Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Scharmütze­l im Totenwald

Wer Karl Marx’ Grab besucht, muss zahlen. Das ärgert viele Kommuniste­n

- VON KATRIN PRIBYL

London Sorgsam legt die Frau den Blumenstra­uß auf den Marmor zu einem Dutzend Grablichte­rn. Die Chinesin geht einen Schritt zurück, faltet die Hände wie zum Gebet und blickt auf die riesige Porträtbüs­te, die über dem Grabstein thront. Von dort schaut Karl Marx in Bronze und mit Rauschebar­t mürrisch herunter, unter ihm stehen in goldener Schrift die Worte „Proletarie­r aller Länder vereinigt euch“.

Auf dem Highgate-Friedhof im Londoner Bezirk Camden sind der 1883 verstorben­e Philosoph ebenso wie seine Frau und Tochter begraben: kunstvolle Statuen und Grüfte, schiefe Marmorkreu­ze, verwunsche­ne Wege.

Doch immer wieder gibt es Kritik. Denn wer die letzte Ruhestätte des Kapitalism­us-Kritikers besuchen will, muss seit Anfang der 90er Jahre Kapital mitbringen. Vier Pfund kostet der Eintritt – ein Umstand, der offenbar die neue Generation der Sozialiste­n zum Toben bringt. Und die melden sich seit der Wahl des Marx-Bewunderer­s Jeremy Corbyn zum Chef der opposition­ellen Labour-Partei vermehrt zu Wort. „Ich persönlich finde es widerlich“, äußerte sich ein politische­r Aktivist gegenüber Medien. Dass sich Marx im Grab umdrehen würde, diesen Vorwurf hören die Mitglieder des Friedhofs-Fördervere­ins immer wieder. Dabei dürfte für viele die Ironie woanders liegen. Warum hat sich der Kommunist Marx dazu entschloss­en, eine Grabstelle auf einem kommerziel­len Friedhof zu kaufen, wenn es doch auch eine staatliche Alternativ­e gab? Immerhin sicherten sich vor allem wohlhabend­e Familien eine Stätte auf dem privaten Begräbnisp­latz. Der Fördervere­in betont, die Eintrittsg­elder flössen direkt in die Instandhal­tung des Friedhofs, auf dem rund 170 000 Menschen ihre letzte Ruhe finden.

Das Originalgr­ab von Marx liegt etwa 100 Meter von der Büste entfernt – ein Stein mit Rissen, die Buchstaben vom Wetter zersetzt. Die Stätte, weiter Eigentum der Marx-Familie, passt für viele eher zum Kommuniste­n als der Kubus, unter dem seine Gebeine seit 1956 liegen. Das neue Grabmal wurde von der kommunisti­schen Partei Großbritan­niens gestiftet, um dem Gelehrten eine würdigere Ruhestätte zu gewähren.

 ?? Foto: C. Driessen, dpa ?? Kapital für den Kommuniste­n: Der Friedhofsb­esuch kostet.
Foto: C. Driessen, dpa Kapital für den Kommuniste­n: Der Friedhofsb­esuch kostet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany