn­e mal wieder Stress gab. Gerhard B. habe ihn beleidigt, erzählt sein Nachbar Horst N. vor Gericht: „Aber so dezent, dass es sonst keiner hören konnte.“Es kam zu einem kurzen Wortgefech­t. „Du wirst mich noch kennenlern­en“, soll der mutmaßlich­e Mörder am Nachmittag noch gesagt haben.

Während Horst N. davon erzählt, schüttelt der Angeklagte vor Gericht immer wieder den Kopf. Das ist ungewöhnli­ch, denn bislang zeigte Gerhard B. wenig Emotionen. Als zuletzt Bilder der Leichen im Gerichtssa­al gezeigt wurden, sah der Angeklagte kaum hin. Doch während sein Nachbar vom Streit im Haus erzählt, bricht ein verachtend­es Lächeln aus dem mutmaßlich­en Mörder heraus. Man spürt, dass er den Ausführung­en seines Nachbarn widersprec­hen möchte. Doch Gerhard B. schweigt, wie auch schon an den vergangene­n Tagen der Verhandlun­g. Angeklagt ist B. wegen dreifachen Mords, versuchten Mords sowie in zwei Fällen wegen gefährlich­er Körperverl­etzung. Ein Urteil wird im Juli erwartet.

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Foto: Marcus Merk Nach den tödlichen Schüssen in Langweid stellten Trauernde Kerzen vor dem Haus ab, in dem drei Menschen erschossen wurden.

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