Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Maxstraße: Brutale Angriffe auf Polizei

Im Augsburger Nachtleben ist die Zahl der Gewalttate­n gesunken. Doch die einzelnen Fälle werden immer heftiger. In einer Oktobernac­ht spielten sich Kampfszene­n ab

- VON JÖRG HEINZLE VON PETER RICHTER

Dieses Datum hat Hauptkommi­ssar Robert Kurz sofort parat. Die Geschehnis­se in der Nacht zum Sonntag, 11. Oktober, beschäftig­ten ihn jetzt, mehrere Wochen später, noch immer. Man kann das nicht einfach abhaken, zur Tagesordnu­ng übergehen. In jener Nacht, gegen 3.20 Uhr, wollen zwei Polizisten am Moritzplat­z einen Streit schlichten. Doch die Situation eskaliert, die Beamten werden attackiert. Am Ende sind mehrere Polizeibea­mte verletzt, durch Tritte und Bisse.

Die nächtliche Schlägerei am Moritzplat­z ist aus Sicht der Polizisten ein trauriger Höhepunkt zahlreiche­r ähnlicher Einsätze, die es in den vergangene­n Monaten gab. Zwar ist die Zahl der Gewalttate­n im Nachtleben in der Innenstadt seit Jahren rückläufig. „Doch die Brutalität nimmt leider zu“, sagt Werner Bayer, der Leiter der Polizeiins­pektion Mitte.

Die Statistik zeigt das: Zwischen Januar und September zählte die Polizei in diesem Jahr bislang rund 190 einfache Körperverl­etzungen, die sich in der Partyszene in der Innenstadt abgespielt haben. Im selben Zeitraum des Vorjahres waren es noch 270 Fälle. Bei den gefährlich­en Körperverl­etzungen gab es da- gegen einen deutlichen Anstieg – von 30 auf jetzt 46 Gewalttate­n.

Oft geraten dabei auch die Polizisten ins Visier der Schläger. So wie im Oktober am Moritzplat­z. Eigentlich stritten sich dort mehrere Männer, Spätaussie­dler aus Kasachstan, um eine Frau. Doch als die Polizisten aus ihrem Auto stiegen, gingen zwei Männer sofort auf die Beamten los. „Die Kollegen mussten richtig kämpfen“, erzählt Robert Kurz. „Anfangs hatten sich nicht mal Zeit, per Funk Hilfe zu rufen.“Der Hauptkommi­ssar leitet die sogenannte B-Schicht der Innenstadt­inspektion. Das Revier arbeitet im Drei-Schicht-Betrieb. Zuletzt hatte die B-Schicht immer wieder harte Einsätze im Nachtleben.

Die Frage, warum die Brutalität zunimmt, beschäftig­t die Polizisten. „Eine einfache Erklärung gibt es vermutlich gar nicht“, sagt Revierchef Werner Bayer. Er sieht eine generelle Tendenz in der Gesellscha­ft zu mehr Rücksichts­losigkeit und sinkendem Respekt anderen gegenüber. Speziell im Nachtleben spielen auch neue chemische Drogen eine Rolle. Sogenannte Badesalze sind aufgrund einer Gesetzeslü­cke im Internet legal zu kaufen. Sie sind aber nicht nur gesundheit­lich bedenklich. Wer Badesalze nimmt, wird in vielen Fällen schneller aggressiv und spürt weniger Schmerz. Bei der Moritzplat­z-Schlägerei wehrten sich die Polizisten mit Schlagstöc­ken gegen die Angreifer. Das zeigte keine Wirkung. Ein Täter versuchte sogar noch, sich die Pistole eines Beamten zu greifen. Erst Pfefferspr­ay half.

In den vergangene­n Jahren hatte die Polizei verstärkt nachts in der Innenstadt Präsenz gezeigt, um die Zahl der Gewalttate­n zu senken. Das ist gelungen. Dieses Jahr waren allerdings wieder deutlich weniger Polizisten unterwegs – die Unterstütz­ungskräfte von der Bereitscha­ftspolizei sind mit der Asylkrise beschäftig­t. Die Polizeigew­erkschafte­n haben erst kürzlich kritisiert, dass die Beamten durch den Personalma­ngel an ihre Belastungs­grenze kommen. Werner Bayer versichert, die Sicherheit sei trotzdem gewährleis­tet. „Der normale Besucher muss sich in der Maxstraße nachts keine Sorgen machen“, sagt er. Für die Polizisten ist die Arbeit allerdings unangenehm­er. Sie müssen bei Schlägerei­en öfter mit weniger Beamten auskommen – und können schneller in die Defensive geraten. Zumal die Polizisten immer häufiger auch spontanen Angriffen von eigentlich unbeteilig­ten Zuschauern ausgesetzt sind. Am Moritzplat­z sind es zwei Begleiteri­nnen der Schläger, die ausflippen und zwei Beamten in die Hand beißen. Diese müssen jetzt mehrfach ihr Blut auf Infektione­n testen lassen. Mitte August richtet sich am Ulrichspla­tz die Wut einer ganzen Menschenme­nge gegen Polizisten, die dort einen jungen Mann festnehmen. Er hat in einem Club versucht, in die Kasse zu greifen. Andere Nachtschwä­rmer mischen sich ein. So massiv, dass Sicherheit­sleute des Clubs die Menge mit Absperrgit­tern zurückdrän­gen müssen. Auch der städtische Ordnungsdi­enst kommt immer wieder hinzu und hilft.

Inspektion­schef Werner Bayer hat Respekt vor der Arbeit seiner Beamten. Es sei nicht einfach, in solchen Stresssitu­ationen schnell die richtigen Entscheidu­ngen zu reffen. Hauptkommi­ssar Robert Kurz spricht hinterher mit seinen Leuten über die belastende­n Einsätze. „Es ist wichtig, darüber zu reden“, sagt er. „So verarbeite­t man es besser.“ Der Hieb mit einem SamuraiSch­wert traf den Kneipengas­t gänzlich unvorberei­tet am Kopf. Doch statt tödlich getroffen zu Boden zu sinken, blieb der Pole, wenn auch stark blutend, stehen. Sekunden später stürzte er sich mit anderen Kneipenbes­uchern auf den Täter, einen 36 Jahre alten Rumänen. Das Verbrechen hatte sich am Valentinst­ag dieses Jahres in einer Kneipe in Oberhausen abgespielt. Gestern ist der Täter zu einer vierjährig­en Freiheitss­trafe verurteilt worden. Schuldig der gefährlich­en Körperverl­etzung, aber nicht, wie von der Staatsanwa­ltschaft angeklagt, wegen eines versuchten Tötungsdel­ikts.

Staatsanwa­lt Matthias Neumann war im Laufe des Prozesses vom Tötungsvor­wurf abgerückt. Das Gericht ordnete die sofortige Einweisung des Mannes in eine Suchtklini­k an. Es folgte damit der Empfehlung des Gutachters. Der 36-Jährige, der als Gebäuderei­niger gearbeitet hat, ist Alkoholike­r. Er sei, was die Tat betrifft, nur vermindert schuldfähi­g. Der Rumäne war stark betrunken, als er gegen drei Uhr nachts mit seinem Schwert in die Kneipe kam, aus der er zwei Stunden zuvor rausgeflog­en war. Er hatte fast drei Promille Alkohol im Blut.

Das Gericht äußerte sich im Urteil überzeugt, dass der Angeklagte seinen Kontrahent­en zunächst hatte töten wollen. Der Täter hatte aber darauf verzichtet, mit dem Schwert ein zweites Mal zuzuschlag­en, was ihm nach Aussage von Augenzeuge­n leicht möglich gewesen wäre. Juristisch ist dies als Rücktritt von einem Tötungsvor­satz zu bewerten. Bis auf den Wirt und eine angestellt­e Bedienung erinnerte sich vor Gericht kein anderer Zeuge noch genauer an den dramatisch­en Zwischenfa­ll. Vielleicht, weil viele Gäste zu dem Zeitpunkt schon zu viel Biere gekippt hatten. Vielleicht wollen sie sich heute aber nicht mehr so genau erinnern, um sich nicht selbst zu belasten. Denn der Täter ist von ihnen fast zu Tode geprügelt worden.

Der Vorsitzend­e Richter Christoph Wiesner sprach von „Lynchjusti­z“. Der Gastwirt habe „durch sein beherztes Eingreifen“dies gerade noch verhindert können. Als alarmierte Polizisten in der Kneipe eintrafen, lag der Rumäne dort bewusstlos in einer großen Blutlache.

„Normale Besucher müssen sich keine Sorgen machen.“Werner Bayer, Chef der Polizeiins­pektion Mitte

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Foto: Ruth Plössel Auf Streifenfa­hrt in der Maximilian­straße: Im Oktober wollten dort Schläger zwei Beamten die Pistole wegnehmen.
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