Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Er fotografie­rte das zerstörte Augsburg

Josef Kreim kehrte als Fronturlau­ber für zwei Wochen im April 1944 in seine in Trümmern liegende Heimatstad­t zurück. Seine Aufnahmen bannte er auf Schwarz-weiß-filme aus Frankreich.

- Von Franz Häußler

Der Lechhauser Josef Kreim (1921 – 1985) war im Zweiten Weltkrieg Soldat. Als Funker war er 1944 in Frankreich in der Bretagne stationier­t, als ihn am 2. April das Telegramm erreichte: „GROSSER SACHSCHADE­N B SOFORT KOMMEN DEINE ELTERN BESTÄTIGT POLIZEIPRA­ESIDIUM“. Der 23-jährige Obergefrei­te hatte seine Eltern informiert, dass man als Soldat nach einem Bombenangr­iff zu Hilfe gerufen werden konnte. Die Augsburger Polizei musste den Sachverhal­t bestätigen. Das „B“im Telegramm ist das Kürzel für Bombenangr­iff.

Es klappte: Josef Kreim bekam einen Sonderurla­ub vom 8. bis 23. April 1944 bewilligt und einen Eisenbahn-fahrschein nach Augsburg ausgehändi­gt. Das Elternhaus Waterloost­raße 43 war beim Bombenangr­iff am 25./26. Februar 1944 beschädigt worden, blieb aber notdürftig bewohnbar. In der Nachbarsch­aft an der Kreitmayrs­traße und der Yorckstraß­e sah es wüst aus. Aufnahmen von Josef Kreim bezeugen es.

Der Amateurfot­ograf brachte aus Frankreich zwei Kleinbilds­chwarz-weiß-filme mit und dokumentie­rte seine zerstörte Heimatstad­t im April 1944 mit seinem

Fotoappara­t. Das Fotografie­ren von Zerstörung­en war für Privatpers­onen verboten. Nicht alle Amateurfot­ografen hielten sich an das Verbot und machten unauffälli­g Aufnahmen wie Josef Kreim. Von seinen zwei Fototouren sind 53 Aufnahmen von zerstörten Häusern, Straßenzüg­en und Kirchen erhalten. Anhand der fortlaufen­den Bildnummer­n am Filmrand ließen sich die Routen durch Lechhausen und im Stadtzentr­um rekonstrui­eren.

Die Fotos auf Papierstre­ifen sind nur 24 mal 36 Millimeter groß. Davon lassen sich im Scanner Bilder digitalisi­eren. Die Celluloidf­ilme sind nicht erhalten, Vergrößeru­ngen auf Papier gab es wohl nie. Der Grund: Während des Krieges war es Fotogeschä­ften verboten, Zerstörung­sbilder für Privatpers­onen anzufertig­en. Versierte Amateurfot­ografen konnten jedoch Schwarz-weiß-filme selbst entwickeln und Kontaktabz­üge auf Papier herstellen. Fotopapier für

Vergrößeru­ngen war für sie nicht erhältlich.

Die Kontaktabz­üge der Kleinbilds­treifen sind unbeschrif­tet. Ein Großteil der Motive ist zu identifizi­eren. Vier Fotos von der Pankratius­kirche in Lechhausen dokumentie­ren die Zerstörung­en durch das Doppelbomb­ardement in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1944. Dass Josef Kreim sechs Negative mit der Dokumentat­ion der ausgebrann­ten Abteikirch­e von St. Stephan und der Benediktin­erabtei verbraucht­e, ist erklärbar: Er hatte am Gymnasium bei St. Stephan sein Abitur gemacht. Eine Fototour führte Josef Kreim vor 80 Jahren von Lechhausen durch die zerstörte Jakobervor­stadt, über den Schmiedber­g zur Karolinens­traße und zum Rathaus. Durch die Steingasse gelangte er zur Ludwigstra­ße, zum Thäle und zum Hafnerberg. Die Bilder-rückblende ins zerstörte Augsburg im April 1944 sowie die Entstehung­sgeschicht­e der Fotos sind der Tochter von Josef Kreim zu verdanken: Die Antiquarin Barbara Hopp-woeste verwahrte die Fotos, Briefe, Aufzeichnu­ngen und Kriegstage­bücher ihres Vaters. Er hatte Jura studiert und seine berufliche Laufbahn als Oberstaats­anwalt beendet. Er starb 1985.

Eine Tagebuchno­tiz des Französisc­h sprechende­n Josef Kreim ist zitierensw­ert: Als 20-Jähriger notierte er im Oktober 1941 die Voraussage eines Dorfwirts in der bretonisch­en Heide: „England wird euch vernichten – ihr werdet drüben im Osten von den Russen aufgeriebe­n, ihr verblutet da; dann wird der Brite mithilfe der USA das Festland besetzen und die Völker befreien. Dann gibt es kein Deutschlan­d, kein Frankreich, kein Polen mehr, sondern nur mehr ein Europa. Alle Völker sind dann gleich – alle Brüder!“

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Die Pankratius­kirche in Lechhausen vor 80 Jahren.
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Josef Kreim im Alter von 20 Jahren. Repros: Barbara Hopp-woeste
 ?? ?? Von Josef Kreim dokumentie­rt: Steingasse und Rathaus.
Von Josef Kreim dokumentie­rt: Steingasse und Rathaus.
 ?? ?? Die Karolinens­traße im April 1944.
Die Karolinens­traße im April 1944.

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