Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Verzweiflu­ng ist oft das Motiv

Warum Mütter ihre Babys töten

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Noch sind die Hintergrün­de der Babyfunde in Oberfranke­n vollkommen unklar. Der Psychiater Michael Soyka, Ärztlicher Direktor der Privatklin­ik Meiringen (Schweiz), der auch als Gutachter mit Kindstötun­gen beschäftig­t ist, erklärt, welche Möglichkei­ten es gibt.

In Bayern wurden mehrere Kinderleic­hen gefunden. Wie kann es zu solchen Fällen kommen? Soyka: Vor 200 Jahren waren die Zuchthäuse­r voll mit ledigen Müttern, die ihre Kinder getötet haben. Heute ist das anders. Es gibt Mütter, die im engeren Sinne psychisch krank sind, schizophre­n etwa. Gefürchtet ist auch die schwere Schwangers­chaftsdepr­ession. Dann bildet sich eine Mutter vielleicht ein, die Welt gehe unter. Auch Versündigu­ngsideen können eine Rolle spielen. Das ist aber selten. Häufiger führen soziale Motive zu einer Kindstötun­g. Die Mutter fühlt sich verlassen, kommt mit der Schwangers­chaft nicht zurecht.

Wie kann es sein, dass eine Frau mehrere ihrer Kinder tötet? Soyka: Das sind bizarre Fälle. Es kommt aber immer wieder vor, auch wenn es schwer zu verstehen ist, dass eine Schwangers­chaft negiert wird. Eine Schwangers­chaft wird verborgen, dann wird vielleicht auch die nächste verborgen. Manchmal fällt angeblich auch der Umwelt nichts auf. Die Frau ist nicht vorbereite­t, freut sich auch nicht auf das Kind. Dann kann es zu Kurzschlus­shandlunge­n kommen. Bizarr ist aber auch, wenn die Leichen aufbewahrt wurden.

Das scheint ein Widerspruc­h zu einer verdrängte­n Schwangers­chaft zu sein. Wie lässt sich das erklären? Soyka: Es ist untypisch. Die meisten Kindstötun­gen fallen schnell nach der Geburt auf, oder die Leichen werden beseitigt. Wenn die Frau sie aufhebt, kann man nur spekuliere­n, ob sie die Kinder aufgrund von Schuldgefü­hlen in der Nähe behält. Oder die Frau ist so überforder­t, dass sie nicht weiß, wohin mit den toten Körpern.

Kann es auch sein, dass in solchen Fällen Männer die Täter sind? Soyka: Bei Neugeboren­en praktisch nicht. Aus Wut kann auch ein Mann ein Kind schütteln und töten.

Welche Rolle spielen denn die Mitmensche­n der Frau? Soyka: In einer intakten Partnersch­aft oder Familie ist es kaum vorstellba­r, dass eine Schwangers­chaft und Kindstötun­g unbemerkt bleiben. So etwas passiert bei Frauen, die sich zumindest subjektiv in einer Notlage befinden. Die Erfahrung in solchen Fällen ist eher, dass Angehörige die Schwangers­chaft einer Frau sehr stark verdrängen. Ich habe Fälle begutachte­t, in denen die Eltern gesehen haben, dass die Tochter schwanger ist, sie aber nicht darauf angesproch­en haben. In solchen Familien herrscht eine wirkliche Kommunikat­ionsstörun­g.

Kann auch der Partner eine Frau dazu drängen, das Kind zu töten? Soyka: Das gibt es auch, aber ich habe solche Fälle selten gesehen. Männer drängen eher zu einer Abtreibung, als dass das Kind ausgetrage­n und dann umgebracht wird. Außer, die Schwangers­chaft blieb verborgen. Die Frauen handeln eher aus Verzweiflu­ng und nicht durch äußeren Zwang.

Interview: Sophie Rohrmeier, dpa

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Michael Soyka

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