Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Mann fürs Extreme
Porträt Ob Sexbesessener, Sklavenhalter oder Steve Jobs: Das Kino kommt nicht mehr ohne Michael Fassbender aus. Das hat vielleicht auch mit seinen deutschen Wurzeln zu tun
Ob es 2016 klappt mit dem Oscar? Letztes Jahr war er schon einmal nominiert gewesen für seine Rolle als sadistischer Farmbesitzer in dem Sklavendrama „12 Years a Slave“, war jedoch leer ausgegangen. Auch diesmal stehen die Chancen nicht wirklich ideal, obwohl Michael Fassbender in der Hauptrolle von „Steve Jobs“wieder alle darstellerischen Register zieht. Für die höchsten Ehren der Hollywood-Academy ist die Filmbiografie des Apple-Mitbegründers aber wohl nicht gut genug.
Egal an wen die nächsten Oscars auch gehen, sie ändern nichts an der Tatsache, dass Michael Fassbender derzeit einer der faszinierendsten Akteure im Kino ist. Außergewöhnlich die Bandbreite seiner Rollengestaltung: gerade erst die Metamorphose der Apple-Legende Jobs vom versponnenen Nerd zum kalten Businessmann – und nur ein paar Wochen zuvor Shakespeares Macbeth in der gleichnamigen Kinoverfilmung: außen stählerner Krieger, innerlich haltlos und verführbar. „Du musst nur sein Gesicht zeigen und brauchst überhaupt kein Drehbuch mehr“, rühmt der Regisseur Steve McQueen den Schauspieler, dem er schon mehrere große Rollen anvertraut hat.
Tatsächlich liegt in Fassbenders Zügen ein wesentliches Geheimnis seiner Leinwandpräsenz: kantig, ohne brutal zu wirken, hintergründig die blauen Augen unter dem dichten Schopf mit dem whiskeyfarbenen Ton. Whiskey mit -ey, wie in Irland üblich: Von dort stammt Fassbenders Mutter. Der Vater ist Deutscher, und so kommt es, dass er selbst 1977 in Heidelberg zur Welt kam. Als er zwei Jahre alt war, zog die Familie nach Irland, wo Michael aufwuchs und sich schon früh fürs Theater zu interessieren begann.
Fassbenders Kinokarriere nahm 2006 richtig Fahrt auf, mit dem Schlachtengetümmel „300“. Entscheidend war das Zusammentreffen mit Regisseur Steve McQueen. Fassbenders Charakterzeichnung des IRA-Kämpfers Bobby Sands, der im Gefängnis in Hungerstreik tritt, brachten dem Film „Hunger“und seinem Hauptdarsteller zahlreiche Preise ein. Noch mehr für Aufsehen sorgte „Shame“, in dem Fassbender einen Sexsüchti- gen darstellt, der ebenso zwanghaft wie freudlos strikten Kurs auf der Abwärtsspirale hält.
Die Kritik applaudierte reihum – dass Fassbender in dem Drama ausgiebig seine Männlichkeit auszustellen hatte, soll ihn Gerüchten zufolge schon damals um Oscar-Chancen gebracht haben.
Der unverheiratete Frauenschwarm gilt als besessener Arbeiter, der ein Drehbuch auch hunderte Male durchlesen kann, um sich mit Haut und Haaren in die dahinter liegende Figur zu verwandeln. „Ich will immer alles unter Kontrolle haben, typisch deutsch eben“, hat er einmal über den deutschen Anteil an seiner Persönlichkeit sinniert. Die Sprache seines Geburtslandes beherrscht er nur noch rudimentär, in der Hauptsache fühlt er sich als Ire. Märklin-Eisenbahnen allerdings haben es ihm angetan. Stefan Dosch