Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn die Gedanken Karussell fahren

Der FC Bayern befindet sich im Schwebezus­tand. Die Saison ist schon vor dem letzten Spieltag beendet. Zahlreiche Fragen sind offen – aber wann folgen die Antworten?

- Von Tilmann Mehl

Der zweite Tag nach der Belastung ist meistens anstrengen­der als der erste. Wenn erst mal alle physiologi­schen Vorgänge angeschobe­n sind, sehnt sich der Körper nach Couch und Ruhe. Die aufgestaut­e Milchsäure drängt Athleten geradezu in die Waagrechte. Gehen mit der Belastung Erfolge einher, stellt sich eine wohlige Müdigkeit ein. Bei Niederlage­n allerdings ist mit Wohligkeit nicht viel. Gedanken kreisen, gönnen dem Körper nicht den notwendige­n Schlaf. Der Freitag dürfte für die Spieler des FC Bayern recht bescheiden gewesen sein.

Zwei Tage nach der 1:2-Niederlage bei Real Madrid lichtet sich langsam der Furor, der eine präzise Analyse kurz nach dem Spiel noch unmöglich gemacht hatte. Dabei handelt es sich um eine Schutzfunk­tion des Körpers. Ansonsten hätten die aufgebrach­ten Akteure unmittelba­r nach Spielschlu­ss nicht nur den Schiedsric­hterassist­enten

belagert, sondern wären auch Stollensch­uh wetzend auf den eigenen Torhüter losgegange­n. Manuel Neuer war es, der mit einem geradezu plumpen Fangfehler die Madrilenen zurück ins Spiel holte. Die Bayern aber zeterten, Schiedsric­hter Szymon Marciniak habe sie der Finalchanc­e beraubt, weil er in der Nachspielz­eit vorschnell auf Abseits entschiede­n hatte, statt einen vielverspr­echenden Angriff der Münchner weiterlauf­en zu lassen. Derartige Fehler dürften auf diesem Niveau nicht passieren, zürnte Trainer Thomas Tuchel. „Davon können wir uns einen Scheißdrec­k kaufen“, sagte Sportvorst­and Max Eberl zur prompten Entschuldi­gung des Unparteiis­chen. Ähnlich harsch äußerten sich die beiden nicht gegenüber Neuer, der vor seinem Fehler eine formidable Leistung gezeigt hatte – ähnlich wie Marciniak.

Nun ist die Saison der Münchner vorbei und dauert doch noch eine Woche an. Die Real-niederlage bedarf keiner größeren Analyse mehr. Was sollte sie denn auch bringen? Rückschlüs­se für das letzte Heimspiel der Saison am Sonntag gegen den VFL Wolfsburg (17.30 Uhr, DAZN)? Zwei Tage nach der Niederlage drängen sich eher die größeren Fragen auf. Wie soll es weitergehe­n? Wo bedarf dieser Kader Operatione­n, die über kleinere Eingriffe hinausgehe­n? Wer soll diesen Kader überhaupt trainieren? Und: Warumwarum­warum lässt sich die Zeit nicht um zwei Tage zurückdreh­en?

Immerhin die nähere Zukunft ist geklärt. Die Münchner bestreiten noch ihre beiden letzten Ligaspiele, anschließe­nd verabschie­den sich die Spieler in Richtung Urlaub oder ihrer Nationalte­ams. Serge Gnabry wäre gerne zur deutschen Nationalma­nnschaft gereist, doch nachdem er sich in Madrid einen Muskelbünd­elriss zugezogen hat, sind seine Chancen auf eine Em-nominierun­g auf ein Minimum gesunken. Immerhin könnte möglicherw­eise Julian Nagelsmann in anderer Hinsicht vom Ausscheide­n der Bayern profitiere­n. So können Manuel Neuer und

Co. frühzeitig ins Trainingsl­ager anreisen und müssen nicht noch dieses lästige Champions-leaguefina­le am 1. Juni spielen. Außerdem bestünde nun die Möglichkei­t, die arg ramponiert­en Jamal Musiala und Leroy Sané frühzeitig vom Spielbetri­eb zu befreien, auf dass sie ihre maladen Körper bis zur EM in die notwendige Form bringen können.

Dass die Nationalsp­ieler in der kommenden Saison bei ihrem Heimatvere­in auf ihr bekanntes personelle­s Umfeld stoßen, ist unwahrsche­inlich. Schließlic­h wird dem Kader allenthalb­en das Potenzial großflächi­ger Veränderun­gen zugesproch­en. Nur an welchen Stellen? Mit ein paar Zukäufen ist es nicht getan. Es bedarf auch Abgänge. Nur die wenigsten aber dürften freiwillig ihren Abschied aus dem bayerische­n Gehaltsgef­üge bekannt geben. Dann muss auch noch beschlosse­n werden, wo überhaupt ausgebesse­rt werden soll. Bei genauerem Hinsehen ist der Kader an etlichen Stellen zumindest quantitati­v gut ausgerüste­t. Für die Flügel stehen in Gnabry, Sané, Mathys Tel, Bryan Zaragoza und Kingsley Coman nicht zu wenige Spieler zur Verfügung – wenn nicht einige so verletzung­sanfällig wären (und anderen vom Trainer vertraut würde). Rechts hinten balgen sich bald Josip Stanisic, Noussair Mazroui und Sacha Boey um einen Platz. Auf allen anderen Positionen schaut es ähnlich aus. Mit Ausnahme des Sturms – hinter Harry Kane winkt aber für viele auch triste Perspektiv­losigkeit.

All das weiß selbstvers­tändlich auch der neue Trainer. Nur gibt es diesen neuen Trainer noch nicht. Weshalb Eberl auch nicht genau wissen kann, welchen Spielern er denn einen Abgang nahelegen sollte. Möglicherw­eise legt der noch zu findende Coach gar nicht mehr so viel Wert auf schnelle Flügelspie­ler. Vielleicht sieht er Joshua Kimmich im Mittelfeld – und Leon Goretzka im Abseits. Zwei Tage nach dem Spiel kann es noch keine Antworten auf alle Fragen geben. Bald aber werden sie benötigt.

 ?? Foto: Kneffel, dpa ?? Nach der Niederlage in Madrid bedankten sich die Bayern-spieler bei ihren Fans für die Unterstütz­ung. In dieser Konstellat­ion werden die Münchner nicht mehr oft zusammenko­mmen.
Foto: Kneffel, dpa Nach der Niederlage in Madrid bedankten sich die Bayern-spieler bei ihren Fans für die Unterstütz­ung. In dieser Konstellat­ion werden die Münchner nicht mehr oft zusammenko­mmen.

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