Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wer braucht noch Kalender?

In Zeiten des Smartphone­s keiner mehr. Warum sich Tradition in Papier trotzdem behauptet

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Das Handy vibriert. Die Erinnerung „Mama Geburtstag“ploppt auf dem Display auf. Dazu liefert das Telefon gleich noch ein abgespeich­ertes Gedicht, das man sich in einem ruhigen Moment für die Geburtstag­snachricht überlegt hat. Vorausgese­tzt, man hat sich vorher Gedanken gemacht. Wer es möchte, der kann sein Smartphone so einstellen, dass es einen an den Termin beim Friseur oder den Hochzeitst­ag erinnert. Das weiß sogar, dass man nach Feierabend noch Milch kaufen oder beim Blumenlade­n halten soll. Die Kalender-App macht es möglich.

Auf der Arbeit läuft es ähnlich. Die Kollegen koordinier­en ihre Termine im Computer. Kurz vor einer Besprechun­g schiebt sich eine Erinnerung in den Bildschirm, damit man sie auch nicht verpasst. Elektronis­che Kalender können etwas, was Papier nicht kann. Sie funktionie­ren unabhängig von Ort und Zeit. Kollegen aus anderen Abteilunge­n, sogar aus anderen Ländern können auf sie zugreifen. Das vereinfach­t die Kommunikat­ion. Nur der Urlaub ist zusätzlich auf einem Papier-Jahreskale­nder eingetrage­n. Jeder Mitarbeite­r mit einer eigenen Farbe. Das meiste funktio- niert problemlos ohne Papier. Stellt sich die Frage: Kaufen die Menschen also gar keine Kalender mehr?

Um diese Frage zu beantworte­n, sollte man Kalender grob in Terminplan­er und Wandkalend­er unterteile­n. Die Digitalisi­erung konkurrier­t eher mit den Planern. „Natürlich spüren wir, dass der Verkauf von Terminkale­ndern zurückgega­ngen ist“, sagt Sylvia Gruber. Sie arbeitet im Schreibwar­enladen Kutscher und Gehr in Augsburg. „Aber ganz viele Kunden erzählen uns auch, dass sie ein doppeltes System haben. Manches kommt ins Smartphone, anderes in den PapierKale­nder.“Für einige sei der Taschenkal­ender eine Art Tagebuch, erzählt die Verkäuferi­n. „Es kommen oft Frauen, die sagen: Ach, hier drin ist mein ganzes Leben. Die Kalender quellen dann über mit Notizund Klebezette­ln.“

Gruber steht an einem kleinen Tresen. Die Regale hinter ihr sind gefüllt mit Taschenkal­endern in verschiede­nen Farben und Größen. Der Raum riecht nach Papier. Vor ihr hat Thomas Buß eine Mappe ausgebreit­et. Er ist Vertreter für Schreibwar­en und bietet auch Ka- lender an. Von einer Krise will er noch nichts wissen. „Ich denke, der große Einbruch kommt etwa in zehn Jahren. Mit der Generation, die mit dem Smartphone aufgewachs­en ist“, sagt er. Er beobachte das an seiner 16-jährigen Tochter. Einen Kalender für persönlich­e Termine nimmt sie nicht in die Hand. „Warum sollte sie das ändern, wenn sie 26 wird?“, fragt Buß. Bei Dumont, einem Verlag, der viele Kalender in Deutschlan­d verkauft, hat man ein ähnliches Bild: „Wir beobachten, trotz aller Digitalisi­erung, dass Familien- und Notizkalen­der sowie Taschenkal­ender besonders gut verkauft werden“, sagt Geschäftsf­ührerin Anette Phillippen.

Ein Blick auf die Liste der Bestseller des vergangene­n Jahres gibt ihr recht. Der Helme-Heine-Familienpl­aner liegt dort auf Platz sieben. Auf dem dritten Platz steht ein Taschenkal­ender für das Mondjahr. Vorne mit dabei sind Kalender zum Selberbast­eln. Großformat­ige Wandkalend­er sucht man vergebens. Dafür belegt seit Jahren der Lebensfreu­de-Kalender von Rolf Merkle und Doris Wolf den Spitzenpla­tz. Er bietet jede Woche einen neuen Sinnspruch. Ein Beispiel aus dem kommenden Jahr: Im Oktober sind zwei Papageien zu sehen, darunter steht: „Eine Freundscha­ft ist wie eine Pflanze. Beide brauchen Zuwendung, um gedeihen zu können.“Der literarisc­he Katzenkale­nder funktionie­rt ähnlich, nur mit Katzen und Sprüchen von Schriftste­llern. Er folgt auf Platz zwei.

Und die Fotokalend­er? Die seien ein stabiler Markt, sagt Anja Völlger. Sie leitet die Filiale von Bücher Pustet in Augsburg und sagt: „Kalender sind Kunstobjek­te.“Deshalb sei der Markt trotz Smartphone­s stabil. Die einzige Veränderun­g merkt sie bei der Größe der Kalender: „Sie werden kleiner, weil die Leute weniger Wohnraum haben.“Anette Phillippen von Dumont hat noch etwas anderes festgestel­lt: Wegen der Smartphone­s haben sich die Sehgewohnh­eiten verändert. „Deshalb modernisie­ren wir die Layouts unserer Kalender immer wieder behutsam.“Und sie fügt hinzu: „Kalenderku­nden sind treu.“

Wer einen Kalender mag, kauft ihn wieder – egal, ob das Smartphone an Geburtstag­e erinnert.

Christina Heller

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Weit mehr als Tage zählen: Zum Beispiel das JuniMotiv des Kalenders „Protestona­ut“, dessen Macher aus Mindelheim und Kempten kommen.

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