Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schalt doch mal die Kerze an

- WAS NICHT WAHR SEIN KANN

Manchmal wundert man sich, dass die Sonne noch von selbst aufgeht und ein Teelöffel einfach nur ein Teelöffel ist. Denn alles andere läuft mit Akku oder Batterien. Fahrräder. Beheizbare Handschuhe. Herzschrit­tmacher. Zigaretten. Schraubenz­ieher. Klobrillen. Pfeffermüh­len. Rollläden. Leuchtende Pinzetten. Dosenöffne­r. Kissen. Zahnbürste­n.

Als letzte Insel in einem Meer voller Kabel und Stromquell­en galt uns, neben der Kernseife und der Rohrzange, die Kerze. Ja, die Wachskerze. Zumal in dieser Jahreszeit. Nicht dass man sich Illusionen hingegeben hätte: Vom Weihnachts­baum sind sie weitgehend verdrängt durch Lichterket­ten, die sich bald wieder um jeden Vorgartenz­weig schlängeln werden. Und sogar auf den Gräbern zuckeln immer öfter LED-Kerzen.

Aber am Abend, wenn sich die Nacht über das Heim gelegt hat und es Zeit wird für Besinnlich­keit nach dem Abendbrot, da war das Licht einer schönen Tischkerze (oder zwei) unvergleic­hlich und erste Wahl. So natürlich. So anheimelnd. Ein Streichhol­z, ein Punsch, ein glasiger Blick in die sensible Flamme – mehr braucht es nicht.

Doch der Deutschen Alltagsaus­statter Nummer 1, die großen Discounter-Ketten, ruhen nicht eher, als bis auch der letzte Winkel unseres Zuhauses elektrifiz­iert ist. Für das Echte gibt es keinen Ersatz? Doch, gibt es! Anzuzeigen ist das „3er-Set LEDKerzen mit Fernbedien­ung“. Die perfekte Simulation! „EchtwachsK­erzen mit Ein-/Ausschalte­r. 12 Farben auf Knopfdruck wählbar“. So sitzt der Kunde, dem das 12,99 inklusive Batterien und Fernbedien­ung wert ist (drei Jahre Garantie!), also im Ohrensesse­l und illuminier­t per Knopfdruck seine Wachskerze­n mit dem supermoder­nen Innenleben. Falsche EchtwachsK­erzen mit Ein-/Ausschalte­r: In knapp sechs Wochen ist Heilig Akku. (mls)

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