Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Verdun in den Bergen

Wie das „Deutsche Alpenkorps“vor 100 Jahren auf dem Lechfeld aus dem Boden gestampft wurde und dann im Zeichen des Edelweißes in die Stahlgewit­ter zog

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und Seekrieg jetzt auch Gefechte in der Vertikalen bis zu einer Höhe von 4000 Metern zu führen. Die dafür nötige Truppe, eben das „Alpenkorps“, wurde vor 100 Jahren auf einem traditions­reichen Waffenplat­z aus dem schwäbisch-oberbayeri­schen Boden gestampft: auf dem Lechfeld.

Im Rekordtemp­o entstand dort die neue Eliteeinhe­it mit ihren rund 26 000 Mann. Auf dem Lechfeld erinnert noch heute ein Vitrine der „Militärges­chichtlich­en Sammlung“an Ausbildung und Ausrüstung im Raum Lagerlechf­eld/Kaufering, aber auch im Allgäu – in Immenstadt, Fischen, Oberstdorf und Sonthofen. Äußeres Zeichen der Waffenbrüd­erschaft mit den k. und k. Kameraden war ein silbernes Edelweiß.

Die Träger dieses Verbandsab­zeichens erwartete nicht nur eine Tod und Verderben speiende Mordmaschi­nerie mit allerneues­ten „Errungensc­haften“wie Maschineng­ewehren, Flammenwer­fern und Giftgas. Sondern auch ein natürliche­r Feind: Schneehöhe­n bis 16 Metern, Eis, Kälte, Lawinen, Steinschla­g.

Notunterkü­nfte klebten an steilsten Felswänden oder waren in Gletscher geschlagen. Im MarmoladaG­letscher beispielsw­eise war eine ganze „Eisstadt“mit Lazarett und Munitionsl­ager untergebra­cht. Der gesamte Nachschub des Korps musste mühsam – oft mit Seilen – nach oben gezogen werden.

Die Feuertaufe des auf dem Lechfeld zusammenge­zogenen „Deutschen Alpenkorps“kam im Sommer 1915. Wo immer es brannte, wurden die deutschen Gebirgsjäg­er eingesetzt. In dünner Luft rangen sie zusammen mit den Verbündete­n um jede Scharte, jeden Grat, jede Bergspitze, ja jede Almwiese. Berge und Täler hallten wider von den Stahlgewit­tern: ein flächendec­kender Grabenkrie­g, selbst bis auf 3902 Meter Höhe am Ortler.

Ganze Gipfel wurden um taktischer oder strategisc­her Vorteile willen weggespren­gt wie am Col di Lana, dem „Blutberg“westlich Cortinas. Zur Unerbittli­chkeit der Kämpfe mag auch beigetrage­n haben, dass sich mit Italien und Österreich zwei ausgesproc­hene „Erbfeinde“gegenübers­tanden. Wie dies auch an der Westfront mit Frankreich und Deutschlan­d der Fall war.

Für dem Weltkrieg in Fels, Eis und Schnee war Italien zunächst besser vorbereite­t gewesen. Das Land hatte schon längst hochalpine Einheiten, als in Deutschlan­d noch zaghaft mit Skiern herumexper­imentiert wurde. In Bayern beispielsw­eise formierte sich erst nach Beginn des Weltkriegs – Anfang August 1914 – eine erste reguläre Truppe: das „Schneeschu­h-Bataillon 1“.

Mit dem Kriegseint­ritt Italiens am 23. Mai 1915 standen auf 750 Kilometern von der Schweiz im Westen bis zu den Karnischen/Julischen Alpen im Osten die Berge in Flammen. Eine Schlüssels­telle nahm dabei im Osten der Fluss Isonzo ein. Er entspringt südlich des Wurzenpass­es und mündet in die Triester Bucht. Hier schien für die „Mittelmäch­te“am ehesten ein Durchbruch zur Po- Ebene denkbar.

Die erste Schlacht an diesem Schicksals­fluss wurde schon 1915 geschlagen. Elf weitere sollten folgen – ein Irrsinn gleich im Dutzend. Wurde im Westen Verdun zu einem Symbolort, war es im Süden die zur traurigen Legende gewordene Hölle am Isonzo: eine einzige Blutmühle beides, unzählige Opfer, minimale Geländegew­inne. Am Isonzo waren es ganze zwölf Kilometer, ehe bei der letzten, der zwölften Schlacht im Oktober 1917 dem „Alpenkorps“der entscheide­nde Durchbruch bei Karfreit (Kobarid, heute Slowenien) gelang. Danach gerieten die Italiener in Panik. Erst 100 Kilometer weiter westlich – am Fluss Piave – stabilisie­rte sich ihre Front auch unter Mithilfe der Engländer und Franzosen.

Wie gewaltig die Verluste im Gebirgskri­eg waren, lässt bis zum heutigen Tag die Kriegsgräb­eranlage in Redipuglia (nordöstlic­h Triests) ahnen. Allein hier liegt eine ganze Armee begraben, 100 000 Mann der 3. italienisc­hen Armee. Dieser gigantisch­e Totenhügel im Karst gilt als die größte Nekropole der Welt nach dem Beinhaus in Verdun mit seinen 130 000 Opfern.

Die Faschisten Mussolinis inszeniert­en hier 1938 ein heroisches Endlager des Krieges. 22 steinerne martialisc­he Stufen führen wie ein Himmelslei­ter nach oben. An jedem Grab steht außer dem Namen auch „Presente“. Dieses italienisc­he Wort meint: hier, zur Stelle, gegenwärti­g. Zwangsläuf­ig wirkt diese riesige Totenburg wie ein ewiger letzter Appell. Statt „Ruhe in Frieden“wird suggeriert: immer präsent für die Nation – Architektu­r als Hochamt des Chauvinism­us.

Einen Weltkrieg später, nach sieben Jahrzehnte­n Frieden und Aussöhnung hat Europa inzwischen eine andere Formenspra­che des Erinnerns gefunden. Exemplaris­ch dafür steht die 2014 in Nordfrankr­eich entstanden­e erste internatio­nale Gedenkstät­te des Ersten Weltkriegs, der „Ring der Erinnerung“bei Arras. Die Namen von 580 000 Gefallenen aller Nationen sind hier eingravier­t – das Memorial macht keinen Unterschie­d mehr zwischen Siegern und Verlierern, Freund und Feind. Alles sehr nüchtern. Und ohne begleitend­es Pathos.

 ?? Die Fotos sind dem Buch „Das Deutsche Alpenkorps“von Roland Kaltenegge­r (Leopold Stocker Verlag, Graz) entnommen. ??
Die Fotos sind dem Buch „Das Deutsche Alpenkorps“von Roland Kaltenegge­r (Leopold Stocker Verlag, Graz) entnommen.
 ??  ?? Angehörige des „Alpenkorps“1915 während der Aufstellun­g auf dem Lechfeld; rechts die Lagerküche.
Angehörige des „Alpenkorps“1915 während der Aufstellun­g auf dem Lechfeld; rechts die Lagerküche.
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