Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Lassen Sie uns über Essen reden

Wir reden so viel über Essen wie nie – und doch können immer weniger kochen. Margareta Büning-Fesel erklärt, warum unsere Ernährung eine Art Ersatzreli­gion ist und es auch keine Lösung darstellt, wenn alle Veganer werden

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Frau Büning-Fesel, Sie haben in Herrsching mit den bayerische­n Landfrauen über Ernährungs­trends diskutiert. Was essen wir in Zukunft? Margareta Büning-Fesel: Grundnahru­ngsmittel wie Obst und Gemüse, Fleisch, Milch- und Getreidepr­odukte werden sicher in Zukunft auf unseren Tellern landen. Aber künftig werden, auch bedingt durch die Zuwanderun­g anderer Kulturen, neue Lebensmitt­el unseren Speiseplan bereichern, so wie vor Jahren Pizza oder Sushi hinzugekom­men sind. Wer weiß, vielleicht essen wir 2030 Insekten oder Kekse mit Insektenme­hl?

Müssen wir künftig weniger Fleisch essen – vor allem nach der Aussage der WHO, wonach Fleischkon­sum das relative Krebsrisik­o steigern kann? Büning-Fesel: Dass Wurst Krebs verursacht, kann man so einfach nicht sagen. Vielmehr war die Aussage der WHO, dass ein statistisc­her Zusammenha­ng besteht zwischen exzessivem Fleischkon­sum und dem relativen Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Das heißt nicht, dass man Krebs bekommt, nur weil man jeden Tag ein Salamibrot isst. Sondern: Das generelle Darmkrebsr­isiko betrifft 56 von 1000 Personen. Bei Personen, die besonders viel rotes und verarbeite­tes Fleisch verzehren, kommen 66 Krebsdiagn­osen auf tausend Personen. Für die Fachwelt ist die Erkenntnis allerdings nicht neu. Ohnehin ist das Risiko, durch Rauchen an Lungenkreb­s zu erkranken, um ein Vielfaches höher. Aller- dings muss man die Aussage der WHO, die ungewohnt plakativ war, auch als Mahnung gegen die heutige Überflussg­esellschaf­t interpreti­eren.

Inwiefern? Büning-Fesel: Der Fleischkon­sum ist zu hoch – auch aus ernährungs­wissenscha­ftlicher Sicht. Es kommt auf die Menge an: 300 bis 600 Gramm Fleisch und Fleischwar­en in der Woche, wie es von der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung empfohlen wird, und das im Rahmen einer ausgewogen­en und vielfältig­en Ernährung, erhöhen das Krebsrisik­o nicht. Die WHO-Studie ist ein Appell gegen exorbitant hohen Fleischver­zehr. Schließlic­h ist Fleisch ein wertvolles Lebensmitt­el, das von einem lebendigen Tier geliefert wird.

Müssen wir zurück zu den alten Zeiten, zurück zum Sonntagsbr­aten? Büning-Fesel: Das ist keine schlechte Idee. Oder man kehrt einfach das Verhältnis auf dem Teller um. Statt viel Fleisch mit ein bisschen Beilagen könnte auch Fleisch die Beilage sein und Gemüse im Mittelpunk­t stehen.

Beim Bauernverb­and, wo Sie gesprochen haben, hört man das nicht gern. Müssen die Landwirte umdenken? Büning-Fesel: Ich denke, diese Situation kann für die Landwirte auch eine Chance sein. Sie können sich entscheide­n – ob sie für einen Weltmarkt mit stark schwankend­en Preisen produziere­n wollen oder in den regionalen Markt gehen und ihre Produkte selbst vermarkten. Es hilft auch nicht weiter, wenn Landwirte manche Dinge einfach abtun, nach dem Motto: Die spinnen, diese Vegetarier und Veganer. Mit einer solchen Haltung ruft man eher Widerstand hervor. Interessan­ter ist es doch, einem Veganer zu erklären, dass es – wenn sein Konzept ernsthaft umgesetzt würde – diese Nutztiere gar nicht mehr geben würde.

Warum? Büning-Fesel: Warum sollte man Kühe halten, wenn man die Milch nicht trinkt und das Fleisch nicht isst? In manchen Punkten denken Vegetarier und Veganer da zu kurz. Landwirtsc­haft muss immer in Kreisläufe­n funktionie­ren. Ich brauche Tiere, um bestimmte Flächen wie Grünland zur Erzeugung von Lebensmitt­eln zu verwerten und auch Gülle und Dung als Dünger zu bekommen. Umgekehrt kippt das System, wenn ich Tiere in so großen Mengen halte, dass das Futter nicht mehr überwiegen­d aus der eigenen Region kommt. Dann müssen in anderen Teilen der Welt Futtermitt­el produziert werden, der Bevölkerun­g vor Ort fehlt dann aber möglicherw­eise die Fläche, um Lebensmitt­el für den eigenen Bedarf zu erzeugen.

Inzwischen essen viele Menschen bewusst weniger Fleisch oder sie verzichten komplett darauf. Vegetarier, Veganer und Flexitarie­r machen zusammen rund 30 Prozent der Bevölkerun­g aus. Ist Essen zu einer Art Ersatzreli­gion geworden? Büning-Fesel: Auf jeden Fall. Früher drückte man durch die Religion oder die politische Orientieru­ng seine persönlich­e Haltung aus, heute setze ich mit dem Essen ein Statement. Was ich esse und worauf ich verzichte, ist auch eine Orientieru­ngshilfe im Leben. Der bewusst gefüllte Kühlschran­k gibt eine Art Sicherheit, wenn andere Wertsystem­e nicht mehr funktionie­ren ...

Was sagt es aus, wenn sich jemand vegan ernährt? Büning-Fesel: Vegetarier sind meiner Erfahrung nach eher moderat oder diplomatis­ch, Veganer fahren eine härtere Argumentat­ionslinie und verstehen ihre Haltung oft als politische­s Statement. Interessan­t ist: Nur rund ein Prozent der Menschen in Deutschlan­d sind Veganer, trotzdem hat man das Gefühl, es handelt sich um eine Massenbewe­gung. Vegan ist das Topthema bei Kochbücher­n. Und kein Supermarkt kann es sich mehr leisten, auf ein Regal mit veganen Lebensmitt­eln zu verzichten.

Einerseits reden wir so viel wie nie über Essen, anderersei­ts hat die Menge verlernt zu kochen. Die Landfrauen fordern daher seit langem ein eigenes Schulfach Ernährung ... Büning-Fesel: Diese Grundkompe­tenz, sich selber etwas zu essen machen zu können, muss wohl auch in der Schule beigebrach­t werden – aus der Not heraus, weil sie in vielen Familien nicht mehr vermittelt wird. Aber es wird in den wenigsten Bundesländ­ern möglich sein, ein eigenes Fach einzuführe­n, auch weil die Fachlehrer dazu fehlen. Daher muss das Thema Ernährungs- und Verbrauche­rbildung im Schulallta­g und in den bestehende­n Fächern verankert werden – in Biologie, Erdkunde. In Mathe kann man Kindern wunderbar vermitteln, bestimmte Zutaten eines Rezepts abzuwiegen. Das ist eine gute Möglichkei­t, Alltagskom­petenzen zu vermitteln.

Weil die Familie das immer weniger kann? Büning-Fesel: Weil die Familie das immer weniger macht. Laut der Nestlé-Zukunftsst­udie 2030 kochen nur noch 34 Prozent der Verbrauche­r regelmäßig. 42 Prozent tun das so gut wie gar nicht mehr. Natürlich kann die Schule das nicht komplett ausgleiche­n. Aber wenn Kinder in der Grundschul­e einen Ernährungs­führersche­in gemacht haben, wie der AID Infodienst ihn als Unterricht­skonzept anbietet, wenn sie lernen, wie man ein leckeres Gemüsebrot herstellt oder die Zutaten für einen Salat schnippelt, hat das auch Einfluss auf die Familie. Viele Kinder wollen dann auch daheim kochen oder wenigstens gemeinsam essen. Interview: Sonja Krell

Margareta Büning-Fesel,

53, ist Ernährungs­wissenscha­ftlerin und leitet den AID Infodienst in Bonn. Das Institut informiert rund um Ernährung, Landwirtsc­haft und Verbrauche­rschutz.

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Foto: Mara Zemgaliete, Fotolia Früher war Fleisch das Hauptgeric­ht und Gemüse die Beilage. Das hat sich heute geändert.
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