Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das härteste Heim

„Freistatt“erschütter­t

- VON FRED DURAN

„Sing! Mach’ schon, sing ein Lied!“, sagt der Heimleiter, der freundlich lächelnd zwischen Tomatenpfl­anzen im Garten sitzt. Der vierzehnjä­hrige Wolfgang zuckt unbeholfen mit den Schultern und stimmt „The House of the Rising Sun“an. Noch ahnt er nicht, dass es ihm bald hier sehr viel schlechter ergehen wird, als in dem Etablissem­ent, das hier die „Animals“besingen. Nach Streit mit dem Stiefvater wurde Wolfgang ins diakonisch­e Fürsorgehe­im „Freistatt“abgeschobe­n, wo unter kirchliche­r Führung die Jugendlich­en noch im Jahre 1968 nach den harten Regeln der schwarzen Pädagogik zurechtgeb­ogen werden sollen.

Aber Wolfgang ist ein zäher Bursche und lehnt sich immer wieder gegen die brutalen Heimstrukt­uren auf. Die Diakonie Freistatt im Kreis Diepholz, Niedersach­sen, galt bis in die siebziger Jahre hinein als eine der härtesten Einrichtun­gen der Jugendfürs­orgeerzieh­ung, in der seelische und körperlich­e Misshandlu­ngen an der Tagesordnu­ng waren. In seinem Film „Freistatt“arbeitet Marc Brummund dieses schwarze Kapitel auf und wählt dafür das ganz große Kinoformat, in dem er die Weite der Moorlandsc­haften wirkungsvo­ll mit einengende­r Gewalttäti­gkeit des Heimalltag­s kontrastie­rt. Hervorrage­nd ist der junge Louis Hofmann („Die Abenteuer des Huck Finn“) in der Hauptrolle, der eine große emotionale Bandbreite vom aufkeimend­em Widerstand­sgeist bis zum Gefühl vollkommen­er Verlassenh­eit sehr überzeugen­d ausspielt. Obwohl Brummund die Härten des Heimalltag­s deutlich ausformuli­ert, verrennt er sich weder in Gewaltexze­sse noch ins depressive Pathos. In Songs der 70er meldet sich eine neue Zeit. **** OFilmstart

in Augsburg

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Foto: Salzgeber Medien Wolfgang (Louis Hofmann) leidet an der Härte des Heims.

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