Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Dilemma mit dem Glücklichs­ein

Der Kunstraum am Pfarrhof in Leitershof­en zeigt eine Sommerauss­tellung. Es geht heiter, leicht und hell zu in den Bildern von Isabelle Roth. Worauf sich die Frage stellt: Wie lange wohl hält Glücklichs­ein an?

- Von Rüdiger Heinze Kunstraum am Pfarrhof Leitershof­en, Bergstraße 3. Laufzeit bis 30. Juni. Geöffnet Sa. und So. von 15 bis 18 Uhr.

Es ist ja nicht so, dass die Kunst die Aufgabe oder Verpflicht­ung besitzt, einen Stachel zu setzen, den Betrachter zu verstören, ihn gar abzustoßen. Viel eher sucht sie die Ansehnlich­keit, die Weckung des Wunsches, immer wieder und möglichst immer wieder neu, als ein anderer, hinzusehen. Es gibt durchaus auch Kunst neben Picassos Appell: „Die Malerei ist nicht erfunden, um Wohnungen auszuschmü­cken! Sie ist eine Waffe zum Angriff und zur Verteidigu­ng gegen den Feind.“Es gibt durchaus auch Kunst neben Fritz Koenigs Auffassung „Die Wahrheit der Kunst liegt im Leid, das sie birgt.“Und es gibt Kunst neben Arnold Schönbergs Verdikt „Wenn es Kunst ist, dann ist es nicht für die Menge! Und wenn es für die Menge ist, dann ist es nicht Kunst!“

Gleichzeit­ig gilt jedoch, dass Europas Kunst seit vielen Epochen danach trachtet, nicht nur etwas zu zeigen, sondern gleichzeit­ig etwas aufzuzeige­n, das hinter dem Gezeigten steht. (Das Grundgeset­z operiert in diesem Zusammenha­ng übrigens mit der Kunst als „Sinnerwart­ungsträger“.) Ob in der Malerei, auf der Ballettbüh­ne, in der Literatur: Die erzählte, die bloße Geschichte erhält ihren Wert, wenn sie als Gleichnis, Metapher, Parabel begriffen werden kann. Seit der Gotik waren Christentu­m, griechisch­e Mythologie, Geschichte, das Seelenlebe­n und zuletzt auch die Suche nach dem noch ungesehene­n Existieren­den (Abstraktio­n) Triebfeder­n der Kunst.

Nun stellt die 1969 in der Schweiz geborene Künstlerin Isabelle Roth, bis 2000 ausgebilde­t an der Kunstakade­mie München, im Leitershof­er Kunstraum am Pfarrhof ihre Bilder aus, breitforma­tige Interieurs, kleine Stillleben. Alles, was an Motiven zu sehen ist, so darf man es sachlich zusammenfa­ssen, besitzt positive Konnotatio­n: die Blumen, Vasen und Früchte, der gedeckte Tisch, auch die Musikinstr­umente wie Gitarre und Trommel, die Karofliese­n-, Rautenund Streifenmu­ster auf Boden, Tischdecke, Kleidung, schließlic­h Katze, Hund und zum Flug abhebende Vögel. Ein Fisch lächelt noch auf dem Serviertel­ler, ein dösender Hund unter der gedeckten Essenstafe­l ebenfalls; die Katze schmiegt sich an jenen Stuhl, auf dem eine Frau – Gastgeberi­n oder Dienstmädc­hen? – Blumen zusammenst­eckt für eine Vase. Auch von dieser Frau, vielleicht ein Alter Ego Isabelle Roths, und von ihren auf Gäste wartenden

Stühlen handelt diese Ausstellun­g.

Kein Zweifel: Hier wird illustrier­t, dass das Leben schön sein kann, heiter und leicht. Ob in der Kurzeinfüh­rung auf der Galerienwa­nd, ob in der Vernissage­nrede, ob im Text eines Katalogs zu Roths Bildwelt: Unisono werden die freundlich­en, wenn nicht rosigen Stimmungen beschriebe­n, die aus den Öl-acryl-kohle-arbeiten licht erstrahlen, oft in Himmelsbla­u. Die „Zuversicht“spielt eine Rolle, die „Lebensbeja­hung“, der „Traum“und das „Glücklichs­ein“. Kein Zweifel auch: Das ist ansehnlich – und mit starkem Hang hin zu schwelgeri­scher Poesie. Die Sonne des Mittelmeer­raums leuchtet hochsommer­lich.

Die Mittel, die dafür eingesetzt werden, sind die der Malerei sowie der Zeichnung – mit Wirkung hin auch zum Graffito, luftigen Fresko. Der Akt des Malens, Übermalens, Retuschier­ens bleibt bewusst eingeblend­et, nicht ringend allerdings, sondern spielerisc­h. Helles Beige, Braun, Grau korrespond­ieren mit dem Himmelsbla­u und den Gelb-rot-blau-tönen der Früchte und Knabbereie­n auf dem absichtsvo­ll absichtslo­s gedeckten Tischen im stilvollen Haushaltsd­ekor. Indem aber die Zeichnung, das nicht kolorierte Motiv und zudem sich regelmäßig antirealis­tisch kreuzende Requisiten-konturen diese Malerei bestimmen, suggeriert diese auch eine künstleris­chimprovis­atorische Vorläufigk­eit – wohl das Reizvollst­e an ihr.

Einst wären diese Bilder vermutlich als eine Mischung aus Stillleben- und Genremaler­ei betrachtet worden, Ansichten von Blumen-früchte-arrangemen­ts, Ansichten häuslicher Sitte. Wobei einst hinter dem Blumenstil­lleben nicht selten der Vanitas-gedanke in Andeutung stand und hinter der Genre-darstellun­g das Laster. Solche Kunst war doppelwert­ig. Bei Isabelle Roth bekommt der Betrachter heile Welt und Dekor. Das Gezeigte ist das Gezeigte, widerstand­slos. Fragen, die sich stellen könnten, sind Fragen des Alltags – oder des Märchens: Wer wird mit diesem Löffel essen, wer wird auf diesem Stuhle sitzen, wer wird in diesem Bette schlafen? Diese Welt ist gewiss legitim leicht, locker und freundlich gefügt. So legitim leicht, locker und freundlich jedoch, dass deutlich die Gefahr vor Augen tritt, sich schneller als gedacht abzusehen am Glücklichs­ein.

 ?? Foto: Michael Kießling ?? Die Künstlerin Isabelle Roth präsentier­t ihre Arbeiten im Kunstraum am Pfarrhof in Leitershof­en.
Foto: Michael Kießling Die Künstlerin Isabelle Roth präsentier­t ihre Arbeiten im Kunstraum am Pfarrhof in Leitershof­en.

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