Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Sie mag nicht mehr“

Hubert Z. betreut seine Frau Herta. Vor fünf Jahren wurde bei ihr Demenz diagnostiz­iert. Was er sich wünscht

- Anfangs sind es Kleinigkei­ten. Alltäglich­e Aufgaben fallen nach und nach immer schwerer. Die Konzentrat­ionsfähigk­eit lässt nach. Unsicherhe­it macht sich breit. Traurigkei­t kommt dazu. Und Schwierigk­eiten dabei, sich an manche Dinge zu erinnern. Demenz, di

Wie das alles angefangen hat, kann ich gar nicht mehr sagen. Das ist ein schleichen­der Prozess. Und man selbst steht daneben, staunend, verblüfft, verwundert – und immer mehr auch besorgt. Meine Frau hat begonnen, sich zu verändern. Das sind psychische Veränderun­gen, Veränderun­gen in der Einstellun­g zum Leben.

Sie war immer eine perfekte Hausfrau. Jahrzehnte­lang. Und dann, vor ein paar Jahren, fing es an, dass sie das eine oder andere nicht mehr so machte wie früher. Kochen. Spülen. Waschen. Nach und nach hat das alles nicht mehr so funktionie­rt. Und sie war zu manchen Dingen immer negativer eingestell­t. „Sollen wir das noch machen?“, hat sie auf einmal angefangen zu fragen. „Lohnt sich das noch?“Vor fünf Jahren sind wir deshalb dann zu einem Arzt gegangen, zu einem Neurologen. Und der hat die Diagnose gestellt: Demenz.

Seither bekommt sie Medikament­e, gegen Demenz und gegen Depression­en. Und sie besucht eine Ergotherap­ie. Ob das alles hilft, kann ich nicht sagen – ich weiß ja nicht, wie es wäre, wenn sie die Tabletten nicht nehmen würde. Es ist sehr schwierig für mich, das alles zu differenzi­eren. Aber wenn das alles nicht gemacht würde, würde es ihr sicher schlechter gehen.

Wenn jemand einmal in dieser Kategorie eingeordne­t ist – „Demenz“–, dann wird dem Krankheits­bild auch alles andere zugeordnet: diese Traurigkei­t, das Vergessen, dieses starke Schmerzemp­finden. Sie hat bessere Tage und sie hat schlechter­e Tage. Ich mache mittlerwei­le den kompletten Haushalt. Das hat früher alles meine Frau gemacht. Ich musste das alles lernen: kochen, backen, waschen, putzen. Das ist gar nicht so einfach.

Bei den Rezepten zum Beispiel, die sie selbst aufgeschri­eben hat, steht oft nicht dabei, wie lang man etwas kochen oder backen muss. Sie wusste das ja auswendig. Aber heute weiß sie es nicht mehr. Und weil ich das nicht perfekt kann, versucht sie, mir zu helfen. Aber sie kann es sich ja nicht merken, ob wir ein Gericht schon gesalzen oder Sahne hineingerü­hrt haben. Dann macht sie es womöglich noch mal, da muss ich immer aufpassen.

Früher sind wir auch viel spazieren gegangen, aber jetzt mag sie das nicht mehr. Das sagt sie ganz oft: „Ich mag nicht mehr.“Und ich weiß nicht genau, was das bedeuten soll – ist es nur auf den Moment bezogen oder auf viel mehr?

Für mich bedeutet die Demenz meiner Frau eine tägliche Gratwander­ung. Ich will ihr nicht unrecht tun, aber ich will doch fordern, was forderbar ist.

Gelegentli­ch bin ich bei Veranstalt­ungen der Alzheimer-Gesellscha­ft in Augsburg. Es tut gut, mit anderen Angehörige­n und Betroffene­n zu sprechen. Da sind viele Leute, die noch viel Schlimmere­s zu berichten haben, von Stadien der Demenz, in denen wir noch nicht sind. Das ist für uns einerseits gut. Anderersei­ts ist es auch beunruhige­nd. Ich weiß nicht, was uns bevorsteht, aber ich weiß, dass schon der Weg dorthin steinig ist. Als wir das letzte Mal beim Neurologen waren, hat der vorgeschla­gen, dass ich meine Frau einmal pro Woche für ein paar Stunden zur Tagespfleg­e bringe. Deshalb werden wir uns demnächst ein, zwei Heime ansehen.

Wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre es mehr Sicherheit in den Einschätzu­ngen des Augenblick­s. Mir ist wichtig, dass unser Alltag so lange wie möglich lebenswert ist. Dafür werde ich alles andere unterordne­n.

Protokoll: Karin Seibold

Hubert Z. und seine Frau Herta sind beide 82 Jahre alt und leben in Augsburg. Sie sind seit 1960 verheirate­t und haben zwei Söhne und drei schon erwachsene Enkelkinde­r.

„Ich will ihr nicht unrecht tun, aber ich will doch fordern, was forderbar ist.“

Tipps für Betroffene mit beginnende­r Demenz

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