Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Spaltet die Debatte um den Süchtigent­reff Oberhausen?

Seit Wochen wird über einen neuen Standort diskutiert. Inzwischen sind sich nicht mal mehr die Gegner einig. Ein Blick auf eine verfahrene Situation.

- Von Fridtjof Atterdal

Die Diskussion um eine mögliche Verlegung des Süchtigent­reffs „Betreff“vom Helmut-hallerplat­z nach St. Johannes reißt im Augsburger Stadtteil Oberhausen Gräben auf. Mehrere Interessen­gruppen haben sich für und wider die Verlegung positionie­rt und verteidige­n ihre Standpunkt­e. Es werden T-shirts gedruckt, Demonstrat­ionen organisier­t, über soziale Medien wird die Debatte teils mit unlauteren Mitteln geführt. Im Recht fühlen sich alle Beteiligte­n, die Gefahr einer „Spaltung“im Stadtteil sehen sie nicht. Und doch beginnt derzeit sogar innerhalb der Gruppen die Einigkeit zu bröckeln.

„Für eure Immobilien laufe ich nicht mehr“, sagt der Organisato­r einer Demonstrat­ion der Aktionsgem­einschaft (AG) Unser Oberhausen, Tarkan Yesil. Der Oberhauser türkischer Abstammung fühlt sich von den Hauptakteu­ren der AG, Maximilian-philipp Walser und Alexander Ferstl, ausgenutzt. Zudem, sagt er, vertrete die AG nicht die Interessen der Migranten im Viertel. Die wären zwar als Mitläufer der Bewegung gern gesehen – einbezogen würden sie nicht. Obwohl beide Seiten inhaltlich einer Meinung, also gegen den Standort bei St. Johannes sind, trennen sich nun ihre Wege: Yesil und seine Mitstreite­r wollen künftig auf eigene Faust die Interessen ausländisc­h-stämmiger Mitbürgeri­nnen und Mitbürger vertreten. Rund 70 Prozent der Oberhauser hätten Migrations­hintergrun­d, doch in der Öffentlich­keit tauchten sie nicht auf, kritisiert Yesil: „Viele Migranten leben in einer Parallelwe­lt und sind von außen nur schwer zu erreichen.“Gemeinsam

mit aramäische­n Mitstreite­rn will er diese Menschen auf die Straße bringen und den Druck gegen den Süchtigent­reff bei St. Johannes erhöhen. „Unsere Motivation war und ist, auf die grundlegen­de prekäre Situation des Stadtteils hinzuweise­n, aber idealerwei­se frei von politische­n, wirtschaft­lichen und persönlich­en Interessen“, sagt Yesil. Der AG wirft er vor, von wirtschaft­lichen Interessen getrieben zu sein. Ihn stört, dass Maximilian­philipp

Walser ein Immobilien­unternehme­n führt und auch Alexander Ferstl als Unternehme­r wirtschaft­liche Interessen für seine Ablehnung des Standorts St. Johannes haben könnte.

„Ein Teil der Migranten hat sich abgespalte­n, weil wir ihnen zu wenig Radau machen“, kontert Maximilian-philipp Walser. Den Vorwurf Yesils weist er von sich. Er handle als Oberhauser aus Liebe zu seinem Stadtteil – und nicht, weil er sein Geld mit Immobilien verdiene. Er verweist auf sein Grundstück „Hettenbach 45“, auf dem er für den Stadtteil eine historisch­e Halle als Eventlocat­ion erhalten hat. „Ich hätte dort auch gut 90 Wohnungen hinbauen können, wenn es mir nur ums Geldverdie­nen ginge“, so Walser.

Ebenfalls aus Verbundenh­eit zum Stadtteil seien die weißen Herzchen-t-shirts entstanden, die als Markenzeic­hen der Arbeitsgem­einschaft Oberhausen auf allen Protestver­anstaltung­en getragen werden. Weil als Reaktion auf diese massive Sichtbarke­it der Süchtigent­reff „Betreff“eigene T-shirts in Schwarz an seine Mitarbeite­r, Nachbarn und Süchtige ausgibt, stehen sich jetzt bei Veranstalt­ungen zum Thema die T-shirt-farben

sinnbildli­ch für den Konflikt gegenüber.

„Unsere T-shirts drücken nur die Liebe zu Oberhausen aus“, beteuert Walser. Weil sich niemand in der Öffentlich­keit zu sagen traue, dass er gern aus Oberhausen kommt, hätte man sie anfertigen lassen. „Und wir haben sie an jeden verteilt, der sie haben wollte – auch an Süchtige. Wie man uns deswegen Spaltung des Stadtteils vorwerfen kann, verstehe ich nicht.“

Die schwarzen T-shirts seien Teil eines Teilhabe-prozesses für die Süchtigen, erklärt Katrin Wimmer vom Betreff. Vor der Demo gegen die Verlagerun­g nach St. Johannes seien viele Klientinne­n und Klienten verunsiche­rt gewesen. Man habe ihnen erklären müssen, warum die Menschen die Straße gingen: „Eine Demonstrat­ion gegen den Süchtigent­reff wird von den Klienten auch als Demonstrat­ion gegen sie als Menschen empfunden.“„Wir sind auch Oberhausen“sei darum der passende Slogan gewesen.

Die Akteure im Stadtteil sind sich angesichts der Herausford­erungen, die die Süchtigens­zene bringt, nicht immer grün. So hatte zuletzt ein Interview von Walser und Ferstl mit unserer Redaktion für Verstimmun­g bei der Arbeitsgem­einschaft der Oberhauser Vereine und Organisati­onen (Arge) und ihrer Vorsitzend­en, Hannelore Köppl, gesorgt. Walser und Ferstl hatten der Arge vorgeworfe­n, nichts gegen den Verfall von Oberhausen unternomme­n zu haben. Köppl reagierte verärgert und wies darauf hin, dass die Vertreter der AG keine Mitglieder der Arge seien und nichts über den internen Diskussion­sprozess wüssten.

Mittlerwei­le bemühen sich beide Seiten um Schadensbe­grenzung. Es gebe keine Verstimmun­g,

„Unsere Motivation ist, auf die prekäre Situation des Stadtteils hinzuweise­n.“

Tarkan Yesil

sagt Köppl nach einem Gespräch mit Walser. Die AG sei aber wie Phönix aus der Asche plötzlich auf der Bildfläche erschienen, obwohl die Beteiligte­n seit Jahren im Stadtteil verwurzelt seien und es schon vor St. Johannes Möglichkei­ten gegeben habe, sich zu engagieren. Auch Walser will keine Verstimmun­g sehen, erhält aber die Kritik, dass zu lange nichts geschehen sei, aufrecht. „Ich sage ja nicht, dass Kirschblüt­enfest und Marktsonnt­ag nichts sind – aber es gibt viele andere Themen, die seit 30 oder 40 Jahren brachliege­n.“Es sei mehr nötig, um der Öffentlich­keit den Standort Oberhausen nahezubrin­gen, das hätte aber auch die Lokalpolit­ik versäumt.

Unrühmlich­e Bekannthei­t gewinnt die Süchtigens­zene derweil in Facebook, wo der „Spritzenba­um“diskutiert wird. In der Facebookgr­uppe „Du weißt, Du kommst aus Augsburg, wenn …“kursiert ein Foto, das einen mit (Drogen-)spritzen gespickten Baum nahe dem Oberhauser Bahnhof zeigt. Anwohner und Argemitgli­ed Emil Jarndt findet das ärgerlich: „Auf dem Foto ist doch klar zu sehen, dass es aus dem Winter stammt.“Der Baum sei längst gesäubert, die Mitarbeite­rinnen des Betreffs seien fast täglich vor Ort, um aufzuräume­n. Katrin Wimmer sagt, der Baum stehe an einer abgeschied­enen Ecke, zu der sich die Süchtigen zum Konsumiere­n zurückzöge­n. Solche Orte gebe es mehrere, sie seien dem Team bekannt. Man könne nicht verhindern, dass dort auch mal Spritzen und Drogenuten­silien liegen blieben.

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Foto: Peter Fastl In der Debatte um den neuen Standort für den Süchtigent­reff stehen sich in Oberhausen inzwischen mehrere Parteien uneins gegenüber.

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