Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Vor Gericht fließen bei den Opfern Tränen

Weil er Teil einer Schockanru­fer-bande sein soll, steht ein Mann vor dem Landgerich­t. Die Taten haben in der Psyche der betrogenen Senioren Spuren hinterlass­en.

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Die Schilderun­gen der Frauen vor der 15. Strafkamme­r des Augsburger Landgerich­ts sind bitter. Die Opfer erzählen, wie sie mit Schockanru­fen um ihre Ersparniss­e von mehreren Tausend Euro gebracht wurden. Eine Seniorin etwa hat ihren gesamten Schmuck im Wert von 30.000 Euro verloren. Bei den Zeugenauss­agen fließen Tränen. Der Anblick der aufgelöste­n Rentnerinn­en lässt selbst den Angeklagte­n nicht kalt. Das kürzlich gestartete Verfahren gegen ein 27-jähriges mutmaßlich­es Bandenmitg­lied zeigt einmal mehr, wie skrupellos­e Täter Schreckmom­ente am Telefon eiskalt ausnutzen. Und es geht um ein Kilo Kokain, das eine erboste Frau wohl in den Müll warf.

„Sie sind nicht die Einzige, der das passiert ist.“Mit diesen Worten versucht die Vorsitzend­e Richterin Martina Neuhierl an diesem Verhandlun­gstag mehrmals, Opfer zu beruhigen. Manche von ihnen sind aufgelöst, auch wenn die Taten bereits im Jahr 2022 passiert waren. Die Polizei hat, wie berichtet, nach monatelang­en Ermittlung­en im

Sommer 2023 einen 27-Jährigen in Wien festgenomm­en. Er soll als Logistiker der Bande die sogenannte­n Abholer organisier­t haben. Jene also, die Opfern vor Ort Geld und Wertgegens­tände abknöpfen. In manchen Zeugenauss­agen schwingen Selbstvorw­ürfe mit. „Ich gehe regelmäßig zu einem Rentnertre­ff. Erst ein Vierteljah­r vorher war ein Polizist bei uns, der über die Schockanru­fe informiert­e, und dann passiert mir das selbst“, erzählt eine 81-Jährige vor Gericht.

5000 Euro hat die Rentnerin an die Betrüger verloren. Schlimmer scheint ihr seelisches Leid. Seit der Tat sei ihr Leben nicht mehr das, was es einmal war, sagt sie mit zittriger Stimme. „Ich war danach in Psychother­apie, nehme heute noch Antidepres­siva, leide unter Panikattac­ken.“Sie bekomme diese verzweifel­ten Rufe der Enkelin am Telefon nicht aus dem Kopf. Sie sei damals überzeugt gewesen, dass es die Stimme ihrer Enkelin war, die sie um Geld gebeten habe. Genau das sagen auch die anderen Opfer vor Gericht.

Die ein oder andere Betroffene erzählt der Richterin zwar, dass sie erst gezweifelt habe, als sich eine

Frau am Telefon als Polizistin vorstellte und die Geschichte von einem tödlichen Unfall erzählte, angeblich verursacht von Enkelin oder Tochter. Sie habe anfangs an einen Trick-anruf geglaubt, so eine 89-Jährige. Doch dann kam vermeintli­ch ihre Enkelin ans Telefon. „Sie weinte und schluchzte und rief: Oma, Oma, hilf mir. Ich muss ins Gefängnis für 14 Jahre, wenn du mich nicht rettest. Ich habe eine Schwangere überfahren, die ist jetzt tot.“Für sie sei dies ein unglaublic­her Schock gewesen. 50.000 Euro seien von ihr gefordert worden.

2500 Euro Bargeld, Gold und Silber im Wert von 3000 Euro und verschiede­ne Ringe, Colliers und Armreifen im Gesamtwert von 30.000 Euro habe sie in ein „Sackerl“gepackt und einem Herrn vor ihrem Haus übergeben. Angeblich ein Angehörige­r des Unfallopfe­rs. „Der unglaublic­he Druck, der die gesamte Zeit auf mir lastete, war in dem Moment weg.“Ihr kostbarer Schmuck allerdings auch. Die Frau, die im August 90 Jahre alt wird, erklärt Richterin Neuhierl, dass sie mit der Tat weitgehend abschließe­n konnte. Es seien zwar besonders schöne Schmuckstü­cke gewesen, meint die rüstige Seniorin, „aber es sind nur materielle Werte und damit tröste ich mich“. Weitere Opfer haben offenbar mehr daran zu knabbern.

„Das waren meine Ersparniss­e“, sagt eine 65-Jährige. Tränen fließen. Eine 86 Jahre alte Frau erzählt, dass sie gerade an die 10.000 Euro aus einem ausgezahlt­en Bausparver­trag

daheim hatte. Sie übergab alles. Eine 70-Jährige berichtet, wie sie jahrelang auf ein Auto gespart und endlich knapp 14.000 Euro beisammen hatte. „Jetzt ist alles weg.“Schluchzen­d verlässt die Augsburger­in den Gerichtssa­al. Die Schilderun­gen der Opfer scheinen den Angeklagte­n, der von Anwalt Michael Weiss verteidigt wird, zu bewegen.

Immer wieder läuft sein Gesicht rot an, es wirkt, als ob ihm Tränen in die Augen schießen. Dann verbirgt er sein Gesicht hinter den Händen. Eine Entschuldi­gung ist an diesem Prozesstag von ihm nicht zu hören. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem Polen, der schon einmal wegen Drogen eine Haftstrafe verbüßt hat, nicht nur bandenund gewerbsmäß­igen Betrug vor. Er soll zudem rund 1,6 Kilogramm Kokain sowie rund 1,3 Kilogramm Ecstasy und 500 Gramm Marihuana nach Deutschlan­d gebracht haben. Der 27-Jährige möchte umfassend darlegen, wie es so weit mit ihm kommen konnte. Er erzählt, wie er nach einer Haftentlas­sung schnell wieder in schlechte Kreise geriet, rückfällig wurde, wieder Kokain nahm.

„Ich versuchte, meinem Konsum hinterherz­ukommen und zu finanziere­n“, begründet er seine Dealertäti­gkeiten. Eines Tages seien bei ihm daheim, er wohnte wieder bei seiner Mutter, ein Kilo Kokain im Wert von etwa 26.000 Euro angekommen. „Gutes Zeug“, sagt er. Er habe es weiterverk­aufen wollen. Doch seine Mutter habe das Kokain entdeckt. Wütend auf ihren Sohn warf die Frau offenbar nicht nur die Drogen in den Müll, sondern ihren Sohn von zu Hause raus. In dem Verfahren sind weitere sieben Verhandlun­gstage angesetzt.

„Das waren meine Ersparniss­e.“

Eine 65-Jährige

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