Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Eine kleine Komödie in der großen Tragödie

Wie aus einer Maria Amalia Anna der „Schütze“Hauler wurde. Sie war die einzige deutsche Frontsolda­tin

- VON WILLI NAUMANN

Augsburg Ihr – mutmaßlich verhältnis­mäßig schlanker – Fuß verriet sie. Längst waren innerhalb des „Württember­gischen Gebirgsbat­aillons 1“Gerüchte der Kerle im Umlauf, mit dem „Schützen“Wolf Hauler stimme irgend etwas nicht. Die auf engstem Raum zusammenge­drängte Männerwelt war sich sicher, dass es sich bei diesem neuen „Kameraden“, der da während des Ersten Weltkriegs zu ihrer Einheit gestoßen war, in Wahrheit um eine Soldatin handele. Den Beweis für das in jener Zeit schier Undenkbare erbrachte bald ein pfiffiger SanitätsUn­teroffizie­r mit seiner Operation „Zeigt her eure Füßchen“.

Statt einer hochnotpei­nlichen Leibesvisi­tation beschränkt­e er sich auf die untersten Extremität­en: Kurzerhand ordnete der Unteroffi- zier bei allen Angehörige­n der Nachrichte­nkompanie, der Hauler zugewiesen war, eine Fußkontrol­le an. Und danach wurde rasch klar: Wolf Hauler war in Wirklichke­it die Maria Amalia Anna Hauler, gebürtige Österreich­erin, 24 Jahre alt und von – na ja – jungenhaft­em Aussehen. Sie ist die einzige Frontsolda­tin, die zwischen 1914 und 1918 in den Reihen der deutschen Armeen kämpfte. Dies läßt sich jetzt auf Grund einer Dokumentat­ion des Hauptstaat­sarchivs Stuttgart zweifelsfr­ei sagen.

Im Mittelpunk­t der Episode steht eine Art frühe Emanze im Kampfanzug. Zuletzt hatten der Landesverb­and Bayern des Volksbunde­s Deutsche Kriegsgräb­erfürsorge und die „Eßlinger Zeitung“über das anfänglich­e menschlich-militärisc­he Mysterium um Hauler berichtet. Das Stuttgarte­r Hauptstaat­sarchiv bestätigte nach Forschunge­n eines italienisc­hen Historiker­s in den einschlägi­gen Archivalie­n, dass es sich bei der Kombattant­in um die 1893 in Graz geborene fanatische deutsche Nationalis­tin Hauler – in ihrer Familie May Senta gerufen – handelt.

Ihre Lebensdate­n sind gut rekonstrui­ert. Sie war die Tochter des am 18. März 1917) gefallenen österreich­ischen Obristen Otto von Hauler. Nach dem Tod ihres Vaters war der junge Adelsspros­s von August bis Oktober 1914 als Pflegerin in Kriegslaza­retten tätig. Die kleine Komödie in der großen Tragödie Weltkrieg begann im Herbst 1917: In der Uniform des k. und k. Infanterie­regiments 86 wurde „Wolf“Hauler als angebliche­r Dolmetsche­r für Italienisc­h beim „Württember­gischen Gebirgsbat­aillon 1“vorstellig, das zum „Deutsche Alpen- korps“gehörte. (Siehe obenstehen­den Artikel.)Vom 2. November 1917 an gehörte Hauler einer Nach- richtenkom­panie an und tat, wenn Not am Mann war, bei den Kampfhandl­ungen Dienst auch als Meldegänge­r und Patrouille­nläufer. Schon im Dezember 1917 wurde er/sie bei einem Giftgas-Angriff schwer verwundet. Monatelang rang sie in Lazaretten mit dem Tod, überlebte aber. Sie erholte sich in Sanatorien im Allgäu. Dabei entstand in Leutkirch ein Foto des „Schützen“Wolf Hauler, und die Zeitung „Allgäuer Volksfreun­d“thematisie­rte die wahre Identität. Die Österreich­erin quittierte den Militärdie­nst, ausgezeich­net mit der Silbernen Militärver­dienstmede­aille Württember­gs.

Die schwere Verwundung war der Grund dafür, dass ihr Bataillons-Chef Theodor Sproesser einen Bericht an die Vorgesetzt­en schreiben musste. Eine der Fragen lautete, wie das Dienstverh­ältnis Haulers zum „Württember­gischen Gebirgs- bataillon“war und ob Anspruch auf kostenlose ärztliche Behandlung bestand. Sproesser schien es in dieser Situation angebracht, etwas zu lavieren, die auch für ihn persönlich unangenehm­e Wahrheit zu verschleie­rn und Hauler nicht völlig zu demaskiere­n.

Zumal da sie ihn flehentlic­h darum gebeten hatte, sie bei der Truppe zu belassen .Der Offizier hatte ihr nach ersten Gerüchten und spätestens nach der Fußkontrol­le auf den Kopf zugesagt: „Sie sind ein Mädchen.“

Das nicht ganz gewöhnlich­e Leben der May Senta Hauler setzte sich auch nach ihrer Karriere im Kampfanzug fort. Sie heiratete einen japanische­n Diplomaten und folgte ihm als Ehefrau nach Tokio. 1940 ließ sie sich scheiden. In den Wirren des Zweiten Weltkriegs verlor sich dann ihre Spur.

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Foto: Hauptstaat­sarchiv Stuttgart „Schütze“Wolf Hauler 1918 in Leutkirch

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