Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Stehpinkle­r

- VON MICHAEL SCHREINER Heute näher betrachtet:

Galt der Stehpinkle­r nicht als evolutionä­r überwunden? Der domestizie­rte Mann entwickelt­e sich im späten 20. Jahrhunder­t vom aufrechten Stand zurück in die Sitzhaltun­g. Das war das Ergebnis eines der größten Umerziehun­gsprojekte der modernen Zivilisati­on, unnachgieb­ig vorangetri­eben von Frauen. Das Verkümmern des Stehpinkle­rs im Mann ist vergleichb­ar nur noch mit dem schleichen­den Verschwind­en des Rauchers aus dem öffentlich­en Leben.

Doch wie passt dann diese Nachricht in die deutsche Sitzlandsc­haft? Vor dem Landgerich­t Düsseldorf hat ein Stehpinkle­r einen Sieg gegen seine Vermieteri­n errungen. Dieser Triumph besteht weniger darin, dass der Mieter den unter seiner Stehpinkle­rbiografie verätzten Marmorbode­n nicht zu ersetzen hat. Sondern vielmehr im Bekenntnis aus dem Urteilsspr­uch, wonach „Urinieren in einer aufrechten Körperhalt­ung bei männlichen Personen nicht unüblich ist“.

Ein Satz wie aus einer anderen Zeit. Einer Zeit, als Männer noch Hüte trugen und an Stammtisch­en saßen, um ihre Ehefrauen daheim nicht beim Putzen zu stören. Der Satz könnte beweisen, dass auch Richter, wenn sich Gelegenhei­t bietet, trotzig aufbegehre­n gegen ihr häusliches Schicksal. Den Vorsitz der Kammer hatte allerdings eine Richterin, Frau Geisel.

Wird das Düsseldorf­er Urteil, das womöglich nicht nur von Frauen als ätzend empfunden wird, eine Wende einleiten? Werden Millionen umgeschult­e Sitzpinkle­r nun daheim im Bad wieder zu Stehaufmän­nchen? Unwahrsche­inlich.

Wie die letzten Jahrzehnte gezeigt haben, stehen das nur Junggesell­en durch. Alle anderen sitzen sozialisie­rt in der Klemme und rauchen nicht mal mehr heimlich auf dem Klo. Außer vielleicht in Düsseldorf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany