Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wackelt der Stuhl des VW-Chefs?
Volkswagen-Aktionär fordert den Rücktritt von Müller. Doch er hat mächtige Freunde
Augsburg Der neue VW-Chef Matthias Müller sollte Union Investment nicht unterschätzen. Immerhin ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken einer der Top-15-Investoren der Volkswagen AG und verwaltet insgesamt ein Vermögen von rund 250 Milliarden Euro. Wenn Union-Fondsmanager Ingo Speich auf Hauptversammlungen Konzerne intensiv beleuchtet, hören Topmanager genau hin. Was als Murren beginnt, kann auf Dauer, wenn andere wichtige Anteilseigner in den Kritiker-Chor einstimmen, schon mal einen Vorstandschef zur Aufgabe zwingen.
Dieser Ingo Speich wird nun in der britischen Wirtschaftszeitung Financial Times mit einer klaren Rücktrittsforderung an Müller zitiert. Seine Begründung: Nur ein von außen kommender Spitzenmanager könne den Glauben in das skandalgebeutelte Unternehmen wiederherstellen. „Es wäre viel besser, neue, frische Leute im Vorstand und im Aufsichtsrat zu haben, um das Vertrauen der Kapitalmärkte wiederzugewinnen“, fordert er.
Der frühere Porsche-Chef Müller hat aber sein ganzes Berufsleben im Volkswagen-Konzern verbracht und wurde von der Fachzeitschrift auto, motor und sport „als enger Vertrauter“des inzwischen über den Abgas-Skandal gestürzten Volkswagen-Chefs Martin Winterkorn bezeichnet. Der 62-jährige Müller hat seine Karriere bei der Ingolstädter VW-Tochter Audi mit einer Werkzeugmacher-Lehre begonnen. Nach einem Informatikstudium in München kam er 1978 wieder zu Audi. Dort machte der im Unternehmen sehr beliebte, weil kollegiale Müller Karriere. Der schlanke Manager spricht Bayerisch. Er soll in der ehemaligen deutschen Top-TennisSpielerin Barbara Rittner, 42, eine neue Liebe gefunden haben, berichten jedenfalls die Fachorgane Bunte und Bild übereinstimmend.
Müller gilt als Wunschkandidat von VW-Patriarch Ferdinand Piëch für den Chefposten im Konzern. All das beeindruckt Fondsmanager Speich nicht. Er will einen wirklichen Neuanfang an der Spitze und sagt: „Natürlich gilt für Müller die Unschuldsvermutung, aber seine Autorität und Glaubwürdigkeit ist geschwächt, weil er seit langem zum innersten Machtzirkel von VW gehört.“So zweifeln Branchenkenner daran, dass Winterkorn und Müller nichts von der Manipulation der Software gewusst haben. Aber was wäre gewonnen, wenn auch der neue VW-Chef abtreten müsste?
„Nichts“, sagt Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer unserer Zeitung. Man sollte den Manager in Ruhe arbeiten lassen. Er habe keine Fehler gemacht. Der Branchenkenner hält es für dringender, VW umzubauen, um künftige Skandale zu verhindern. Dazu müsste die Macht in Wolfsburg gebrochen werden. Hier regieren die „seltsamen Familien Piëch und Porsche“(Dudenhöffer), die den mächtigsten VWAktionär Porsche Holding dominieren, der 52,2 Prozent an Volkswagen hält. Das SPD-regierte Land Niedersachsen mit seiner 20-Prozent-Beteiligung und die innerhalb des Konzerns starke Gewerkschaft IG Metall bilden die anderen Machtblöcke. Gegen diese Wand, so die Argumentation des Auto-Experten, komme auch kein Vorstandschef von außen an. Deshalb müsse die 72,2-Prozent-Macht gebrochen werden. Wie soll das gehen?
Dudenhöffer schlägt vor, dass Niedersachsen zwar seine VW-Anteile behält, die Stimmrechte aber an den Bund abgibt und so nicht mehr notwendige Sanierungsschritte blockieren kann. Wann immer Arbeit aus Niedersachsen in kostengünstigere Länder verlagert werden soll, treten Vertreter des Landes im Aufsichtsrat auf die Bremse. Das schadet der Kernmarke VW, die schon vor dem Skandal in der Krise steckte. Dudenhöffers Vorwurf lautet: Land und Gewerkschaft blockieren Reformen bei Volkswagen. Deshalb, sagen die Kritiker der Konzernpolitik, wäre es wichtiger, einen unabhängigen Aufsichtsratschef zu holen. Auf diese Schlüsselposition haben die Machtblöcke Porsche, Piëch, SPD und IG Metall jedoch den langgedienten VW-Mann Hans Dieter Pötsch gehievt. Dudenhöffer fordert seine Ablösung: „Die Mauer muss weg bei VW, sonst gibt es alle zehn Jahre einen neuen Skandal!“